Was stellt den Ausgangspunkt für einen gelungenen Entwurf dar – das Material oder der Raum? Und was bedeutet dies für die Langlebigkeit eines Gebäudes?
Wir haben nachgefragt in der Schweiz, Frankreich, Spanien und Dänemark.
„Daher plädiere ich für eine Architekturkultur, die vor allem den Menschen in den Mittelpunkt stellt und Vielfalt fördert.“
In meiner Architekturvorstellung steht der Mensch immer im Mittelpunkt. Bevor wir über Raum oder Material sprechen, frag ich mich: Wer ist dieser Mensch? Welche Wünsche hat er oder sie? Und parallel zu dieser Spekulation entsteht Raum. Er ist nicht nur eine materielle Hülle, sondern auch ein immaterieller Akteur, der das Leben seiner Bewohner beeinflusst. Die Struktur, das Skelett des Gebäudes, folgt dann logischerweise oder setzt Akzente. Erst zum Schluss richtet sich mein Blick auf das Material. Welches Material unterstützt den Menschen am besten? Das Baumaterial erscheint mir wie die Gewürze beim Kochen – die Grundtöne werden gesetzt und ab und zu ein scharfer Akzent hinzugefügt.
Langlebigkeit entsteht meiner Ansicht nach durch Vielfalt. Wenn wir immer wieder die gleiche Architektur errichten, riskieren wir, dass sich unsere Vorstellungen von guter Architektur als falsch erweisen. Eine vielfältige gebaute Umwelt ist hingegen resilient und anpassungsfähig. Sie kann auf veränderte Bedürfnisse, gesellschaftliche Entwicklungen oder gar Krisen und Katastrophen besser reagieren. Unterschiedliche Gebäudetypen fördern neue Ideen, Technologien, Konstruktionen, Identitäten und Formen des Zusammenlebens. Eine vielfältige Stadtlandschaft ist attraktiv, lebensbejahend und unterstützt unsere Vitalität. Daher plädiere ich für eine Architekturkultur, die vor allem den Menschen in den Mittelpunkt stellt und Vielfalt fördert. Sie ist nachhaltig, resilient und inspirierend.
„Ich glaube, dass sowohl das materielle als auch das räumliche Konzept in Symbiose funktionieren sollten. Keines von beiden kann für sich allein stehen […]“
Bei meiner Herangehensweise an die Architektur ähnelt meine Methodik der eines Archäologen, der sich intensiv mit der physischen Realität und den Materialien eines Ortes auseinandersetzt. Dieser Ansatz ermöglicht es, dass Designs auf natürliche Weise entstehen, die mit ihrer Umgebung harmonieren und gleichzeitig auf den historischen Kontext des Ortes reagieren. Ich beschreibe dies als „Archäologie der Zukunft“, bei der die Vergangenheit beeinflusst, wie wir Räume schaffen, die Erinnerungen aktivieren, Sinne ansprechen und Nachhaltigkeit fördern.
Die gründliche Erforschung historischer Materialien und lokaler Ressourcen steht im Mittelpunkt jedes Projekts.
In der Normandie beispielsweise führte der lokale Lehm, der zur Ziegelherstellung verwendet wurde, zu einem Design, das in der Landschaft verwurzelt ist. Diese Methode steht im Einklang mit kohlenstoffarmem Bauen, minimiert den Bedarf an Materialtransporten aus der Ferne und fördert die Umweltverantwortung. Für mich ist Architektur mehr als nur das Erschaffen physischer Räume; sie fungiert als Vermittlerin für soziale Interaktion und gestaltet Räume, die Gemeinschaft, Dialog und Verbindung fördern. Meine Erfahrung in Beirut, einer Stadt, deren Architektur stark von der vielschichtigen Geschichte beeinflusst wird, hat meine Arbeit geprägt. Ich konzentriere mich auf die Symbiose zwischen Architektur, ihrem kulturellen und ökologischen Kontext und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Dynamiken, die einen Raum definieren. Ich glaube, dass sowohl das materielle als auch das räumliche Konzept in Symbiose funktionieren sollten. Keines von beiden kann für sich allein stehen – erfolgreiche Designs entstehen aus der Interaktion zwischen den materiellen Realitäten eines Ortes und seinem historischen und sozialen Kontext. Dieser Ansatz stellt sicher, dass jedes Design tief mit seinem Ort und seinen Menschen in Resonanz tritt und Räume schafft, die nicht nur funktional, sondern auch kulturell und emotional bedeutsam sind.
