Eine Frage an… über Poesie & Technik

Poesie & Technik in der Architektur

Über ihre Gegensätze und Gemeinsamkeiten

Poesie und Technik in der Architektur sind augenscheinlich zwei völlig gegensätzliche Begriffe. Doch blickt man auf die Architektur wird deutlich, dass sie durchaus Hand in Hand gehen können – ja sogar müssen. Ohne Technik ist Architektur nicht denkbar, doch ohne Poesie ist sie nichts. Wie beides gelungen zusammenkommt – das ist die große Herausforderung. Dabei entsteht diese (unbewusste) Poesie auf ganz unterschiedliche Weise: Formen, Materialien, sowie der Kontext mit den kulturellen, gesellschaftlichen, ortstypischen und auch natürlichen Gegebenheiten, aber gerade auch die Kombination all dieser Dinge schaffen poetische Architektur.

Dass hinter jeder Meisterleistung der Architektur als Grundpfeiler auch ausgefeilte Technik steckt, die überhaupt erst die Großartigkeit des kreativen Entwurfs real werden lässt, wird oft übersehen. Doch gerade die Technik ist es, die gestalterisch geschickt eingesetzt als Verstärker dienen kann, der die poetische Dimension eines Baus überhaupt erst sichtbar werden lässt.

Architekten reagieren ganz unterschiedlich auf diese Kombination, wenn man sie danach fragt. So schreibt Andreas Krawczyk vom Büro „nkbak“ beispielsweise: „Haben wir es hierbei wirklich mit Gegensätzen zu tun? Technische Poesie oder poetische Technik – diese Aussagen schließen sich doch nicht aus. Ganz im Gegenteil: Die Verschmelzung des Lyrischen mit dem Analytischen ist das Schönste, was in einem Werk passieren kann.“ Und Anne- Francoise Jumeau von „Jumeau Architecture“ pflichtet ihm bei: „Diese Begriffe stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich bis ins Unendliche. Für mich ist das eine nie ohne das andere. Ein grundlegendes und untrennbares Postulat: Form + Funktion versus Poesie + Technik.“ Auch Günther Katherl von den Caramel Architekten findest, dass Poesie und Technik wunderbar zusammengehen. Und „sind kein Widerspruch an sich. Allerdings kann poetische Architektur ganz sicher auch ohne ausufernde Technik funktionieren, wogegen widerum Architektur gänzlich ohne Poesie nur schwer vorstellbar ist.“ Kurz und Knapp kommentiert Roland Bondzio von „lin Architekten“ die Gegenüberstellung so: „Ich sehe hier keinen Gegensatz.“ Derselben Meinung sind auch Mikkel Hallundbaek Schlesinger von „CEBRA“, oder Knut Stockhusen von „schlaich bergermann partner“ oder auch Julian Weber von „C.F. Moeller Architects“.

Der Hamburger Architekt Jan Störmer von „Murphy and Partners“ ist darüber hinaus der Meinung: „Jede Zeit findet Antworten auf diese Frage, die Trennung fand ab den fünfziger Jahren im 20. Jahrhunderts statt. Die Zeichnung, die Skizze, das Aquarell, ein Modell kennt kein Original, alles ist per Knopfdruck reproduzierbar in beliebiger Menge, sie führen selten zu poetischen Ergebnissen. Die Architektur ist geprägt von Politik, Stadtplanung, Projektentwicklern und Architekten, die diese Vorgaben meist nüchtern umsetzen. Poetisch sind oft nur noch die Solitärbauten.“ Und Titus Bernhard von „Titus Bernhard Architekten“ ergänzt auch hier mit einem schönen Bild: „Die Technik ist sozusagen das Schwarzbrot, die Voraussetzung für das objektive Gelingen, die Funktionalität des Bauwerks. Es kann funktionieren, muss aber deshalb noch lange nicht poetische Qualitäten aufweisen. Technik oder das Beherrschen des planerischen Handwerks und Poesie sind keine Widersprüche. Ein kulturell relevanter Beitrag hat Qualitäten, die eine Botschaft vermitteln, welche die Sinne anspricht.

Es ist die poetische Einbildungskraft, die das Wunder vollbringt, Materie in Bedeutung und Sinn zu verwandeln, während die entfesselte Imagination, blind für alle umfassenderen Zusammenhänge, immer wieder der Gefahr erliegt, sich in den Dienst eines triumphierenden Herrschaftswillens und anderer Megalomanien zu stellen. Aus dieser Einsicht heraus stimmt der Architekturhistoriker Alberto Pérez-Gómez in seinem Buch «Built upon Love» ein Loblied an auf die formende und zugleich befreiende Kraft der poetischen Fantasie: «Während die Technologie die Materie benutzt, um Gebrauchsgegenstände herzustellen, wird die Materie durch poetisches Schaffen befreit» – und zwar «ohne dabei den Tod zu verdecken, wie es technologische Errungenschaften so häufig tun.“

