Sie haben 2007 das Büro zusammen mit Nicole Beganski gegründet. Wie hat sich seitdem Ihr Handeln, Ihr Denken und Ihr tägliches Business verändert?
Die alltägliche Arbeit hat sich nicht verändert, aber die Architektur. Ich denke, wir sind in einer Zeit, die relativ zügig pragmatische Lösungen erfordert. Wenn ich an Schulen und Kindergärten, aber auch an den Wohnungsbau denke, dann fällt auf, dass sich vieles völlig anders darstellt als noch vor vierzehn Jahren. Ich glaube, das Berufsbild des Architekten hat sich dahingehend geändert, dass wir nicht mehr nur über den Dingen stehen und auf der Suche nach dem Künstlerischen und Schönen sind. Wir arbeiten häufig als Generalplaner mit Fachplanern wie Haustechnikern, Tragwerksplanern und Bauphysikern an einer Gesamtlösung. Es reicht nicht mehr, nur ein schönes Haus zu bauen; das schöne Haus muss auch funktionieren, fertiggestellt und in Nutzung gebracht werden. Das Berufsbild ist dadurch viel komplexer geworden.
Im digitalen Zeitalter ist ein interdisziplinäres Miteinander aller Bauprozessbeteiligten unabdingbar. Funktioniert dieser Anspruch in der täglichen Zusammenarbeit?
Ich glaube, die Digitalisierung ist im Bereich Darstellungsart und Entwurf gar nicht am interessantesten. Die Gestaltung der Schnittstellen zu anderen Disziplinen ist das Spannende. Wir erstellen Pläne immer so, dass sie von unseren Planungspartnern eins zu eins übernommen werden können. Das heißt, die Digitalisierung bleibt nicht auf der planerischen Entwurfsebene hängen, sondern nimmt direkten Einfluss auf die Produktion. Darüber hinaus sparen die Produzenten mit der externen Vorplanung Arbeitskräfte ein, die sie ohnehin nicht mehr haben. Diese Form der engen Zusammenarbeit ist ein spannender Lernprozess, von dem beide Seiten profitieren können und der die architektonische Arbeit künftig maßgebenden beeinflussen wird.
Sie haben einige Zeit für SANAA in Tokio gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie geprägt? Was ist Ihr Anspruch an die Architektur?
Die Japaner gehen anders an den Entwurfs- und Planungsprozess heran, sie suchen gerne. Das ist aber nicht immer nur gut. Manchmal ist die Suche sogar ziemlich anstrengend. Sanaa ist ein außergewöhnliches Büro mit außergewöhnlichen Aufträgen und einer außergewöhnlichen Qualität. Was man dort lernen kann, ist, dass ein hoher Anspruch erreichbar ist, wenn man an ihn glaubt und konsequent verfolgt. Genau da tut sich die Gefahr bei unserem aktuellen Bauboom auf, denn durch die große Menge an Bauprojekten, besteht die Gefahr, die Qualität aus den Augen zu verlieren. Wir müssen uns bewusst machen: Im schlechtesten Fall bauen wir heute die Ruinen, die wir in zwanzig Jahren sanieren müssen. Qualität ist damit eine Haltungsfrage, die man so umsetzen muss, dass sich die Bauherrenschaft diese auch leisten kann. Qualität bedeutet nicht, es möglichst kompliziert und teuer zu machen, sondern ein Gebäude so intelligent herzustellen, dass es in den nächsten dreißig Jahren auf alle Nutzungsanforderungen reagieren kann, ohne währenddessen schmuddelig oder unangenehm zu werden. Unser Anspruch dabei ist stets, Räume zu schaffen, in denen sich Menschen wohlfühlen, die Interesse wecken und die gerne dauerhaft genutzt werden. Das hat viel mit der Raumqualität und weniger mit der Raumgröße zu tun. Es gibt wahnsinnig schöne Beispiele, wie man auf kleinstem Raum durch eine gute Planung Qualitäten erzeugt, die dafür sorgen, dass das Beleben dieser Räume einfach Spaß macht. Ich denke, das ist es, was wir in die Zukunft tragen sollten.
Ist der Mensch zu sehr aus dem Fokus der Architektur geraten?
Vielleicht ja. Vielleicht war Architektur zu lange eine zu selbstbezogene Disziplin, die sich in Formalien verloren hat. Für uns bedeutet jede Bauaufgabe ein neues Herantasten an das konkrete Anforderungsprofil. Es ist ein großer Unterschied, ob ich für Menschen baue, die fünf oder 85 Jahre alt sind. Genau das ist es aber auch, was den Beruf so schön und interessant macht. Wir müssen uns immer wieder neu auf Situationen und Menschen einlassen; das ist eine wunderbare Aufgabe, dafür bin ich dankbar.
Hat sich das Nachfrageverhalten der Bauherrenschaft in Richtung Nachhaltigkeit seit der Pandemie verändert?
