GROHE Digital Talks

Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Stefan Behnisch (Behnisch Architekten)

Corona zeigt uns, wo Architektur und Stadt gut oder auch schlecht funktioniert. Was vielerorts nicht besonders gut funktioniert ist die Wohnsituation vieler Menschen. Das Konzept der Wohnung, wie wir sie heute kennen, stammt aus dem Funktionalismus und der ist vor hundert Jahren entstanden und entspricht nicht den Bedürfnissen der heutigen Nutzer. Müssen wir den Wohnungsbau nicht längst revolutionieren?

Wir hätten den Wohnungsbau schon längst neu denken müssen, hier haben wir das große Problem, einen Angebots- und keinen Nachfragemarkt zu haben. Das heißt, die Wohnungssuchenden müssen nehmen, was auf den Markt kommt. Die Baubranche ist per se sehr innovationsfeindlich, es wird das umgesetzt, was man schon hundertmal vorher gemacht hat.

Andererseits sind die Menschen auch geprägt durch ihre Erfahrungen. Das heißt, sie denken gar nicht darüber nach, was ideal sein könnte, sondern sie messen immer alles an ihren Erfahrungen und wollen keine großen Veränderungen. Das erklärt sich vielleicht durch unsere marginale architektonische Erziehung und Bildung. Wir haben in der Schule Kunstgeschichte, aber in der Regel kein Fach „Architektur“. Das Bewusstsein, dass Architektur unser Leben prägt und verändert, ist gar nicht vorhanden.

Schulen und Kindergärten sind der erste Lebensraum außerhalb der elterlichen Wohnung, wo Kinder mit Architektur zusammenkommen, wo Architektur ihr Leben direkt beeinflusst. Und wir geben uns so herzlich wenig Mühe bei den Schulen. Wir planen inzwischen wieder nach einem Baukastensystem, mit dem wir ein Gebäude, das Generationen von Menschen nachhaltig beeinflusst, „möglichst billig und schnell gebaut“ konzipieren. Was in einem drei- bis fünfjährigen Prozess entsteht, prägt Generationen von Schülerinnen und Schülern und das nicht zum Besseren.

Eigentlich müssten wir einen analogen Funktionalismus nach Rudolf Steiner praktizieren, der sinngemäß erläuterte, die Funktion einer Schule sei nicht unbedingt die Abwicklung des Unterrichts, sondern die Erziehung des Kindes, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden und ein guter Teil unserer Gesellschaft zu sein. Das ist auch die Aufgabe eines Schulgebäudes, und nicht, die Kinder möglichst schnell auf den Schulhof zu leiten und die WC-Anlagen an der richtigen Stelle zu platzieren.

Die Krise bietet also auch eine Chance, Architektur in vielen Bereichen neu zu betrachten. Die Mietpreisbremse in Berlin war ja eigentlich eine gute Idee. Aber sie so rigide und tief festzuschreiben, hat natürlich die katastrophale Folge, dass einigen Leuten die Finanzierungen ihrer Häuser platzen werden. Aber vielleicht hat es den Effekt, dass wir tatsächlich einmal wieder intensiver über einen sinnvollen, kostengünstigen, erschwinglichen und nachhaltigen Wohnungsbau nachdenken, der auch auf die neuen Lebenssituationen eingeht: mehr lernen und arbeiten von zuhause. Und der Trend wird zu größeren Wohnungen und kleineren Büros gehen, da bin ich mir absolut sicher.

 

Haben Sie sich schon mit flexiblen Wohnungsgrundrissen beschäftigt?

In Ingolstadt-Hollerstauden haben wir für das St. Gundekar-Werk einen sozialen Wohnungsbau realisiert, der sehr gut in die heutige Zeit passt. Wir haben sogenannte Swing-Zimmer eingeplant, die im Bedarfsfall der einen oder anderen Wohnung zugeschlagen werden können und somit die Veränderungen der Familien berücksichtigen. Eine Familie bekommt ein Kind, bei der anderen zieht ein Jugendlicher aus und nun besteht die Möglichkeit, die Zimmer hin und her zu swingen. Ein guter Ansatz, finde ich.

