GROHE Digital Talks

Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Petra Wörner (wörner traxler richter planungsgesellschaft)

Gibt es schon heute absehbare Auswirkungen der Krise auf unsere Baukultur?

Dass eine Pandemie mit ihren Konsequenzen Auswirkungen auf unser Zusammenleben, auf die Benutzbarkeit von Orten und Räumlichkeiten haben wird, wird derzeit schon diskutiert und ist sehr wohl präsent. Im Übrigen ist das kein nie dagewesener Vorgang. Wenngleich ich beobachte, dass gerade im Bereich unserer komplexen Projekte – wir sind ja sehr stark im öffentlichen Bau tätig und planen fast ausschließlich Krankenhäuser, Lehreinrichtungen und Forschungsinstitute – die jetzt notwendig werdende Gebrauchsfähigkeit der Gebäude bereits vor Corona angelegt war. Durch die Pandemie allerdings ist die Erfordernis der Realisierung dieser Parameter deutlich ultimativer zutage getragen worden. Wir haben schon immer Diskussionen über die Entflechtung von Dichte geführt. Diese Diskussionen wurden aber oftmals abgebrochen, weil sie als Komfort oder nicht notwendiger Luxus und damit als verzichtbar identifiziert wurden. Jetzt lernen wir, dass diese Fragestellungen nichts mit Komfort, sondern mit tatsächlicher Gebrauchsfähigkeit zu tun haben. Zukünftig müssen wir alle unter Einhaltung der Hygienebedingungen leben und arbeiten – uns bewegen. Die bereits vor Corona gedachten Lösungsansätze müssen nicht neu erfunden, sondern sie müssen jetzt ohne weitere Diskussionen umgesetzt werden.

Wir waren schon immer angehalten, – und das ist auch das Herausfordernde an unseren Bauaufgabe – die maximale Gebrauchsfähigkeit eines Gesundheitsbaus mit einer angemessenen Architektur zu kombinieren, damit seine Individualität zu sichern über eine Stadt räumlich und damit typologisch adäquate Idee. Wir haben derzeit ein vor der Fertigstellung stehendes Projekt, das der Bauherr schon jetzt mit größter Virtuosität als Corona-Krankenhaus für eine mögliche zweite Welle vorrichtet, weil es tatsächlich in seiner Flexibilität für die aktuelle Aufgabe gut zu benutzen ist. Wir haben anscheinend die Bauaufgabe richtig verstanden. Was den Krankenhausausbau anbetrifft, hat es schon immer die Bedeutung der Hygiene und die Notwendigkeit von Separierung gegeben bei gleichzeitiger Berücksichtigung, dass mit einer sensiblen Gebäudeplanung die Aufenthaltsqualität für Patienten und Mitarbeiter angenehm sein kann und zur Heilung und einer motivierenden Arbeitsatmosphäre beitragen kann. Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Fragen zur Hygiene ist ein zu dieser Bauaufgabe gehörendes Thema. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass die Pandemie oder die Auswirkungen der Pandemie auch Parameter im Wohnungsbau und/oder im Bürobau verändern werden. Man kann sich ja vorstellen, dass wenn z.B. Mann und Frau im Home-Office arbeiten müssen und gleichzeitig Kinder zuhause sind, sich der Platzbedarf zugunsten eines größeren, an diese veränderte Situation adaptierten Lebensraums, verändern muss. Und auch im Bereich der Organisation von Büroflächen werden sich möglicherweise die Aufgabenstellungen verändern.

 

Können Sie uns einen Einblick verschaffen, wie Sie das Krankenhaus der Zukunft sehen – unter Berücksichtigung der rasant entwickelnden Technologien sowie der demografischen und wirtschaftlichen Veränderungen? Was kann Architektur zu dem Krankenhaus der Zukunft beitragen?

Wie bereits erwähnt, werden wir die Flexibilität, die schon immer eine Fragestellung des Krankenhauses war, weiter kultivieren. Das heißt, wir denken z.B. sehr stark in modularen Einheiten. Wir erleben inzwischen, dass die Menschen wesentlich länger leben, also brauchen wir Krankenhäuser, die die Behandlung und einen Aufenthalt der älter werdenden Menschen mit hoher Qualität gewährleisten, zum Beispiel in der Altersmedizin. Das ist eine Aufgabenstellung, die in dieser Form früher nicht im Vordergrund stand oder eher traditionell von Altenheimen übernommen wurde. Inzwischen gibt es immer mehr geriatrische Zentren. Für Menschen, die im hohen Alter erkranken und dennoch entsprechend ihrer Lebenserwartung versorgt werden müssen, man denke an einen dementen Menschen der sich den Oberschenkelhals bricht … ein wunderbares Beispiel für diese Aufgabenstellung ist das von uns geplante und seit zwei Jahren fertig gestellte Felix-Platter-Spital, die Universitäre Altersmedizin in Basel, in dem für alte Menschen, die sich nicht mehr ausschließlich selbstständig versorgen können, eine ganzheitliche Medizin angeboten wird.

