Sie haben größtenteils in der Schweiz gelernt und gearbeitet. Was macht die Schweizer Architektur für Sie aus?
Wir denken, die Schweiz ist im internationalen Vergleich für ihr gutes Handwerk bekannt. Außerdem genießen die Architektur und der Architekt in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Diesen Wert müssen wir uns aber immer wieder neu erobern. Man spricht oft über das Erfolgsmodell der Schweiz: Wenn man hier ein Handwerk erlernt, landet man im Grunde direkt am ersten Arbeitstag auf der Baustelle. So kann man in der Praxis das Handwerk schnell und von Grund auf lernen. Das führt dazu, dass die bauliche Substanz tendenziell robust und langlebig wird. Aktuell planen wir den Umbau eines bald vierhundertjährigen Stalls, dessen gesamte Bausubstanz noch im Originalzustand erhalten ist. Es handelt sich hier natürlich nicht um das zeitgenössische Handwerk, aber um das Handwerk unserer Vorfahren, das uns heute ermöglicht, vielschichtige Architektur zu schaffen. Dabei bemühen wir uns sehr, den Bestand zu respektieren und das historische Handwerk in seiner Qualität zu erhalten.
Gibt es Einflüsse aus anderen Kulturen, die Sie in Ihre Arbeit einfließen lassen?
Ehrlich gesagt, eher weniger. Die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Kultur genügt uns im Moment. Es gibt hier ausreichend Themen und Vorbilder, die komplex und interessant genug sind, um sie in zeitgenössische Architektur umzusetzen. Aber wir sind äußeren Einflüssen gegenüber immer offen. Für uns ist es besonders spannend zu erkennen, wieso etwas, aus der Vergangenheit begründet, heute so aussieht wie wir es vorfinden. Die regionalen Prinzipien, nach denen aus dem Alltag heraus gebaut wurde, lassen sich bei einer eingehenden Betrachtung von Gebäude und Kontext stets klar erfassen, das übt auf uns eine enorme Faszination aus. So lässt sich nicht nur in den eigenen, sondern auch in andere Kulturrahmen eintauchen, aus denen wir rekontextualisieren und immer auch etwas für unsere Arbeit mitnehmen können. Wir genießen im Bergell, vor allem in Soglio, das Privileg, dass von der ärmlichen Bauernkultur bis zu den großherrschaftlichen Palazzi inhaltlich vieles vorhanden und erlebbar ist. Wir haben uns bewusst dafür entschieden uns hier niederzulassen. Im Moment verstehen wir uns als Tal- und Dorfarchitekten, die wichtiger Teil der Gesellschaft und der Kultur sind.
Worauf sind Sie rückblickend in Bezug auf Ihre Arbeit besonders stolz?
Wir haben eher zufällig nach dem Studium begonnen, uns mit dem Bergell intensiv auseinanderzusetzen. Wir haben uns hier etwas aufgebaut und eine Haltung entwickelt, von der wir nicht abgewichen sind. Für uns sind gewisse Schlagworte wichtig, die in all unseren Projekten zum Tragen kommen wie Selbstverständlichkeit, Direktheit und Robustheit. Wir haben nicht die eine formelle Linie, an der man uns visuell wiedererkennt. Wir haben eine konstante Haltung und gewisse Werte, die wir vertreten. Darauf aufbauend, schauen wir auf den Kontext und arbeiten dann stark am Inhalt und am Charakter, um Projekte zu erarbeiten, die im idealen Fall Eigenständigkeit und eine spezifische Standortzugehörigkeit ausstrahlen. Eine wieder erkennbare Handschrift zu entwickeln, hat uns bisher nicht wirklich interessiert.
Was uns fasziniert, sind zum Beispiel Grundrisse, die nicht so spezifisch sind, dass die nächste Generation nichts mehr damit anfangen kann. Eine gewisse Nutzungsneutralität der Räume, ohne den Charakter, die Atmosphäre und die Gemütlichkeit aus den Augen zu verlieren, ist für uns von zentraler Wichtigkeit. Langlebigkeit wird so durch flexible Nutzbarkeit erreicht. Unsere Architektur soll in dreißig Jahren auch noch für die nächste Generation leicht nutzbar sein, denn das bedeutet für uns Nachhaltigkeit.
„Upcoming Architects Facing New Conditions“ ist der Titel unserer Interviewserie. Was sind für Sie die wesentlichen Conditions mit denen Sie sich konfrontiert sehen?
