Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Gerhard G. Feldmeyer (HPP Architekten)
Herr Feldmeyer, wie geht es Ihnen in diesen Zeiten? Welche Gedanken bewegen Sie als Privatperson und als Unternehmer?
In beiderlei Hinsicht geht es mir sehr gut. Ich bin eigentlich, und das gilt auch für meine Kollegen, sehr optimistisch. Weil neben den tragischen Seiten dieser Krise auch erkennbar wird, dass sie gleichzeitig enorme Chancen offenbart. In einer fast achtwöchigen Phase haben wir uns mittlerweile entschleunigt und eine andere Perspektive auf viele Dinge eingenommen. Wir ziehen unsere Schlüsse nicht mehr so sehr reflex-basiert. Es wird mir jetzt nach und nach bewusst, dass wir in der Vergangenheit Fragen – ohne neue Gedanken zuzulassen – oftmals aus der Erfahrung und eben aus den Reflexen heraus beantwortet haben. Auch unsere Natur profitiert letzte Woche ein Gespräch mit einem Kollegen in Seoul in Korea, und in Seoul war es ja so, dass über die Jahre zunehmend vorwiegend aus China nach Korea übergetragener Smog das Bild der Stadt prägte. Nun sieht die Stadt Seoul seit Monaten komplett anders aus. Und das gilt auch für viele andere Dinge, diese Pause für unsere Umwelt macht mich sehr, sehr optimistisch und stimmt ist, durch weniger Abgase etwas zu bewirken.
Es werden viele positive Seiten dieser Entwicklung erkannt, aber hat die immer schnelllebigere Zeit nicht auch eine Kehrseite?
Ja, völlig richtig. Alle sind begeistert, dass wir z.B. viel weniger Meetings physisch abhalten müssen, da es mit Videokonferenzen großartig funktioniert. Ganz zu schweigen von der geringeren Reisetätigkeit, die damit einher geht. Ich bin diesbezüglich aber nicht ganz so euphorisch. Sicherlich werden wir zukünftig noch mehr auf die digitalen Werkzeuge setzen und mehr vom Homeoffice aus erledigen. Aber Menschen sind letztlich doch soziale Wesen und nicht irgendwie ein Teil eines digitalen Systems. Fakt ist, dass wir einen Teil unseres Wissens nicht mehr im Kopf speichern, sondern in unseren Smartphones. Wir merken uns viele Dinge nicht mehr, weil wir wissen, dass alles abrufbar ist. Das Smartphone als externe Festplatte unseres Gehirns. Das Thema der sozialen Kontakte dürfen wir aber auch in Zukunft nicht unterbewerten. Deshalb wird das Büro als Ort in keiner Weise überflüssig werden. Möglicherweise wird Desksharing in Verbindung mit Homeoffice anteilig zum Tragen kommen, aber es bleibt ein Ort der Identifikation: In der FAZ wurde es kürzlich von Sven Wingerter als eine Art „Lagerfeuer“ beschrieben, an dem dieser ‚Spirit‘ entsteht, damit ein Unternehmen auch als sozialer Organismus funktioniert. Ich glaube, dass diese Interaktion auch ein wesentlicher Treiber unserer Kreativität ist. Wir versuchen, aktuell Wettbewerbe auch mit Hilfe von Videokonferenzen voranzubringen und arbeiten dabei gleichzeitig auf mehreren Kontinenten zusammen. Ich verspüre aber bei komplexen Aufgaben immer wieder das Problem, dass ich doch gerne zum Stift greifen möchte, um etwas zu skizzieren. Natürlich kann man das auch digital tun, aber die Haptik ist unersetzlich und wird auch in den nächsten 100 Jahren nicht verschwinden.
Vielleicht wird das Büro als Ort der Begegnung dann mehr geschätzt denn je. Ja. Man wird auch noch ganz andere Dinge in die Bürowelt integrieren. Ich glaube, in wenigen Jahren gibt es in vielen Büros einen Fitnessclub. Möglicherweise werden Mitarbeitern vitale Food-Konzepte für die Mittagspause zur Auswahl gestellt. Einerseits als Wertschätzung, andererseits um vielleicht für gesunde Ernährung ein stärkeres Bewusstsein zu entwickeln. Wir haben in unserem neuen Büro in Düsseldorf einen multifunktionalen Raum mit integrierter Küche, wo wir die Themen Ernährung und Gesundheit fördern wollen. Das fällt unter den Begriff Achtsamkeit, ein Begriff, der jetzt in der Krise eine stärkere Beachtung erlangt hat. Den Begriff kannte ja kaum jemand vor einem Jahr. Interessanterweise habe ich anlässlich unserer Weihnachtsfeier 2018 meine Rede an die Mitarbeiter unter den Begriff Achtsamkeit gestellt. Ich fühle mich in besonderer Weise bestätigt, weil ich glaube, das wird auch in den zukünftigen Arbeitswelten eine große Bedeutung erlangen. Menschen sind nicht digital, sondern soziale Wesen.
Fast jede Bautypologie wird nach Corona zu überdenken sein und sich ändern. Wie sehen Sie das? Über Büros sprachen wir ja bereits.
Ja, absolut. Aber es wird nicht dazu führen, dass wir keine Hotels oder Büros mehr planen werden. Ich denke, dass die unterschiedlichen Bautypologien alle ein wenig anders funktionieren müssen. Wir arbeiten zum Beispiel gerade an einem ein Wohnungsbau-Projekt, dessen Auftraggeber, ein sehr erfahrener Bauträger, stoppte das Projekt, weil er die Corona-Auswirkungen erst einmal analysieren wollte. Die Frage, die sich ja stellt: Welche Erfahrungen aus Corona können wir in den Wohnungsbau der Zukunft integrieren? Wenn wir einen Rechtsanspruch auf Home Office bekommen, was bei der Politik ja in Bearbeitung ist und wovon ich auch ausgehe, dass es kommen wird, dann wird auch der Arbeitsplatz zuhause zumindest weitgehend den Arbeitsstätten-Richtlinien genügen müssen. Das wird sich gravierend auf die Wohnungsgrundrisse auswirken.
Lesen Sie das vollständige Interview mit HPP Architekten auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.
Über Gerhard G. Feldmayer (HPP Architekten)
Gerhard G. Feldmeyer, geboren 1956, studierte Architektur an der Universität Stuttgart sowie an der University of the Southbank in London. In den 80er Jahren arbeitete er im Büro Kikutake in Tokio sowie im Büro Gerkan, Marg und Partner in Hamburg. Seit 1989 ist Gerhard G. Feldmeyer bei HPP, wo er zunächst die Büros in Hamburg und Berlin leitete. Seit 2002 ist er in der Gesamtleitung des Büros. Gerhard G. Feldmeyer hatte einen Lehrauftrag an der Nippon University in Tokio, hält regelmäßig Vorträge und veröffentlicht in Büchern sowie Fachzeitschriften. Seine wichtigsten Publikationen sind „The New German Architecture“ und „HPP Hentrich-Petschnigg & Partner 1988 – 1998“, beides Rizzoli Verlag. (www.hpp.com)