GROHE Digital Talks

Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Linus Hofrichter (sander.hofrichter architekten)

Wie sind die Auswirkungen der Krise auf Ihre laufenden Projekte? Ich denke zum Beispiel an Ihren Campus des Zentral-Klinikums in Lörrach!

Wir sind Teil einer sehr vielfältigen multikulturellen Gesellschaft in Deutschland. Und wir als Planende in der Bauwirtschaft dürfen uns überhaupt nicht beklagen. Als Spezialisten für Krankenhausbau und Bauten der sozialen Infrastruktur – wir bauen ja zu neunzig Prozent Krankenhäuser, Schulen, Bildungsstätten und Hochschulbauten – haben wir Corona nur sehr geringfügig gespürt. Unsere Baustellen sind genauso weitergelaufen, teilweise sogar besser als vorher, weil die Handwerker auf manchen privaten Baustellen wegen der Befürchtung der Ansteckung nicht mehr weiterarbeiten durften. Stattdessen kamen sie dann verstärkt auf unsere Baustellen. Wir hatten beispielsweise auf der Baustelle des Landtags in Rheinland-Pfalz in Mainz vor der Corona-Krise Personalengpässe und seit der Krise nicht mehr. Mit Ausnahme eines Altenpflegeheims, das wegen des sehr sensiblen Bereiches mit den alten Menschen verständlicherweise gestoppt wurde, hatten wir keine Unterbrechungen auf den Baustellen. In Bezug auf das Zentral-Klinikum in Lörrach werden wir in einigen Monaten mit dem Bau beginnen, die vorbereitenden Maßnahmen laufen auf Hochtouren und der Terminplan wurde eingehalten. Von Verzögerung und Reduktion nichts zu spüren!

In mittel- und langfristiger Hinsicht machen wir uns natürlich ein wenig Sorgen, dass Gelder für Krankenhausund Bildungsbauten fehlen werden und dass Häuser, die für 2021/2022 geplant waren, erst in vier Jahren oder später kommen. Obwohl momentan die Politik befürwortet, alle Ausschreibungen weiterlaufen zu lassen. Gerade im Bereich der Sozialbauten, Krankenhäuser und Schulen haben wir in Deutschland dringenden Nachholbedarf.

 

Müssen wir zukünftig die Planung der Krankenhausstrukturen an einem Extremszenario wie der Corona-Pandemie ausrichten? Ist das überhaupt finanzierbar und damit möglich?

Es ist möglich, wenn wir unseren intelligenten und bereits gestarteten Konzentrationsprozess weiterfahren und Standorte schließen. In Hannover wurden beispielsweise mit Siloah, Oststadt und Heidehaus drei Krankenhäuser geschlossen und gleichzeitig wurde ein neues Klinikum gebaut. Wir beteiligen uns gerade am Wettbewerb in Georgsheil in Ostfriesland. Dort hat jetzt die Politik nach langen Bürgerprotesten beschlossen, drei Krankenhäuser zu schließen und geographisch genau in der Mitte ein Neues zu errichten. Weiterhin planen wir derzeit in Lohr zwischen  Aschaffenburg und Würzburg im Spessart ein neues Krankenhaus. Dafür werden vier Krankenhäuser geschlossen. Die Entfernungen für die Patienten sind geringfügig weiter, aber immer noch zumutbar. Das heißt, diese Konzentrationsprozesse, aus vier Krankenhäusern eines zu machen, bedeutet auch, dass wir weniger Personal an verschiedenen Orten benötigen. Über diese Lösung würde sich natürlich auch im gewissen Sinn der Pflegenotstand lösen. Für ein einzelnes Krankenhaus benötigen wir natürlich deutlich weniger Pfleger als für vier. Auf dem Papier ergibt sich damit ein gewisser Stellenabbau, aber wenn die Stellen eh nicht besetzt sind, bedeutet das eine höhere Pflegequalität. Und diesen Kurs gilt es unbedingt weiterzuverfolgen. Nur weil wir jetzt gut durch die Krise gekommen sind, müssen wir nicht an alten Strukturen festhalten und weiterhin alle fünf Kilometer ein Krankenhaus haben. Im Gegenteil, wir müssen weiter diesen Konzentrations- und Konsolidierungsprozess fahren und gezielt auf der Landkarte schauen, wo man welche Krankenhäuser benötigt; und wir müssen die Krankenhausträger dazu anhalten, Schwerpunkte zu bilden.

