Haben sich die Bedürfnisse Ihrer Bauherr*innen nach der Pandemie und das Bewusstsein für Architektur verändert?
Das Bewusstsein ist gewachsen. Die Leute werden teils notgedrungen auf ihre vier Wände zurückgeworfen und fangen an, sich kritisch mit den Räumen, in denen sie sich bewegen, auseinanderzusetzen. Einer unserer Bauherren kam neulich auf uns zu und merkte an, dass er innerhalb des zu planenden kleinen Hauses zusätzlich zum Wohnraum einen Rückzugsraum für die Kinder zum Spielen oder für seine Videokonferenzen haben möchte. Guter nachhaltiger Wohnraum basiert auf guten Grundrissen. Und genau hier sind wir immer wieder überrascht, wie flexibel Gebäude zum Beispiel aus den 1960er-Jahren sind und mit wie wenig Fläche diese auskommen! Es ist nicht damit getan in der Landesbauordnung zu sichern, dass wir eine bestimmte Raumgröße und die Räume eine gewisse Mindesthöhe haben. Viele aktuelle Bauten schreiben Räume einer ganz spezifischen Nutzung zu, sind damit statisch gedacht und tragen funktionale Wandelbarkeit nicht in ihrer DNA. Wir sind innerhalb eines strengen Korsetts aus Vorgaben und Normen unterwegs, welche nicht immer darauf ausgelegt sind, gute Ziele zu erreichen, sondern auch die Wege dahin festzulegen. In der Fixierung der Lösungswege und nicht der Ziele sehen wir das Hauptproblem, aus dem wir, im Sinne der Bedürfnisse unserer Bauherren ausbrechen möchten. Wir stellen uns natürlich auch die Frage: Ist nicht zu erwarten, dass sich durch Corona viele Firmen – zumindest räumlich – stark verkleinern werden und sich Wechselmodelle etablieren? Und was passiert mit den Bestandsimmobilien? Müssen wir Bürobauten umnutzen? Es tun sich Veränderungen auf, die wir bereits sehen können. Die große Frage wird sein: Wie kann man dabei die Umwelt schützen und zeitgleich sozialverantwortlich arbeiten?
Können Sie anhand Ihrer Projekte beschreiben, wofür Ihre Architektur steht?
Ein gutes Beispiel dafür ist das Haus D in Oberberg, bei dem es viel Auseinandersetzung mit der Bauphysik gab, weil wir versuchten, ein möglichst einfach gedachtes und damit cleveres Gebäude zu entwickeln. Im Vordergrund stand die Frage: Welche Aufgaben kann die Gebäudestruktur aus sich heraus leisten, ohne technisch groß aufgerüstet werden zu müssen? Also Low statt High Tech. Das besagte Haus basiert auf einem einfachen Prinzip: Es hat zwei große Schleppdächer, die so ausgerichtet sind, dass die Sonne im Sommer draußen bleibt und im Winter reinkommt. Deshalb haben wir auch eine einfache Doppelverglasung ausgewählt, sodass wir im Winter möglichst viel Energie ins Gebäude eintragen. Das konnte die Energieeinsparverordnung nicht abbilden. Das heißt, dieses Haus wurde so berechnet, als ob es die Vordächer nicht gäbe. Das klingt absurd, ist aber so. Das erklären Sie jetzt bitte einmal der Bauherrenschaft. Die Lösung wäre dann gewesen, teure Simulation zu fahren…im schmalen Budget privater Bauherren ist das in der Regel nicht darstellbar. Die Frage ist, was bringt uns die Entwicklung alternativer Bauweisen, wenn wir diese nur durch extreme Mehrkosten etablieren können? Wenn die Lösung nur sein kann, dass wir sagen: „Okay, liebe Bauherren, wir erreichen die Ziele auf dem Papier nicht, aber sind überzeugt, dass es klappen wird. Das heißt, wir gehen ein Risiko ein und brauchen absolutes Vertrauen in unsere Bauherrenschaft; und diese in uns! Architektur ist keine Einbahnstraße. Die Herausforderung liegt darin, Bauherr*innen davon zu überzeugen, in alternative und sinnige Bauweisen zu investieren, die noch nicht im Bewusstsein der Gesellschaft etabliert sind.
