GROHE Digital Talks

Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Prof. Eckhard Gerber (Gerber Architekten)

Corona beschleunigt längst vorhandene Trends. Um welche Trends handelt es sich aus Ihrer Sicht?

Ein großer Trend zielt auf das immer größer werdende Bewusstsein in Bezug auf den Umgang mit unserer Welt, die Frage nach neuen Energien und die Frage nach der Wichtigkeit der Flora und Fauna. Der Energieverbrauch ist durch Corona wesentlich reduziert worden, die Natur hat sich erholt und die Luft ist besser. Dieses Bewusstsein für unsere Welt wird sich ganz bestimmt stark dynamisieren und zu Veränderungen führen. Wir müssen zum Beispiel über eine intensive Begrünung unserer Städte nachdenken, dass beispielsweise Blumenwiesen auf den Dächern wachsen, damit unsere Insekten Nahrung haben. Ich glaube, die Grundeinstellung zu der Notwendigkeit dieser Dinge wird sich auch im Politischen ändern und ebenso das Denken unserer Bauherrschaft beeinflussen. Insofern sehe ich die Krise auch als Chance. Aber auch eine energetische Verbesserung der Gebäude und des Kleinklimas der Stadt trägt zum Schutz unseres Planeten bei.

 

Welche Auswirkung wird die Krise Ihrer Einschätzung nach auf die verschiedenen Bautypologien wie den Wohnungsbau, den Bürobau und auf Kulturbauten haben?

Die Auswirkungen werden bei den einzelnen Bautypologien und Baubereichen unterschiedlich sein. Wenn wir auf den Wohnungsbau schauen, müssen wir davon ausgehen, dass die Arbeit im Homeoffice zunehmen wird. Das bedeutet natürlich, dass sie nicht in einer siebzig oder achtzig Quadratmeter-Wohnung stattfinden kann, sondern dass die Mitarbeiter einen Raum in der Wohnung haben müssen, der ihnen alleine zum Arbeiten zur Verfügung steht. Die Gesamtwohnfläche wird sich dadurch langfristig sicherlich vergrößern und die Grundrissstruktur der Wohnungen ändern. Corona hat auch den Wunsch erhöht, mehr im Freibereich leben zu können. Dieser Wunsch wird zu größeren Freiflächen, also großzügigeren Terrassen, führen, auf denen man mehr oder weniger draußen wohnen kann. Ich denke, dass die auch schon vorher angesprochene Normallichthöhe von zwei Meter fünfzig für einen Wohnraum aufgebrochen wird, sodass wir zu Räumen mit größeren lichten Höhen mit drei Meter bis drei Meter fünfzig oder sogar vier Meter kommen.

In Bezug auf den Bürobau fanden in letzter Zeit Diskussionen um die Bürofläche pro Mitarbeiter statt, also wieviel Fläche man den Mitarbeitern zuordnen möchte. Und in dieser Diskussion spielte die Bedeutung des Home-Offices eine wichtige Rolle, eine Frage, die uns auch schon vor Corona beschäftigt hat, nur erfährt sie jetzt eine Beschleunigung. Ich vermute, dass wir auch im Bürobau mehr Fläche pro Mitarbeiter haben werden, damit wir die notwendigen Abstände gewährleisten können, zum Beispiel für spätere Infektionspandemien. Auch die Frage der besseren Trennung der Mitarbeiter wird gestellt, Flure werden beispielsweise zukünftig wesentlich größer dimensioniert werden müssen. Wir bauen zurzeit ein Projekt mit der Forderung von Seiten der Bauherrenschaft, den Flur mit rechts und links liegenden Lehrräumen nicht breiter als ein Meter fünfzig zu planen. In so einem Flur kann der Mindestabstand – wenn sich zwei Menschen begegnen – nicht eingehalten werden. Wir müssen zurück zu den breiteren Fluren der alten Gebäude. Die Gesamtgrundrisse werden sich für mehr Offenheit innerhalb des Büros ändern, auch von der Zuordnung eines Mitarbeiters zu einem bestimmten Arbeitsplatz werden wir uns zunehmend verabschieden. Wie gesagt, alle Trends gab es bereits, sie erfahren jetzt nur eine Beschleunigung.