Beim Wohnungsbau in Eichstätt haben wir in Abstimmung mit dem Auftraggeber einen Skelettbau mit Holztrennwänden und Holzfassaden geplant, also einen leichten Ausbau, damit die Grundrisse veränderbar sind und sich den Lebensumständen anpassen können. Das war auch eine sinnvolle Sache.

Wie vorab schon erwähnt, wird Corona letztlich keine neuen Trends setzen, sondern die vorher schon existierenden beschleunigen. Was wir aber zukünftig in die Wohnungen integrieren müssen, sind Arbeits- und Aufenthaltszimmer. Denn wenn zukünftig mehr im Home-Office gearbeitet wird, reicht der Küchentisch nicht mehr aus. Von der Krise sind insbesondere der soziale, erschwingliche und geförderte Wohnungsbau betroffen. Und für diesen Typus sind dringend neue Konzepte zu entwickeln.

Ein Beispiel: Die Normen für sozialen Wohnungsbau sehen Zimmergrößen vor, die nicht einmal für ein über 1,80 Meter großes Bett für ein Kind ausreichen. Das ist nicht mehr zu akzeptieren!

 

Alles spricht von Smartcity, eine Idee, die zunächst einmal gut klingt. Aber sie scheint mit großen Datenströmen hochproblematisch zu sein. Die Frage nach Freiheitsrechten brechen auf, die Frage, wem die Daten gehören, die an jeder Ecke gesammelt werden? Wie beurteilen Sie die Situation?

Das ist eine interessante Frage. Welche Daten brauchen wir, um eine intelligente Stadt zu steuern? Und wem gehören die Daten? Da ist interessanterweise gerade in Toronto ein großes Projekt von Google gescheitert. Die Firma beabsichtigte, ein ganzes Stadtquartier als Smartcity-Modellprojekt zu planen. Gescheitert ist es, weil Google eigentlich nur Interesse an den Daten hatte, die Stadt jedoch nicht bereit war, sie ihnen exklusiv zu überlassen. Die an dem Projekt beteiligten guten Stadtplaner sind nach und nach unter anderem wegen der Persönlichkeitsrechte ausgestiegen.

Ich denke, wir sollten anonymisierte Daten „open source“ für jeden verfügbar ins Netz stellen, damit jeder dann daraus machen kann, was er/sie für nutzbringend erachtet. Für Studierende an Universitäten, für Soziologen und Städteplaner, für Infrastruktur- und Verkehrsplaner wären das hochinteressante Informationen. Gesellschaftlich gesammelte Daten müssen „public domain“ sein, sie dürfen nicht privatisiert werden. Dann dienen sie der Gemeinschaft.

 

Lesen Sie das vollständige Interview mit Stefan Behnisch auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.

 

Über Stefan Behnisch

geboren 1957 in Stuttgart, studierte Philosophie, Volkswirtschaft und Architektur. 1989 gründete er sein eigenes Büro in Stuttgart, das seit 2005 als Behnisch Architekten firmiert. Weitere Büros entstanden in Los Angeles (1999), Boston (2006) und München (2008). Wegweisende Projekte im Bereich des nachhaltigen Bauens wurden in Europa und den USA realisiert. Stefan Behnisch lehrte unter anderem in Portsmouth, Nancy, und Austin TX/USA und war Gastprofessor an der Yale School of Architecture in New Haven, an der University of Pennsylvania in Philadelphia, an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne, an der University of New Mexico in Albuquerque, an der TU Delft in den Niederlanden sowie an der TU München. 2004 wurde er in den USA mit dem „Environmental Champion Award“ ausgezeichnet, 2007 mit dem „Global Award for Sustainable Architecture“, 2009 mit einem „Good Design, Category People“ Award und 2013 mit dem „Energy Performance + Architecture Award“. (www.behnisch.com)

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