Haben Sie als Architekten der jüngeren Generation andere Werte als die Architektengeneration zuvor?
Eine große Frage! Bei der Beantwortung muss man aufpassen, niemandem auf die Füße zu treten, gar ungerecht zu werden. Also wir glauben, dass sich Architektenschaft, Nutzer und Industrie in den vergangenen Jahrzehnten voneinander entfernt haben. Wir haben angefangen, gegeneinander zu arbeiten und das holt uns gerade ein. Wir müssen in der Entwicklung von sinnvollen Bauweisen wieder zusammenfinden.
Wenn der Urbanisierungstrend anhält, welche Lösung bietet Architektur, um mit der zunehmenden Enge umzugehen?
Wir haben aktuell einige Projekte, wo es um Aufstockung und Nachverdichtung geht und wir uns Gedanken machen müssen, wie wir mit wenig Grundstück trotzdem eine gute Wohn- und Lebensqualität erzeugen können.
Wie werden sich die Städte in Zukunft weiterentwickeln?
Bestenfalls mit weniger Individualverkehr. Wir sehen außerdem, dass der Abriss immer mehr an Beliebtheit gewinnt. Wir müssen unseren Bestand, wo möglich, weiterentwickeln und zukunftstauglich machen. Hier spielt auch die Klärung des ruhenden Verkehrs eine entscheidende strategische Rolle. Wir können uns außerdem vorstellen, dass immer mehr Dachlagen nachverdichtet werden und wir uns horizontale Grünflächen erstreiten müssen. Darüber hinaus müssen wir mehr gemeinschaftliche Nutzungseinheiten etablieren, die wirklich Qualität haben, um wieder mit einem kleineren Fußabdruck pro Kopf arbeiten zu können. Wünschenswert wäre, dass perspektivisch das Steuersystem so angepasst wird, dass Eigentum im Sinne der Eigennutzung gefördert wird, denn es ist wichtig, dass Menschen sich mehr mit ihrer Umwelt identifizieren. Einzelne sollte nicht nur für sich denken, sondern sich viel mehr in Gruppen zusammenfinden und in Form von Baugemeinschaften oder Genossenschaften die Stadtentwicklung aktiv mitgestalten. Anderenfalls geben wir Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der eigenen Stadt vollkommen aus der Hand. In unseren Augen ist es notwendig, dass Menschen sich Ort und Raum aneignen können.
Stephan Truby spricht vom „Einigeln in Architekturkonservatismus“, den er derzeitig in Deutschland wahrnimmt. Das birgt für ihn auch die ästhetische Regression in Richtung des Vertrauten und der Rekonstruktion. Wie sehen Sie das?
Wir halten es eher damit, etwas Neues zu entwickeln, das dann die Chance hat, auch irgendwann Tradition und Geschichte zu sein. Dass Altes durch Neues ersetzt wird, ist im Grunde ein fortwährendes Thema, das es in der Geschichte immer schon gegeben hat. Dennoch ist Rekonstruktion, bei der man mit dem Grad der Rekonstruktion frei arbeiten kann, eine spannende Aufgabe. Wenn der Städtebau heute genauso angemessen ist wie damals, kann man den Ort wiederherstellen. Ihm aber dann eins zu eins das alte Gesicht aufzusetzen, finden wir befremdlich. Zum Thema Stadtentwicklung gibt es in Tübingen übrigens ein spannendes Beispiel: Der alte Baudezernent sagte damals, als es darum ging, die Konversionsfläche der französischen Truppen zu entwickeln: „Wir machen jetzt Spielregeln. Wir teilen diese Fläche in Blocks von fünfzig mal fünfzig Meter ein und schaffen damit heterogene Eigentumsverhältnisse.“ Pro Block sollten es mindestens sechs Eigentümer sein. Die Politik schlug damals die Hände über dem Kopf zusammen. Und tatsächlich kamen dann 32 private Bauwillige; brachten einen ordentlichen Haufen Geld zusammen, kauften einen Block und entwickelten ihn. Und so ist es dann immer weitergegangen. Natürlich ist das nicht das Allheilmittel, aber es ist sinnvoll, den Menschen eine Möglichkeit einzuräumen, sich an der Stadtentwicklung zu beteiligen und so einen Anteilspluralismus innerhalb einer Stadt aufzubauen.
