Architektonische Ausrufezeichen der Moderne – Leitartikel im Newsletter

Premabhai Hall (1972) von Balkrishna Doshi in Ahmedabad – Foto: Felix Krebs

Anne-Katrin Fenk, Kuratorin der Ausstellung „Vergessene Moderne“ im AIT-ArchitekturSalon Hamburg, 23. Mai – 27. Juni 2019

Die indischen Architekten haben die Moderne wirklich gekonnt – in Indien ist sie wahrhaftig angekommen“ erzählt mir eine Kollegin, nach ihrer Rückkehr aus Indien. Und ja, in gewisser Weise stimmt das, denn die Moderne ist in den Großstädten Indiens räumlich präsenter als in Deutschland. Man findet sie an den vielfältigsten Orten – baulich-konstruktive Ausrufezeichen in der zeitgenössischen Stadtlandschaft. Und während das Bauhaus-Jubiläumsjahr in Deutschland uns die Möglichkeit gibt, Anfang und Wirken der Moderne erneut nachzuspüren, so befinden wir uns in Indien, im Kontrast dazu, aktuell in einer Phase der Geschichtstilgung. Die Ereignisse der letzten Jahre, insbesondere der Abriss der Hall of Industries und der Hall of Nations, entworfen von Raj Rewal und umgesetzt von Mahendra Raj, machen deutlich, dass die gegenwärtige Regierung zunehmend das Erbe der Moderne diskreditiert. Die Moderne sei per se unindisch, so ihre Argumentation. Interessant ist, dass der Diskurs zur Moderne bis heute noch immer politischen Sprengstoff birgt, der unter anderem dadurch verstärkt wird, dass nur wenige Narrative zur modernen Architektur- und Stadtgeschichte Indiens bekannt, beziehungsweise lückenhaft sind. Die Entscheidung, das Lebenswerk des indischen Architekten Balkrishna Doshi (Ahmedabad) mit dem Pritzker-Preis zu ehren, setzte im Jahre 2017 ein deutliches Zeichen, dieses Erbe neu zu beleuchten und in einen globaleren Kontext zu stellen.

Die Ausstellung „Vergessene Moderne“ im AIT-ArchitekturSalon Hamburg im Rahmen des diesjährigen Hamburger Architektursommers stellt sich diesem Diskurs und zeigt Fotografien von Architekturen der Moderne in Indien. Die Bilder des Fotografen Felix Krebs, die bereits 2005 entstanden, offenbaren in ihrer sachlichen Schärfe die ungewöhnliche Bandbreite dieser Epoche.

Vielleicht mag man zu Beginn die Premabhai Hall (1972) von Balkrishna Doshi in Ahmedabad als „brutalen Klotz“ bezeichnen wollen. Schaut man jedoch genauer hin, sieht man vielmehr ein selbstbewusstes städtisches Bauwerk, welches den Blick auf die Altstadt neu ausrichtet und ein modernes, demokratisches Gegenüber schafft. Im Hintergrund deutet sich die auf Basaltstelzen stehende Bank of India (1966) von Achyut Kanvinde (1916–2002) an. Nicht zu erkennen ist allerdings der eingeschobene Baukörper und die über die Jahrzehnte verblassten blau-gelben Fensterleibungen – eine Referenz an das Bauhaus. Vor einigen Jahren nun wurde das gesamte Gebäude zu guter Letzt gänzlich in Rosa getüncht.

Ähnlich prominent wie die Premabhai Hall sticht bis heute deutlich Kanchanjunga (1970–1983) von Charles Correa (1930–2015) (benannt nach der drittgrößten Erhebung des Himalaya) durch sein modernes Antlitz aus Mumbais Hochhausdschungel heraus. Konterkariert wird es seit einigen Jahren von dem in direkter Nachbarschaft liegenden Antilia Building (Privatresidenz von Industriemagnat Mukesh Ambani). Im Ausmaß gigantisch, architektonisch eine Stillcollage und hypermodern, wirkt dieses Gebäude jedoch plump und reiht sich in die sich ähnelnden globalen Hochhausarchitekturen ein. Wohingegen Kanchanjunga in sich zu ruhen scheint und die farblich abgesetzten Terrassen dazu einladen, die Blicke über die Stadt gleiten zu lassen.

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