Die Haltbarkeit eines Gebäudes geht über die Langlebigkeit seiner Materialien hinaus; sie hängt auch von seiner Fähigkeit ab, Bedeutung zu schaffen, eine Verbindung zwischen Menschen und Natur zu fördern und sich respektvoll in seine Umgebung zu integrieren. Während langlebige Materialien dafür sorgen, dass eine Struktur physisch den Test der Zeit bestehen kann, entsteht wahre Haltbarkeit, wenn das Gebäude emotional und kulturell mit seinen Nutzern und seiner Umgebung in Resonanz tritt. In unserer Praxis betrachten wir Architektur als einen Akt des Humanismus. Das bedeutet, Gebäude nicht als egozentrische Aussagen oder isolierte Objekte zu betrachten, sondern als Teil einer umfassenderen, respektvollen Beziehung zur Lebensumgebung. Haltbarkeit entsteht, wenn Architektur einen sinnvollen Dialog mit ihrem Kontext bildet, als ob eine Struktur aus dem Boden gewachsen und zu einem geschätzten Teil der Gemeinschaft geworden wäre. Dieser humanistische Ansatz erfordert oft sorgfältige Überlegungen – wie kann das Gebäude in seiner Umgebung „verschwinden“, nicht als passives Objekt, sondern als Struktur, die sich mit ihrem Kontext weiterentwickelt? Ein Gebäude ist haltbar, wenn die Menschen es lieben und schätzen, wenn es ihnen Freude bereitet und ihr tägliches Leben bereichert. Diese Verbindung zwingt die Nutzer, sich darum zu kümmern, und stellt so seinen Erhalt im Laufe der Zeit sicher. Ein Gebäude ist nicht nur dann langlebig, wenn es aus nachhaltigen Materialien gebaut ist, sondern auch, wenn es den Menschen das Gefühl gibt, mit ihrer Umgebung und miteinander verbunden zu sein. Ein langlebiges Gebäude ist eines, das relevant bleibt, geliebt wird und in seinen Kontext integriert ist, sodass sein Fortbestand über Generationen hinweg gewährleistet ist.
Alberto Veiga und Fabrizio Barozzi
Barozzi Veiga, Barcelona, ES
„Die Eigenverantwortung der Menschen ist ein grundlegender Faktor für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes, da sie zu seiner Langlebigkeit und seinem Wandel im Laufe der Zeit beiträgt.“
Architektur ist überall, aber wir glauben, dass der Schlüssel zu einem erfolgreichen Design in der Fähigkeit liegt, etwas Neues zu enthüllen, eine neue Perspektive in den Kontext zu bringen, in dem es platziert ist. Dies ist ein wesentlicher Punkt eines Projekts. Natürlich muss es auch in der Lage sein, eine umfassendere und komplexere Reflexion über die eher technischen und konstruktiven Aspekte des Themas zu initiieren. Die Synthese zwischen diesen Impulsen ist der Punkt, an dem ein Meisterwerk geboren werden kann. Erst dann ist die Architektur in der Lage, Einfluss zu nehmen, als Referenz oder Symbol zu dienen und eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Heute geht jeder davon aus, dass jedes neue Gebäude in jeder Hinsicht äußerst effizient und nachhaltig sein muss. Als Architekten gehen wir das Konzept der Nachhaltigkeit gerne ganzheitlich an und versuchen, Themen zu behandeln, die nicht nur mit der Materialität eines Projekts zu tun haben. Eine der wichtigsten Errungenschaften eines Entwurfs ist es, wenn die Gemeinschaft das Gebäude in Besitz nimmt und weiß, wie es zu nutzen ist. Diese Eigenverantwortung der Menschen ist ein grundlegender Faktor für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes, da sie zu seiner Langlebigkeit und seinem Wandel im Laufe der Zeit beiträgt. Viele unserer Projekte sind Umgestaltungen bestehender Gebäude und Erweiterungen, und wir versuchen, sie so natürlich wie möglich zu gestalten. Wir streben niemals einen historischen Bruch an, ganz im Gegenteil. Wir bemühen uns um Kontinuität mit der Tradition oder der Geschichte, die das Gebäude umgibt, um einen Dialog mit dem Kontext und mit den Menschen herzustellen, die es täglich nutzen und pflegen werden.