Wie schon gesagt, nehmen wir durch unsere Gebäude und unsere Architektur sehr starken Einfluss auf die Aufenthaltsqualität. Nicht nur zugunsten der Patienten, sondern auch zugunsten der Mitarbeiter. Dass Aufenthaltsqualität und Architektur imageprägend für die Gewinnung von Mitarbeitern sind, ist auch ein Aspekt, der ohnehin immer mehr in den Vordergrund gerückt ist und jetzt unter Pandemiebedingungen nochmal mehr diskutiert wird und an Bedeutung gewinnt: die Aufwertung und die Anerkennung der Berufssparten in der Medizin, unabhängig, ob im ärztlichen oder pflegenden Dienst. Man muss wissen und verantwortlich anerkennen, dass diese Häuser an 365 Tagen, 24 Stunden ge- und benutzt werden. Ein Krankenhaus ist mehr als ein Hotel, in dem man „nur“ ein- und auscheckt, in einer Klinik gibt es in der Regel keine Freiwilligkeiten aber dennoch das Bedürfnis des sich geborgen- und wohlfühlens, des gesund werdens im besten Sinne. Heute kommen wir ins Krankenhaus, wenn wir nicht mehr selbstständig oder sehr krank sind. Wenn wir ambulant versorgt werden können, steht das Krankenhaus gleichzeitig im Prinzip auch als  ageseinrichtung zur Verfügung.

Früher waren die Einrichtungen in dieser Potenz so nicht organisiert. Heute kann man beispielsweise in onkologischen Einheiten Langzeittherapien ambulant absolvieren oder kurze chirurgische Eingriffe können in tagesklinischer Versorgung durchgeführt werden. Das erhöht die Lebensqualität der Patienten und beeinflusst die Betriebsorganisation eines Medizinunternehmens entscheidend. Parallel dazu wird unter dem gleichen Dach die stationäre und intensivmedizinische Versorgung von sehr kranken Menschen organisiert. Das eine schließt das andere nicht mehr aus und im Zentrum steht die sowohl von den tagesklinischen als auch stationären Patienten genutzte Infrastruktur mit der maximalen medizinische und diagnostische Expertise. Dieser effizienten Organisationsform folgt quasi das Denken in Modulen, d.h. wir können modulare Einheiten sowohl in der Pflege wie auch in der Untersuchung, Behandlung und Diagnostik kombinieren, um Leistungszentren auf unterschiedlichen Niveaus herzustellen.

 

Wird es Ihrer Meinung zu einer Neueinschätzung des Gesundheitssystems kommen, weil auch mittlerweile von der Politik verstanden wurde, welch hohen Stellenwert unsere vorhandenen Krankenhauskapazitäten haben?

Ich bin vorsichtig in der Prognose, da ich immer wieder erlebe, dass die politischen Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft von so vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird. Wir sollten allerdings anerkennen, dass es in Deutschland – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – ohnehin ein hohes Bewusstsein für Krankenversorgung gibt. Es gibt eine etablierte länderspezifische Krankenhausbauförderung und ein kontinuierliches Sich-Auseinandersetzen mit den sich veränderten medizinischen Techniken. Sprich: Der Bedarf an Adaption an den wissenschaftlichen Fortschritt beschäftigt uns Architekten und auch die Krankenhäuser als Unternehmen kontinuierlich. Es existieren Bau- und Technische Abteilungen, die permanent versuchen, den Mitarbeitern und natürlich den Patienten die Möglichkeit zu verschaffen, an diesen
Fortschritten teilzuhaben. Insofern sehe ich nicht, dass wir insuffizient ausgestattet sind. Es mag vielleicht sein, dass wir ein Gefälle zwischen den einzelnen Bundesländern verspüren, unser föderales System geht naturgemäß unterschiedlich mit diesen Fragestellungen um. An dieser Stelle sind wir wieder bei der länderindividuellen politischen Priorität.

Aber die diskutierten Fragen, ob wir im ländlichen Raum kleine Kliniken haben und sich in den Ballungsräumen große Zentren akkumulieren und wie man damit bedarfsgerecht umgeht, treibt jedes Bundesland bis in jeden Landkreis um. Diese Diskussion wird mit voller Leidenschaft überall geführt. Wir können nicht erkennen, dass die Beeinflussung der Qualität von Krankenversorgung von Entscheidern und Planern ignoriert wird. Ein Krankenhaus ist ein großer Organismus, man muss ihn ganzheitlich betrachten, wie jedes andere Unternehmen auch. Er besteht im Wesentlichen aus Menschen, die bereit sind sich in Extremsituationen ihren Mitmenschen hochqualifiziert und fürsorglich zuzuwenden. Die Anerkennung dieses Berufsstandes ist uns sicher gesellschaftlich in den vergangenen Jahren aus den Händen geglitten. Wenn die Pandemie eine positive Auswirkung hat, dann ist es hoffentlich die Erkenntnis aller, wie wichtig Menschen in unserer Gesellschaft sind, die bereit sind, solche Sozialdienste zu übernehmen. Und die Erkenntnis, sie entsprechend auszustatten. Nicht nur monetär, sondern auch mit Wertschätzung. Und zur Wertschätzung gehören auch zeitgemäße und bewältigbare Arbeitsbedingungen in attraktiven Räumlichkeiten – in anspruchsvoller Architektur.

Lesen Sie das vollständige Interview mit Petra Wörner auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.

 

Über Petra Wörner

geboren am 1957 in Karlsruhe, studierte Architektur an der Universität Stuttgart und am IIT-Illinois Institute of Technology in Chicago. Nach ihrem Diplom 1983 und beruflichen Aufenthalten in Chicago und New York arbeitet sie seit 1984 für wörner traxler richter, zunächst als Entwurfsarchitektin und Projektleiterin. 1991 wird Petra Wörner Gesellschafterin und 1993 Mitinhaberin der damaligen Bürogesellschaften. Seit 1997 ist sie geschäftsführende Gesellschafterin der wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh und seit 2017 Geschäftsführerin der wörner traxler richter schweiz gmbh. Sie war bis Ende 2017 Mitglied und Vorsitzende des Gestaltungsbeirates der Stadt Linz und vertritt seit Ende 2017 als aus dem BDA gewähltes Mitglied den Städtebaubeirat der Stadt Frankfurt. (www.wtr-architekten.de)

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