Bezüglich der Kulturbauten wissen wir derzeit noch am wenigsten, wie sie sich entwickeln werden. Es ist so bedauerlich, dass kulturelle Veranstaltungen zurzeit ausschließlich ohne Publikum im Netz stattfinden oder in den „Einzelzellen“ der Autos im Autokino. Ich hoffe sehr, dass analoge kulturelle Ereignisse bald wieder organisiert werden können. Die Gebäude im kulturellen Bereich werden wir wohl auch zum Teil neu denken, zum Beispielx bedeuten größere Veranstaltungsräume mit weniger Menschen andere akustische Verhältnisse eines Raumes. Oder, größere Abstände erfordern größere Foyers in Theatern oder Konzerthallen, Foyers, die schon immer zu klein dimensioniert waren.

 

Viele Bürogebäude, Einkaufszentren, Postzentren werden leer stehen und bieten sich zur Umnutzung an. Ist Corona eine Chance für den Architekten, sein Berufsbild neu zu positionieren? Denn jetzt sind neue Konzepte gefragt und der Architekt ist immer noch der kreative Kopf im Prozess?

Ich habe um den Berufsstand der Architekten und um unsere Arbeit – auch langfristig betrachtet – überhaupt keine Sorge, weil die Menschen immer wieder neue Architektur wünschen und erleben möchten. Über Jahrhunderte war es so und es wird auch in Zukunft so bleiben. Natürlich haben sich die an uns gestellten Anforderungen und dadurch unsere Arbeitsweise stetig verändert. Immer, wenn von außen besondere Einflüsse und Veränderungen kommen, verändern sich auch die Anforderungen an uns. Denken Sie an die vielen neuen Materialien, die eine völlig andere Architektur ermöglichen und heute an das wachsende Bewusstsein der Gesamtnachhaltigkeit.

Corona ist auch ein Einfluss von außen, die konkreten Auswirkungen können wir noch nicht einschätzen. Es werden sich aber sicherlich frühere Strukturen und Konstellationen auflösen und damit verändern, zum Beispiel im Wohnungsbau, im Bürobau, im Krankenhausbau oder im Schulbau. Durch Veränderungen müssen Dinge neu gebaut oder umstrukturiert werden, was zu neuen Bauleistungen und neuen Beauftragungen für uns Architekten führt. Insofern werden wir Architekten immer Arbeit haben und neue Konzepte entwickeln. Und ich meine nicht nur sichtbare, bauliche Konzepte, sondern auch die inhaltlichen, also das Entwickeln neuer, innerer, funktionaler Strukturen wie sicherlich im Klinikbereich. Es kam und kommt immer wieder Neues auf uns zu, das ist das Spannende und Interessante an unserem Beruf.

 

Lesen Sie das vollständige Interview mit Prof. Eckhard Gerber auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.

 

Über Prof. Eckhard Gerber

Der Architekt und Hochschullehrer Eckhard Gerber begann nach seinem Architekturstudium an der Technischen Hochschule Braunschweig 1966 seine selbständige Tätigkeit mit dem Büro „Werkgemeinschaft 66“. 1979 gründete er in Dortmund das Büro Gerber Architekten. Er war als Professor an der Universität Essen und an der Bergischen Universität Wuppertal tätig sowie als Gastprofessor am Harbin Institute of Technology und der Dalian University of Technology School of Architecture and Fine Art in China. Eckhard Gerber ist regelmäßig Juryvorsitzender bei nationalen und internationalen Wettbewerben sowie Sprecher bei nationalen und internationalen Konferenzen. Mit seinem Büro hat er über 80 Architekturpreise gewonnen und mehr als 450 Wettbewerbserfolge zu verzeichnen. (www.gerberarchitekten.de)

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