Es kann durchaus sein, dass in einer Stadt fünf Krankenhäuser sinnvoll sind, es kann aber nicht sein, dass sich jedes dieser fünf Häuser auf das Gleiche spezialisiert. Durch unterschiedliche Spezialisierungen auf verschiedene Krankheitsbilder pro Klinik können wir eine bessere Qualität der medizinischen Versorgung gewährleisten. Und damit das regional bestehende Überangebot aufheben. Was nicht heißt, dass es nicht regional kleine Häuser zur Krankenversorgung geben sollte. Ich bin kein Freund einer extremen Konzentration, wie sie in Dänemark praktiziert wird, wo es landesweit nur acht große Krankenhäuser gibt. Diese Kultur haben wir Gott sei Dank nicht. Wir werden nie auf zehn oder zwanzig Krankenhäuser pro Bundesland runtergehen. Wir werden keine zweitausend Krankenhäuser mehr benötigen, wir brauchen vielleicht nur noch tausend. Dass wir nur noch 300 brauchen, wie manche Studien sagen, das ist meines Erachtens unrealistisch und auch nicht gut im Sinne der Bevölkerung. Im Falle einer Pandemie können wir ja nicht hundert Kilometer bis zum nächsten Krankenhaus fahren. Die Franzosen hatten überhaupt keine Kapazitäten und haben dann die Leute über Hunderte von Kilometern von Nord-Frankreich nach Süd-Frankreich verlegt, weil dort noch Betten frei waren. Also so etwas dürfen wir uns nicht erlauben. Es ist essentiell wichtig, dass wir in Bezug auf die Bevölkerungszahlen eine relativ gleichmäßige Krankenversorgung garantieren.

Was mir noch wichtig wäre zu erwähnen: es sollte im Krankenhausbau endlich die Diskussion über das Bauen von ausschließlich Einbettzimmern, sowohl in der Normal- als auch in der Intensivpflege, einfließen. Das ist etwas, was wir in Deutschland immer noch nicht verstanden haben, weil wir immer der Meinung sind, sie sind zu teuer und wir können sie uns nicht leisten. Schon allein unter dem Gesichtspunkt der Infektionen oder anderer ansteckender Krankheiten haben Einbettzimmer einen enormen Mehrwert. Es wäre für mich sehr wichtig, dass wir die durch die Krise gewonnenen Erfahrungen mit der Distanz auch auf unsere Bautypologien übertragen.

 

Krankenhäuser werden sich weltweit verändern, bedingt durch neue Technologien und demographische und wirtschaftlichen Veränderungen. Können Sie uns einen Einblick verschaffen, wie Sie das Universitätsspital Zürich in die Zukunft führen werden?

Ich habe soeben erwähnt, dass ich diese Megastrukturen kritisch sehe. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir große Krankenhäuser brauchen, wo man besonders schwierige, ganz extreme Krankheiten oder ganz schwere Verletzungen behandeln können muss. Die besten Mediziner und besten Forscher müssen dort zusammenkommen, behandeln und forschen. Im Falle eines ganz schwierigen Hirntumors erhalten Sie womöglich in einem normalen Krankenhaus die Aussage, das er nicht operabel oder das Risiko zu groß ist. In einer Spitzenklinik, die täglich solche High-End-Fälle behandelt, ist man ganz anders aufgehoben. Ich glaube, dass wir in unserer medizinischen Entwicklung nur weiterkommen, wenn wir auch an den Grenzbereich gehen. Hätte es die erste Herzoperation nie gegeben, dann hätten wir heute viele Dinge nicht gelöst. Ich bin ein fortschrittsgläubiger Mensch. Auch im Rahmen vieler ethischer Fragen sollten wir Spitzenmedizin immer fördern.