Das Thema Poesie und Technik, das wir bei zahlreichen Architekten für ein Referenzbuch für die Schöck AG abgerufen haben, beschäftigte die Architekten sehr. Manche wurden selber dabei zu Poeten, wie beispielsweise Thomas Jansen von „RKW Architekten“: „Architektur und Technik kommen in einem poetischen Kontext, wenn sich die beiden zunächst unterschiedlichen Persönlichkeiten vereinen wie ein Tanzpaar. Erst wenn beide die gleiche Idee von Rhythmus und Ausdruck in ihre Bewegungen übernommen haben, perfektionieren sie die ursprünglichen Gegensätzlichkeiten zu einer poetischen Spannung.“ Auch Binke Lenhardt von „Crossboundaries“ fand eine gute Erklärung zu dem ungleich scheinenden Paar: „Architektur und Poesie sind zwei Formen künstlerischen Ausdrucks, die grundsätzlich weit auseinander liegen – doch bestimmte Gebäude vermögen es intrinsisch sie anzunähern. Die Architektur vereint Wissenschaft und Kunst in der Umsetzung eines ästhetischen Anspruches und bedient sich dabei einer Technik, die das Potential hat, wissenschaftliche Regeln und architektonischen Ausdruck in Einklang zu bringen. Im klassischen Verständnis nach Vitruv kombiniert gelungene Architektur drei Hauptanforderungen, die Festigkeit (Firmitas), die Nützlichkeit (Utilitas), und die Schönheit (Venustas) in gleichem Maße und mit gleicher Wertigkeit. Die Schönheit lässt sich mit Poesie durchaus gleichsetzen.“ Auch Thomas Vietzke, „VBA“, sagt: „Ein gutes Beispiel, das zugleich die Spannung und die Auflösung dieser Spannung zwischen Poesie und Technik illustriert, stammt aus der Festigkeitslehre, also dem Teilgebiet der Statik, das im überkommenen antiken Dreiklang von Schönheit, Nützlichkeit und Solidität tradiert mit Firmitas bezeichnet wird. Der einfache Leitsatz lautet:  Es gibt kein Bauwerk ohne Tragwerk. So einfach lässt sich die Einsicht in die technische Bedingtheit eines Bauwerkes formulieren. Nur wenn man diesen Satz ganz fundamental versteht, nämlich als Maxime, dass das Tragwerk ursprünglich prägender Teil der architektonischen Artikulation werden soll: Beide Bereiche (Technik und Ästhetik) müssen in diesem Sinne als sich gegenseitig steigernde Funktionen desselben Ganzen gesehen werden. Das ist das Wesentliche am ästhetischen Begriff der integrierten Technik, hier der tragenden Bauteile. Poesie bedeutet also die plastische Verschmelzung von Technik (hier Tragwerk) mit dem kohärenten Ganzen der Architektur. Die Steigerung des architektonisch-kulturellen Ausdruckes durch die formale Integration der technischen Tragwerkselemente, das ist die gelungene Hervorbringung von Architektur. In der Entwurfs-Praxis kann das technische Element sich dezent einfügen, oder, um den Gegenpol zu nennen, sich expressiv in den Vordergrund spielen. Allgemein gesprochen läßt sich dann von gelungener Architektur sprechen, wenn das technische Fragment (und Technik zerteilt alles in fragmentierte Einzelteile, denen jeweils eine Hauptfunktion zugeordnet ist) sich stimmig in die ästhetische Konzeption einfügt und diese unterstützt. Im Gegensatz zur Technik, die das optimierte Einzelteil zum Funktionieren bringt, artikuliert die Poesie das Verhältnis des Teils zum Ganzen.  Man könnte auch von der Einheitlichkeit der Gesamtkomposition sprechen. Oder, in diesem bestimmten Beispiel, von der Artikulation der Tektonik.“

Wie notwendig beide sind, weiß Dionys Ottl von „Hild und K Architektur“ zu beschreiben: „Auf die Technik sind wir angewiesen, sonst entsteht kein Haus. In unserer Arbeit versuchen wir ganz grundsätzlich, gegensätzliche Dinge, scheinbare Unvereinbarkeiten zu vereinen und Widersprüchlichkeiten zusammenzubringen. Wie genau das geschieht, ist situations- und auftraggeberabhängig. Es gibt kein Rezept dafür, weil das vom Ort und den Möglichkeiten abhängt und damit sehr unterschiedlich abläuft. Genau dieses Zusammenbringen von Gegensätzlichkeiten aber kann den Ursprung oder die Quelle von Poesie liefern.“ Und Jessica Borchardt von BAID ergänzt: „Die Anforderungen an technische Lösungen beim Bauen haben in den letzten Jahren enorm zugenommen. Teilweise hat das, wenn man sich einfach mal die Dachlandschaften anschaut, zu verheerenden ästhetischen Auswüchsen geführt. Andererseits kann Technik in angemessenem Maße und zielgenau dimensioniert den Nutzen und die Qualität eines Gebäudes steigern. Hier kommt es auf die richtige Balance zwischen Aufwand und Nutzen und die rechtzeitige Berücksichtigung im Planungsprozess an. Es ist letztlich auch eine Frage der richtigen Platzierung, damit die Poesie nicht von einem überbordenden Technikeinsatz dominiert wird.“ Am Ende schließt Peter Wilson von „bolles+wilson“ dieses Kapitel mit einem sehr treffenden Satz: „Es gibt keine Formel fu?r ein erfolgreiches Werk, das auf verschiedenen Ebenen zusammenhängt“, denn nach Martin Glass von „gmp“ bedingen sich die Begriffe, denn es sind „zwei Seiten derselben Münze. Technik schlägt die Brücke von der Idee zur Realität. Poesie lässt sich ohne Technik nicht materialisieren. Gleichzeitig braucht die Technik einen poetischen und sozialen Mehrwert.“ Denn „beide müssen subtil erlebbar sein, nicht aufgesetzt, sondern sich intuitiv anbieten. Beides mal geht es um die Reduktion von Beiwerk in eine klare und zeitlose Komposition, die trotzdem Raum für neue Ideen lässt.”

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