Besteht durch die Digitalisierung die Gefahr der Begrenzung der Kreativität und Innovation in der Architektur? Oder bietet sie eine Chance, sich neu zu positionieren?
Es ist schwierig, das jetzt schon zu beurteilen. Wir stehen im Moment an einem Punkt, den wir in zwanzig bis dreißig Jahren noch einmal neu bewerten müssen. Wir befinden uns im Prinzip gerade in einer großen Testphase und stehen vor der Entscheidung: Entweder man zieht sich zurück und findet das alles fies und böse oder man guckt, dass man mitgestaltet, indem man die Hersteller und Softwareentwickler mit einbezieht. Wir sind nicht der Meinung, dass der Entwurf sich durch die Digitalisierung verändern wird. Wenn man das Bewusstsein prägt, wie damit richtig umzugehen ist, ist das Ganze ein Hilfsmittel, das das Prozesse wahnsinnig beschleunigen kann. Die Digitalisierung selbst ist nicht das Ziel. Sie ist ein Werkzeug.
Philosophie
Das Bauen findet vorrangig in verdichteten Ballungsräumen statt. Die damit verbundenen Bauaufgaben lassen sich nur schwer mit den am Ort wachsenden Rohstoffen darstellen. Hierzu braucht es aus unserer Sicht Lösungsansätze, welche die gesellschaftlichen Bedarfe in Einklang mit der zunehmenden Ressourcenknappheit bringen.
Thematischer Antrieb all unserer Arbeiten ist der ressourcenschonende und für die jeweilige Bauaufgabe angemessene Umgang mit Material an sich.
Mit dieser Grundhaltung suchen wir nach modularen Gebäudestrukturen und Ordnungsprinzipien, die zunächst einmal darauf angelegt sind, funktionalen Wandel räumlich und baulich zu ermöglichen. Als treibende Kraft für die vorgesehene Nutzung, wie auch den möglichen Nutzungswandel, sehen wir den Menschen, der sich die Gebäudestruktur zu eigen macht.
Gestalt ist, unserer Auffassung nach, die logische Folge aus Struktur und Ordnungsprinzip und bedarf aus unserer Grundhaltung heraus keinerlei Verkleidung.
Die Bauteilfügung, das Detail und die daraus entstehende Struktur erfüllt zum einen den Zweck der Rückbaubarkeit im Rahmen eines übergeordneten Nachhaltigkeitskonzeptes und kann zum anderen als Schmuck, Verzierung oder Ornament begriffen werden.
Bevorzugt setzen wir Materialien ein, deren Rohstoffe nachwachsend oder in Ihrer Reinform gut rezyklierbar und bei richtigem, baukonstruktivem Einsatz, dauerhaft sind.
Unser Augenmerk auf einfachen Bauweisen führt uns dazu, geltende bauliche Standards, beispielsweise im Schallschutz oder winterlichem und sommerlichem Wärmeschutz zu hinterfragen und der inhaltlich meist komplexen, technisch aufwendigen Praxis baulich einfache Lösungen entgegenzusetzen. Diese Haltung betrifft insbesondere den Einsatz von haustechnischen Anlagen, die wir in sinnvoller Ergänzung zu primär konstruktiv gedachten Lösungsansätzen sehen.
Exemplarisch ist diese Haltung am Haus „D6“ nachzuvollziehen. Die konstruktive Stahlskelettstruktur bildet ein wandelbares Ordnungsprinzip, das weit auskragende Dach sorgt für den baulichen Sonnenschutz, kühlt dank der Hinterlüftung schnell aus und nutzt im Winter die Energie der tiefstehenden Sonne über die passive Speichermasse des Estrichs.
Im Ansatz modularer und vorgefertigter Bauweisen sehen wir keine Sackgasse, sondern Potentiale, den städtischen Raum mit funktional wandelbaren Gebäudestrukturen weiterzudenken.