In der Architekturdiskussion geht es aktuell vor allem um die Probleme, mit denen sich die Städte konfrontiert sehen, wie zum Beispiel die Ressourcenknappheit, etwa von Boden oder von Energieträgern. Wir im Bergell spüren diesen Druck nicht auf dieselbe Art und Weise, weil hier das Verhältnis von Siedlungsgebieten und naturnahen Räumen ein ganz anderes ist. Dennoch beschäftigen uns die genannten Themen gleichermaßen. Hinzu kommt der fortwährend stärker werdender Einfluss von digitalen Technologien. Die neuen Möglichkeiten, die dadurch entstehen, interessieren uns sehr.
Wir suchen bei allen Möglichkeiten, aber auch immer wieder die Rückbesinnung auf das Elementare, dorthin muss die Architektur immer wieder zurückfinden. Wir erleben, dass die gesetzlichen Grundlagen stark von den klimatischen Veränderungen geprägt sind und trotzdem für das Bergell nur zu Teilen brauchbar sind. Wir kämpfen hier beispielsweise damit, dass der Wald unsere Kulturlandschaft wieder zurückerobert. Unser Problem ist also ein ganz anderes als in den urbanen Zentren, wo Fläche etwa durch Zersiedelung verloren geht.
Wie muss nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen Ihrer Meinung nach aussehen?
Wenn die Ressourcen da sind, dann können wir sie auch nutzen. Wie schon erwähnt: Wir haben hier viel Wald. Wir sollten entsprechend mit unserem heimischen Holz bauen können. Aber das Holz, das hier geschnitten wird, geht nach Italien und wir verbauen dann letztlich im Bergell Holz aus anderen Regionen Europas. Die Globalisierung ist bei uns also genauso präsent wie anderswo. Eine heile Welt ist das nicht. Auch das Heizen ist für uns an dieser Stelle Thema, denn wir sind keine Freunde von viel Gebäudetechnik, die nur eine gewisse Lebensdauer hat. Wir glauben, Energie zu sparen, ist für uns als Menschen sehr schwierig. Wir müssen unserer Meinung nach eher Wege finden, mehr Energie zu produzieren, ohne die Umwelt zu belasten.
Ressourcenschonend zu handeln, beginnt mit einem Bewusstsein für die Dinge und ihre Lebensdauer, und genau dieses Bewusstsein versuchen wir ständig weiterzuentwickeln und weiterzutragen. Uns muss klar sein, dass wir mit unserem Handeln auch noch Jahre später Folgen auslösen können. Dieses Wissen auch an unsere Bauherren weiterzugeben, ist Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung.
Was sind für Sie die drei wichtigsten Handlungsfelder zur Förderung nachhaltiger Architektur?
Ein wichtiger Punkt ist eine präzise Raumplanung mit sinnvollen Maßstäben und gute Baugesetze, die den Rahmen schaffen, um ressourcenschonend zu bauen. Weiterhin ist die vielfältige Nutzungsdurchmischung in baulicher Dichte, also auf kleinem Grund möglichst qualitativ hochwertig und divers arbeiten zu können, von zentraler Bedeutung, sodass keine Monokulturen entstehen. Und zu guter Letzt braucht es eine stärkere lokale Bauwirtschaft.
Wie empfinden Sie die Architekturentwicklung in der Gesamtschweiz und in Europa?
Schweizweit betrachtet haben wir immer das Gefühl, dass die durchschnittliche Architektur einen immer höheren Wert bekommt. Aber wir nehmen auch wahr, dass die Schere zwischen der Architektur, die in Zeitschriften kursiert und derjenigen, die vielerorts alltäglich zu erleben ist, auseinander geht. Diese Tendenz ist langfristig nicht gut. Wir vermuten, dass dieses Problem europaweit zu finden ist. Wir sind davon überzeugt, dass es unglaublich wichtig ist, dass die Durchschnittsarchitektur von guter Substanz ist und langfristig funktioniert. Dafür sind wiederum die Raumplanung und die bauliche Diversität von entscheidender Bedeutung, ebenso eine möglichst große Breite an guten Architekten
Brauchen wir grundlegend ein anderes Verständnis von Gebäuden für die Zukunft?
Wahrscheinlich schon. Wobei das nötige Verständnis wieder eng mit der spezifischen Umgebung verknüpft ist, in der man lebt und baut. BIM ist äußerst intelligent und hat Vorteile. Aber wie oft werden wir die Gelegenheit bekommen, um BIM wirklich anzuwenden? Gerade bei historischen Bausubstanzen, rennt man bis zu zweimal am Tag auf die Baustelle, weil wiederholt etwas Unvorhergesehenes passiert ist. BIM braucht es hier wahrscheinlich noch nicht. Das Bauen ist immer noch sehr archaisch. In diesem Sinne sind wir also sehr analog und hoffen, dass wir auch weiterhin so arbeiten können.
