Newcomer

Stipendiaten-Blog: Bastian Feltgen

In Partnerschaft mit der Sto-Stiftung

Zwei Jahre nach meinem Bachelorabschluss in Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart, habe ich im September 2017 den Master in Spatial Design an der Royal Danish Academy of Fine Arts in Kopenhagen begonnen. Die Möglichkeit sich als Design-, Innenarchitektur- oder Architekturabsolvent für diesen Master zu bewerben, schafft ein interessantes Fundament für zukünftige Kollaborationen zwischen Studenten mit unterschiedlichen Herkünften und Hintergründen. Das Bestreben des Programms voneinander zu lernen, zu kollaborieren und von den unterschiedlichen Hintergründen zu profitieren, wurde nach den ersten Veranstaltungen deutlich und ist nach wie vor der rote Faden, der sich bis heute durch das Programm zieht. Gruppenarbeiten werden so organisiert, dass jeweils eine gesunde Mischung aus Designern und Architekten sowie dänischen und internationalen Studenten besteht: Dies führt immer wieder zu interessanten Diskussionen und unerwarteten Ansätzen.

Das Semester fing mit einem zweiwöchigen Workshop mit dem Titel Ingestion an. Organisiert vom Institut für Architektur und Design, dienten die zwei Wochen vor allem der Orientierung sowie dem Kennenlernen und standen, wie schon die Einführungsveranstaltungen, unter dem Thema der Kollaboration. Masterstudenten der Programme Fashion-, Textile-, Ceramic-, Furniture- und Spatial-Design wurden in Zehnergruppen aufgeteilt und hatten die Aufgabe in diesen zwei Wochen ein Manifest zum Thema Ingestion zu entwerfen. Im Allgemeinen bedeutet Ingestion die Einnahme einer Substanz durch einen Organismus – ein sehr umfangreiches Thema, das zu anregenden, aber auch anstrengenden Diskussionen in unserer Gruppe führte. Eine einstimmige Entscheidung bezüglich eines Themas zu treffen, ist in einer Zehnergruppe gar nicht so einfach – schon gar nicht, wenn alle Mitglieder aus unterschiedlichen Sparten und Kulturen mit unterschiedlichen Ansichten kommen. Nach anderthalb Wochen, geprägt von langen Diskussionen, Annährungen und schlussendlich einem finalen Konzept bei dem sich alle einig waren, hatten wir noch drei Tage Zeit für die Umsetzung.

Die Idee war, einen Raum zu entwerfen, der sich mit unseren fünf Sinnen und deren Aufnahme auseinandersetzt. Letztendlich ist eine Installation entstanden, die einen Gradienten zwischen zwei Extremen manifestiert: Informationsüberfluss und Informationsmangel. Jeder einzelne Sinn wird beim Betreten der Installation überstimuliert und ruft unterschiedliche, meist unangenehme Emotionen hervor. Beim Durchlaufen der Installation verändert sich die Informationszufuhr bis hin zur totalen Informationsleere. Die Idee der beiden Extreme kann individuell interpretiert werden, soll jedoch ein gewisses Bewusstsein bezüglich unserer fünf Sinne schaffen und aufzeigen, wie eng Emotionen über die räumliche Wahrnehmung erzeugt und geleitet werden können.

Der Workshop bestand aus insgesamt zehn Zehnergruppen und bestach am Ende vor allem durch die unterschiedlichen Ansätze und Umsetzungen der Teams. Von Installationen, über interaktive Ausstellungen zum Thema Ingestion, bis hin zu gemeinschaftlichen Ess-Zeremonien wurde das Thema ausgereizt und umfangreich durchleuchtet. Der Workshop war ein interessanter Start in den Master an der Royal Danish Academy of Fine Arts und verdeutlichte das Potenzial von Kollaboration, auch wenn das Auseinandersetzen mit unterschiedlichen Charakteren nicht immer einfach ist.

Neben drei weiteren fünftägigen Workshops mit den Themen Tektonik, Geschichte und Anthropologie steht in diesem Semester vor allem der Entwurf im Vordergrund. Begleitet wird die Entwurfsarbeit von einem wöchentlichen Seminar, in dem wir theoretische Texte in Bezug auf Architektur, angelehnt an die drei Workshops Tektonik, Geschichte und Anthropologie diskutieren. Die Arbeit an den Entwürfen ist ziemlich frei und keineswegs mit den Entwurfsaufgaben aus meinem Bachelorstudium zu vergleichen.