„Durch die Priorisierung von Materialien können wir innovative Lösungen fördern, die nicht nur den lokalen Kontext widerspiegeln, sondern auch ökologische Belange berücksichtigen.“
Der Ausgangspunkt für einen erfolgreichen architektonischen Entwurf sollte das Material sein, wie es der Satz „form follows availability“ (dt. Form folgt Verfügbarkeit) zusammenfasst. Das ist die Denkweise, der wir bei Lendager folgen. Dieses Prinzip betont, dass die in jedem Kontext verfügbaren Materialien das Raumkonzept leiten sollten. Ein Beispiel für die Umsetzung dieser Denkweise ist Børnehuset Svanen (dt. Kindergarten „Der Schwan“) in Gladsaxe, der weltweit erste ökologisch zertifizierte „Kreislaufkindergarten“ in Dänemark. Er wurde aus den Materialien der alten Schule auf demselben Gelände gebaut.
Als integrierter Teil des umweltzertifizierten und gesunden Bau- und Designprozesses haben wir die erforderlichen Prozesse entwickelt und implementiert, um Baumaterialien direkt vor Ort abzubilden, zurückzugewinnen, aufzuwerten und wiederzuverwenden. Durch die Priorisierung von Materialien können wir innovative Lösungen fördern, die nicht nur den lokalen Kontext widerspiegeln, sondern auch ökologische Belange berücksichtigen. Raumkonzepte sind zwar wichtig, sollten sich aber aus den Eigenschaften der verfügbaren Materialien entwickeln und sicherstellen, dass das Design sowohl funktional als auch umweltschonend ist.
Ein Gebäude ist langlebig, wenn es eine Philosophie verkörpert, bei der die Verantwortung für die Umwelt im Vordergrund steht. Bei Lendager lautet unser oberstes Prinzip: „Nicht bauen.“ Dies veranlasst uns zu der Bewertung, ob ein Neubau erforderlich ist oder ob bestehende Strukturen umgenutzt werden können. Wenn bauen unerlässlich ist, plädieren wir für „Wenn bauen, dann umbauen“. Durch den Umbau bestehender Gebäude werden Ressourcen geschont und die kulturelle Bedeutung bewahrt. Wenn Neubauten unvermeidbar sind, halten wir uns an die Leitlinie „Wenn neu gebaut wird, dann Abfall verwenden“ und wählen nachhaltige Materialien aus Abfallprodukten. Durch die Verwendung wiedergewonnener Materialien verringern wir unseren ökologischen Fußabdruck und verbessern die Verbindung des Gebäudes mit der Gemeinschaft. Letztendlich geht die Haltbarkeit eines Gebäudes über physische Eigenschaften hinaus. Sie hängt von unseren Entscheidungen bei seiner Konzeption ab, indem wir Räume schaffen, die funktional, ästhetisch ansprechend und von Sinn und Verantwortung gegenüber der Umwelt durchdrungen sind.