Um auf unser Projekt in Zürich zu kommen: In Zürich gibt es die Uniklinik oben auf dem Zürichberg und mitten in der Stadt. Sie liegt direkt neben der Universität und direkt neben der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Die Schweizer wollen die Spitzenmedizin dort belassen, weil es der richtige Ort für die Forschung und Wissenschaft ist. Auch für die Studierenden ist es wichtig, dass es Universitätsspitäler gibt, die vernetzt sind. Die ETH entwickelt zum Beispiel Roboter und entwickelt Medizinprodukte. Und diese werden dann im Uniklinikum daneben eingesetzt oder getestet. Dieses Miteinander der disziplinären Forschung aus der Universität, aus der Universitätsklinik und der ETH war ausschlaggebend für die Entscheidung, an diesem Campus zu bleiben. Allerdings folgte dann die Überlegung, dass man große Teile der vor- und nachstationären Untersuchungen und ambulante und teilambulante Leistungen nicht auch noch mitten in der Stadt erbringen wollte, sondern in einem eigenen Krankenhaus am Rande der Stadt. Dann haben die Züricher etwas sehr Innovatives getan, sie haben am Flughafen in Kloten ein neues Gebäude eröffnet, wo sämtliche Routine- oder Präventivuntersuchungen stattfinden. Man hat vorher festgestellt, dass die Erreichbarkeit direkt am Flughafen in Zürich hervorragend ist, weil dort sämtliche Straßenbahnen, die U-Bahnen und die Buslinien hinfahren. Und die im Kanton Zürich lebenden Menschen erreichen den Flughafen mindestens genauso gut wie die Innenstadt von Zürich.

In dem von uns derzeit entwickelten Spital in der City von Zürich werden insbesondere die Schwerkranken – und Notfälle behandelt. Es gibt eine große Notaufnahme mit zwei Dach-Hubschrauber-Landeplätzen, wo Polytraumen und andere ganz schwere Fälle sofort versorgt werden. Im zweiten Bauabschnitt wird es weitere Spezialintensivstationen für Brandverletzte, für Knochenmarktransplantationen usw. geben. Also High-End-Medizin in einem Krankenhaus mitten in der Stadt. Und viele planbare und vor- und nachstationäre Fälle, die einem Arztbesuch gleichkommen, finden zum Großteil draußen am Flughafen statt. Die Schweizer haben hiermit ein sehr gutes und interessantes Konzept entwickelt. Der erste Bauabschnitt, den wir jetzt bauen, entspricht einem sehr kompakten Krankenhaus mit 24 OP-Sälen und hundert Intensivbetten. Wir planen dieses Projekt gemeinsam mit den renommierten Schweizer Kollegen Christ & Gantenbein aus Basel. Sie sind hervorragende Architekten, die aber noch nie zuvor ein Krankenhaus gebaut haben. Wir als Krankenhausarchitekten und Spitalplaner haben gerade in solch großen, komplexen Strukturen weitreichende Erfahrungen und können maßgeblich zum Gelingen dieses extrem anspruchsvollen Projekts beitragen. Die Zusammenarbeit ist sehr fruchtbar, vertrauensvoll und spannend. Sie hat uns dazu beflügelt, uns noch mehr mit städtebaulichen Themen, mit Fassaden und mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Gemeinsam haben wir das Ziel, später ein gut funktionierendes Krankenhaus im Sinne der Patienten, der Ärzte und der Pflegenden zu übergeben. Ich bin überzeugt, dass wir dort einen Leuchtturm platzieren werden, sowohl in Bezug auf die Nachhaltigkeit, den Städtebau, die Ästhetik des Gebäudes als auch die funktionale medizinische Struktur.

Lesen Sie das vollständige Interview mit Linus Hofrichter auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.

 

Über Linus Horichter

Linus Hofrichter hat von 1979 bis 1986 an der Universität Karlsruhe (TH) Bauingenieurwesen und Architektur studiert. Seit 1996 ist er Inhaber von sander.hofrichter architekten. 1997 wurde er in den Bund Deutscher Architekten (BDA) berufen. Seit 2003 ist er Mitglied und seit 2006 stellvertretender Vorsitzender des Vereins Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen e.V. (AKG), Berlin. Seit 2008 ist er Mitglied des Expertenausschusses für DIN-Normen im Krankenhausbau (EDK), Berlin. Die Professur für Krankenhausplanung an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen hat Linus Hofrichter seit 2012 inne. Seit 2014 ist er einer der Geschäftsführenden Gesellschafter der sander.hofrichter architekten GmbH Gesellschaft für Architektur und Generalplanung. (www.a-sh.de)

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