Wir glauben, es täte gut, wenn man hin und wieder Luft dazu hätte, das konventionelle Bauen über Bord zu werfen, um darüber nachdenken zu können, was elementar und sinnvoll in der Architektur wäre. Ein Beispiel ist der Einbau von Lüftungsanlagen in den Rohbau. Erfahrungsgemäß ist das Lüftungssystem das Bauwerkteil mit der kürzesten Lebensdauer und trotzdem ist genau dieser am engsten mit dem Gebäude verbaut – das ist einfach unlogisch. Spannend finden wir beim Thema Gebäudeklimatisierung zum Beispiel auch die Nutzung der Qualität von Lehm zur natürlichen Befeuchtung und Klimatisierung von Räumen. Sicher, für derartige Überlegungen braucht man auch die richtigen Bauherren, aber alles mit Technik regulieren zu wollen, ist in unseren Augen auf jeden Fall nicht die Lösung. In der Schweiz muss das Haus energetisch „State of the Art“ sein, sodass bestimmte Dinge, die wir am historischen Altbau so schätzen, oft nicht mehr möglich sind; wie im Winter kompakter zu leben und Räume mit Zwischenklima zu haben, wo Gemüse wunderbar lagern kann. Also ein Gebäude mit verschiedenen klimatischen Zonen. In neuen Häusern gibt es solche Zonen – oder besser Räume – nur ganz selten.
Was sollte Architektur leisten, wem sollte Architektur dienen?
Sie muss mehr leisten als den meisten bewusst ist. Einfach formuliert kann man sagen: Wir leben in unserer gebauten Umwelt und das hat einen direkten Einfluss auf unsere Gefühlswelt. Darum müssen wir eine gute Umwelt bauen, wo sich Menschen wohlfühlen können, und nicht nur Partikularinteressen des Einzelnen erfüllt werden. Am Ende bauen wir Lebensraum für uns als Gesellschaft und für das Zusammenleben. Wir meinen, das bedeutet eine enorm hohe Verantwortung. Wir glauben, dass dieses Bewusstsein politisch zu wenig verankert ist.
Natürlich kann man dieses Verständnis nicht von jedem Einzelnen erwarten, aber wir versuchen immer wieder unseren Bauherren deutlich zu machen: „Wenn kein Weg daran vorbeiführt, können Sie Ihr Bad so gestalten wie Sie möchten, aber wie das Gebäude ausgerichtet und erschlossen ist und welchen Ausdruck und Charakter es haben muss, das müssen schon wir maßgeblich bestimmen, einfach, weil wir vom Fach sind und die angesprochene gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.“
Welche Skills müssen aus Ihrer Sicht upcoming architects mitbringen, um sich von der Architekturgeneration ihrer Väter zu unterscheiden?
Sie sollten noch hartnäckiger sein. Wir haben das Gefühl, früher gab es mehr Möglichkeiten und Überfluss. Es gab viel mehr Raum, um sich auszuprobieren und zu bauen. Heute muss man geduldiger sein und sich viel mehr im Kleinen und im Detail bewegen, um sich zu positionieren und bestehen zu können. Das Bauen ist in allen Bereichen komplexer geworden. Wir müssen auf allen Ebenen verständig und tätig sein, die das Bauen ausmachen (von der Raumplanung über die Ausführung bis hin zu juristischen Dingen), um auch an Einfluss zu gewinnen.
Max Frisch hat mal gesagt, der Architekt muss immer auch politisch sein. Wir müssen uns breit aufstellen und interessieren und uns Zeit nehmen, um die Dinge zu durchleuchten. Denn wenn wir die Ausgangslage nicht genau analysieren und den technischen wie juristischen Anforderungen nicht gerecht werden können, dann können wir nicht erfolgreich bauen. Natürlich ist das ein Problem, denn gerade die Zeit ist der Faktor, der in der Architektur oft fehlt und zu schlechten Ergebnissen führt. So entsteht auch technokratische Architektur, die nur noch versucht, den Normen zu entsprechen. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, ist es wichtig, dass das erlangte Wissen auch immer wieder in die Lehre zurückfließt. Denn auch die jüngeren Generationen stehen in der Verantwortung, aus diesem Normensalat zeitgemäße und zukunftsfähige Architektur zu machen.