Bei den Öffentlichen, ja. Bei der Immobilienbranche bin ich noch skeptisch. Das Erstaunliche ist, dass der Wohnungsmarkt noch recht uninteressiert ist. Das irritiert und macht ratlos. Diese Branche ist extrem konservativ: Gebaut werden noch immer Wohnungen für Mutter, Vater und zwei Kinder. Die mittlerweile gefragte Flexibilität ist im individuellen Fall immer einfach umzusetzen, der klassische Immobilienmarkt verharrt dagegen in einer abwartenden Haltung.
Alles eine Frage von Angebot und Nachfrage. Die Menschen sind zufrieden mit Grundrissen, die Ihnen seit 30 Jahren und länger vertraut sind.
Das ist ein Problem und ein wahnsinnig dickes Brett, das es zu bohren gilt. Die Aufgabe unserer Zunft ist, glaube ich, Möglichkeiten aufzuzeigen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Es geht dabei um die Frage, was der Mensch vom gebauten Raum überhaupt will. Oftmals fehlt es den Leuten an Vorstellungskraft. Sie wissen alles über Ayurveda in Südthailand, über ihr Leben und ihre Gesundheit, aber ihr Lebensumfeld ist demgegenüber oft unglaublich uninspiriert. Das hört sich ernüchternd an, ist aber im Grunde eine gute Ausgangslage und Aufgabe für die Architektenschaft. Wir bauen beispielsweise relativ viele Schulen und Kindergärten; auch da müssen wir Raumangebote machen, die über das alltäglich Gewohnte hinausgeht. Es ist ganz wichtig Räume anzubieten, in denen man andere Erfahrungen machen kann als zu Hause. Wenn wir Kinder in Baucontainer stecken, weil uns auf die Schnelle keine besseren Ideen kommen, dürfen wir uns nicht wundern, wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Kinder haben über Kindergarten oder Vorschule das erste Mal die Möglichkeit, täglich und lebensnah mit anderen Raumstrukturen als die des Wohnungsbaus in Kontakt zu treten. Dessen muss man sich bewusst sein und diese Chance müssen wir entsprechend nutzen.
Wir brauchen dringend Wohnungen in Deutschland: sollte sich der Staat wieder mehr einmischen und auch den sozialen Wohnungsbau mehr fördern?
Es ist schon erstaunlich, dass sich die öffentliche Hand so komplett aus der ganzen Sache herauszieht. Sie ist eine der wenigen Player, die nicht gewinnmaximierend auf dem Markt arbeiten müsste. Wenn sie in einer Stadt auftreten und Wohnungen mit einer nur kleinen Rendite bauen würde, wäre das ein echtes Gegengewicht und Signal Richtung privater Marktteilnehmer.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung hin zur zirkulären Kreislaufwirtschaft?
Grundsätzlich finde ich die Entwicklung richtig, wenn sie nicht zum formalen Dogma verkommt. Mittlerweile leben fast acht Milliarden Menschen auf der Erde und da muss man sich zwangsläufig Gedanken darüber machen, was mit Dingen geschieht, die man nicht mehr braucht. Das hat einfach mit gesundem Menschenverstand zu tun. Die Gesamtbetrachtung eines Gebäudes vom ersten gefällten Baum bis zur finalen Abrissmaterialverwertung sollte zur Selbstverständlichkeit werden. Wenn wir Holzkonstruktionen bauen, müssen diese zum Schluss nicht gesprengt werden, sondern können eins zu eins wieder auseinandergeschraubt werden. Natürlich gibt es trotzdem auch Bereiche, wo wir noch keine technische Lösung gefunden haben wie beispielsweise beim Thema Wasserdichtigkeit und Abdichtungsbahnen. Es muss also noch weiter geforscht werden, um zu ergründen, wie wir hier besser und nachhaltiger werden können.
Der verantwortungsvolle Umgang mit der weltweit immer knapper werdenden Ressource Wasser ist eine Herausforderung! Was würden Sie sich bezüglich der Thematik Wasser wünschen?
Wenn ich den Bauprozess als solchen nehme, gibt es nicht den einen Punkt der Korrekturbedarf hat. Es gehört immer alles zusammen. Physikalisch habe ich gelernt, dass man nicht mehr herstellen kann, als auf der Erde bereits existiert. Ich muss also mit den vorhandenen Ressourcen schonend umgehen. Da geht es nicht nur um den Wasserverbrauch während der Lebenszeit eines Gebäudes, sondern auch um den Verbrauch bei der Gebäudeherstellung und bei dessen Rückbau. Sinnvollerweise gehört außerdem das Wasser dazu, dass auf dem Grundstück regulär anfällt und dort versickert oder über Retentionsflächen zurückgehalten wird. Ich glaube, Gedanken zum Wassergesamtkreislauf stecken momentan noch in technischen Gedankenwelten der Fünfzigerjahre fest, bei denen man am Ende nur sagt: „Hauptsache es ist weg.“ Wir müssen damit viel sinnhafter umgehen. Wir müssen als hochzivilisiertes und sehr verdichtetes Land, das viele Flächen versiegelt hat, der Natur etwas zurückgeben. Ich habe einmal gelesen, dass in Niedersachsen im Januar alle Felder entwässert werden, nur damit im Februar und im März Dünger aufgebracht werden kann – weil man das laut Düngeverordnung vorher nämlich nicht darf. Da fragt man sich doch, ob das unser Ernst ist, wenn wir unser gutes Süßwasser irgendwo in die Nordsee entwässern, weil wir glauben, erst im Frühjahr Düngen zu dürfen.