Ohne eine wirkliche Aufgabenstellung haben wir uns in den ersten Wochen mit unterschiedlichen Gebieten in Kopenhagen auseinandergesetzt. Das Resultat waren Fotografien, Skizzen, Gespräche mit Anwohnern sowie Recherchen in Bezug auf die geschichtliche Entwicklung. Wir arbeiteten in Fünfergruppen an Zeichnungen und schufen so gemeinsam eine handgezeichnete Karte des Gebiets im Maßstab 1:500. Diese Karte repräsentiert unsere Interessensgebiete und dient nun als Anhaltspunkt für weitere, individuelle Recherchen.

Die letzen zwei Wochen haben wir damit verbracht, die gesammelten Informationen individuell zu bündeln und anhand dieser ein Programm zu schreiben, das nun unsere Designaufgabe beschreibt. Anstelle eines vorformulierten Problems haben wir uns mit einem Kontext beschäftigt und uns unsere Designaufgabe dadurch selbst erarbeitet. Das geschriebene Programm dient nun als Anhaltspunkt und Aufgabenstellung für die Abgabe im Januar.

Im Laufe der Zeit ist architektonischer Raum unweigerlich mit Veränderungen konfrontiert: Ideologienwandel, demografische Veränderungen und somit eine unumgängliche Reorganisation der Gesellschaft und der Nutzung von Raum. Das Gebiet um den Kopenhagener Assistenzfriedhof, Assistent Kirkegård in Nørrebro, ist ein interessantes Beispiel für Veränderungen im städtischen Kontext. Unter dem Druck der Gesellschaft wurden viele Räume in diesem Gebiet neu definiert und an aktuelle Lebensstile und moderne Ideologien angepasst. Kirchen wie Hellig Kors Kirke, Brorsons Kirke und Blågårds Kirke haben ihre Funktion entweder völlig verändert oder versuchen sich an das moderne Leben anzupassen. Nun finden in diesen (ehemals) religiösen Räumen nicht nur Messen, sondern auch Konzerte oder kulturelle Events statt; einige bieten sogar Übernachtungsmöglichkeiten.

Diese Neudefinition von architektonischen Raum unter dem Druck gesellschaftlicher Veränderungen ist ein spannender Prozess, den ich im Rahmen meines Entwurfs weiter untersuchen möchte.

Dabei rücken folgende Fragen in den Vordergrund:

1. Was passiert mit architektonischem Raum, der aufgrund langwieriger Veränderungen in der Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß ist?

2. Schränken diese nicht mehr zeitgemäßen Räume moderne Lebensstile eher ein, als dass sie sie unterstützen?

3. Darf man historischen Raum verändern und an die entstandenen Umstände anpassen, obwohl dieser vielleicht einen hohen historischen Wert hat?

4. Wenn ja, wie geht man als Architekt oder Designer mit dieser historischen Baulast um? Kann man historische Artefakte ändern, ohne dass sie ihre Bedeutung und ihren Status verlieren?

Mithilfe dieser Fragen beschäftige ich mich nun mit der Mauer, die den Assistenzfriedhof, Assistent Kirkegård in Nørrebro, einschließt. Interessanterweise hat sich im Laufe der Zeit die Funktion der Mauer erweitert: So schirmt sie nicht nur den Friedhof vom Rest der Stadt ab, sondern wird als Kommunikationsmittel und Präsentationswand für Flohmärkte und politische Gruppierungen genutzt, dient als Orientierungspunkt und in manchen Bereichen innerhalb des Friedhofs als tragendes Element für Grabsteine. Diese Anpassungen sowie die städtebauliche Planung ein Drittel des Friedhofs in einen Park umzuplanen, lassen es zu, den Status der Mauer zu hinterfragen. In Anbetracht der Veränderungen unter dem Druck der gesellschaftlichen Entwicklung, sieht es das Projekt vor, historische Artefakte anzupassen und dadurch urbane Entwicklungen und moderne Lebensstile zu unterstützen – ohne die historische Bedeutung und einstige Funktion der Mauer zu verlieren. Das Projekt wird sich mit der Möglichkeit der Anpassung der Mauer an ihre heutigen Funktionen beschäftigen. Da ich mich momentan noch am Anfang des Entwurfs befinde, kann ich relativ wenig zu den ersten Überlegungen schreiben, werde Anfang Januar aber sicher mehr zu berichten haben …


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