Sie planen Wohngebäude, Kitas, Schulen und auch Firmenzentralen: Was denken Sie, wie werden wir in Zukunft wohnen, lernen und arbeiten?
Wir werden alle deutlich älter als vorangegangene Generationen und dabei brechen zunehmend Gesellschafts- und Familienstrukturen auf. Das Zusammenleben wird sich auf die großen Städte und deren direktes Umland konzentrieren, während manche Landstriche, fürchte ich, unumkehrbar ausbluten werden. Man wird erst recht keine jungen Familien halten können, denn die möchten neben ihren Arbeitsplätzen Einrichtungen wie Kita, Schule, Arzt und Krankenhaus in der Nähe wissen und all das findet sich nah nebeneinander in großen Zentren. Dazu kommt, dass wenn ein Paar heute mit Mitte zwanzig Kinder bekommt, nicht mehr gesagt ist, dass es in zwanzig Jahren noch in dieser klassischen Familienkonstellation lebt; das ist nicht mehr garantiert und auch gesellschaftlich akzeptiert. Die Option, die Eltern später zu sich zu holen, weil man sie braucht oder weil diese einen selbst brauchen, muss bei allen Überlegungen genauso mit eingeplant werden. Wir müssen also Räume und Gebäude schaffen, die auf derartige Lebenssituationen reagieren können. Im Bereich Bürogebäude ist es genauso. In Auseinandersetzung mit den Unternehmen stellen wir fest, dass es eigentlich am besten ist, nur einen ‚Rahmen‘ inklusive Infrastruktur herzustellen, den jeder selbst ausfüllen kann. Im Endeffekt gibt es das klassische Bürogebäude in der Stadt dann in der Folge langfristig nicht mehr; denn später könnte das Gebäude, ganz nach Bedarf, andere Funktionen aufnehmen, wie Wohnungen oder Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Pandemie dient in dieser Hinsicht als Brandbeschleuniger und hat nie hinterfragte Arbeits- und Lebensstrukturen flexibel gemacht. Das sind Erfahrungen, die uns noch weiter beschäftigen werden. Das Leben ist nun einmal sehr flexibel und Gebäude sind leider Gottes statisch. Als Architekten sollten wir versuchen, diese Gegensätze miteinander zu verschränken.
Sie haben den Deutschen Ziegelpreis 2021 für die Niederlassung der Stylepark AG in Frankfurt am Main gewonnen; eine sehr gelungene Symbiose aus Bestand und Neubau. Inwieweit wird die Verbindung von Alt und Neu die Architekten in Zukunft beschäftigen?
Wir bauen derzeit sowohl Neues als auch im Bestand. Ich habe vor meiner Tätigkeit bei SANAA im Büro Heinrich Böll in Essen am Erhalt der Zeche Zollverein mitgearbeitet. Für mich war immer normal und logisch, dass man Gebäude nicht abreißt. Ich denke, Baubestand zu haben ist ein Luxus. Im Grunde kann man nicht jedes Mal Vorhandenes abreißen und neu ersetzten, dafür muss man ja auch Geld, Ressource und Platz haben und das können sich auf der Welt vielleicht gerade einmal zwanzig Länder leisten. Das sowas nachhaltig totaler Unsinn ist, steht außer Frage. Natürlich kann es auch nicht nur den Altbau geben. Das Nebeneinander von alt und neu im Kontext, ist das, was uns beschäftigen wird.
Büro Intention
Neben den aktuellen Diskussionen um die verschiedenen Techniken zum Entwerfen von Raum steht für uns nicht die Methode
sondern der Raum als Lebensumfeld und die Wirkung auf den Menschen im Mittelpunkt. Dabei ist die Nutzung neuer Arbeitsmittel für die Entstehung neuer Raumgefüge wesentlich. Die Wichtigkeit liegt dennoch beim Entwerfen, der Kreativität durch Intuition für die Schaffung von Raumatmosphären. Architektur ist Raum. Sie umfasst Raumgefüge, Formfindung, Sichtbeziehungen und sinnliche Bezüge wie die Materialität, Oberflächenbeschaffenheit, Helligkeit, Farbgebung, Temperatur, Feuchtigkeit und Akustik. Zugleich verbindet sie sich mit der Komplexität, in interdisziplinären, zeitlichen, sozialen und ökonomischen Beziehungen zu stehen. Vielleicht bedingt diese Komplexität, dass oft zu wenig Augenmerk auf den Entwurf, das bewusste Erfahren von Raum und die Wirkung auf den Menschen gerichtet wird. Architektur darf nicht durch Automatismen ersetzt werden. Wiederholung und Normung nehmen uns die bewusste Wahrnehmung.