Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Much Untertrifaller (Dietrich | Untertrifaller Architekten)
Ist die Pandemie für Sie eine der größten Herausforderungen Ihrer Berufstätigkeit?
Nein, die Pandemie war und ist nicht die größte Herausforderung, aber sicherlich eine neue und ungewohnte Problemstellung. Wir mussten über
hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an fünf Standorten ins Homeoffice schicken und technisch ausstatten, was letztlich aber binnen weniger Tage reibungslos funktionierte. Wir waren glücklicherweise gut vorbereitet mit digitalem Equipment, die Mitarbeiter haben ihre Computer mit nach Hause genommen und sich von dort aus vernetzt. Bislang haben wir persönlich die Krise glücklicherweise kaum gespürt, weder im öffentlichen noch im privaten Bereich. Einige kleinere Projekte sind zwar zurückgestellt worden, ansonsten hat sich die Auftragslage eher sogar verbessert, denn wir haben sehr viele neue Projektanfragen. Unsere mittel- und langfristige Auftragslage können wir aus heutiger Sicht nicht sicher vorhersagen, das hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Wir rechnen jederzeit damit, einen Standort wieder herunterfahren und die Kolleginnen und Kollegen nach Hause schicken zu müssen, was seit dem ersten großen Lockdown schon zweimal kurzfristig passierte. Dies wird sich vermutlich über den Winter nochmals wiederholen oder häufen.
Wir hoffen natürlich, dass wir trotz der Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice nichts oder so gut wie nichts an Effizienz verlieren. Aber auch das ist natürlich schwierig zu beurteilen, denn nicht nur wir, sondern auch die Auftraggeber sind betroffen. Grundsätzlich sind wir aber positiv gestimmt und glauben nicht, dass mittelfristig viele Projekte „on hold“ gestellt werden. Bei uns halten sich Wettbewerbsgewinne und Direktaufträge die Waage. Unter denjenigen, die direkt beauftragen, befinden sich oftmals Stammkunden, für die wir immer wieder arbeiten, seien das Wohnungsbaugesellschaften, private Investoren oder öffentliche Bauherren. Wir haben also einen beachtlichen Grundstock an wiederkehrenden Auftraggebern. Der Markt nimmt wahr, dass wir sorgfältig und seriös arbeiten, die Dinge gut umsetzen und auf den Boden bringen. Wir sind auch dafür bekannt, den gegebenen Kostenrahmen einzuhalten, was durch viele Realisierungen nachgewiesen wurde. Das schafft Vertrauen.
Sie haben vor einigen Jahren den Wettbewerb für den Neubau des TUM Sportcampus im Olympiapark München gewonnen und befinden sich derzeit am Ende des ersten Bauabschnitts. Was sind die wesentlichen Erfolgskriterien für einen Bildungsbau der Zukunft?
Der Bildungsbau der Zukunft ist ein Gebäude, das ein Höchstmaß an Kommunikation ermöglichen muss. Diese Bautypologie ist seit Jahren ein äußerst spannendes Betätigungsfeld, weil die verkrusteten Raumprogramme der Vergangenheit aufgebrochen wurden und man nicht mehr nur in Klassenräumen und minimierten Erschließungsflächen denkt, sondern über die Qualität dieser Flächen entscheidend zur Stimmung und zu
Kommunikationsmöglichkeiten im Gebäude beiträgt. Diese Veränderungen helfen in Krisenzeiten wie dieser, kleinere Gruppenbildungen zu ermöglichen, um sich dann an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Konstellationen zu treffen. Mich persönlich hat in den letzten Jahren am Bildungsbau so gereizt, dass einerseits alte Strukturen weggebrochen sind und man andererseits noch nicht genau wusste, wo die Reise hinführt.
Es hat sich also ein überaus spannendes Experimentierfeld aufgetan. Und das bewährt sich jetzt. Ich bin überzeugt, dass das gebaute Umfeld Verhaltensweisen und Stimmungen entscheidend beeinflussen kann. Es ist zwar nicht messbar, aber von entscheidender Bedeutung. In alle Richtungen sollten wir wesentlich kooperativer denken und arbeiten; noch sind das Gegeneinander und das Nachdenken im eigenen stillen Kämmerlein weit verbreitet, weil wir es eben so gelernt haben. Durch neue Formen des miteinander Lernens – beispielsweise in den Schulen – glaube ich aber, dass solche Prozesse im späteren Berufsleben und in der gesamten Gesellschaft ankommen werden. Architektur kann somit auch einen deutlichen Beitrag zur Interdisziplinarität und Teamarbeit beitragen.
Nur ist die Zeit ja jetzt gerade gegenläufig. Viele Menschen werden auch zukünftig verstärkt vom Homeoffice arbeiten. Die meisten der Studierenden erleben die Wissensvermittlung heute digital, das Analoge ist eher untergeordnet. Heißt das nicht, dass die Teamleistung nicht lernbar ist, wenn man sie nicht trainieren kann?
Wir erleben derzeit eine sehr schwierige Situation, das nehme ich sowohl im Büro als auch an der Hochschule wahr. Das reine Homeoffice kann auf Dauer natürlich nicht funktionieren. Wir werden Wege finden müssen, dass zumindest partiell physische Treffen stattfinden können, vielleicht in anderer Form als vorher, aber notwendig werden sie sein. Wir ermöglichen seit einiger Zeit auch wieder Anwesenheitsunterricht im Kindes und Jugendalter. Ich wüsste nicht, warum das nicht auch im Hochschulbereich funktionieren sollte. Gerade für Studienanfänger ist die Situation in diesem rein virtuellen Umfeld im Moment natürlich katastrophal. Das wird auf Dauer sicher nicht gehen, da wird man sich etwas überlegen müssen. Und das Homeoffice zu hundert Prozent wird auch auf Dauer nicht funktionieren. Aber Teilzeit von Zuhause aus zu arbeiten, dagegen spricht nichts; Voraussetzung dafür ist natürlich eine Absprache im Team.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Much Untertrifaller auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.
Über Much Untertrifaller
studierte Architektur an der TU Wien. Ab 1982 arbeitete er mit seinem Vater zusammen und markierte 1992 mit dem Silvrettahaus auf der Bielerhöhe einen Wandel im alpinen Bauen. Mitte der 1980er Jahre begann parallel die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Helmut Dietrich, mit dem er 1994, nach dem gewonnenen Wettbewerb für das Festspielhaus Bregenz, ein gemeinsames Büro in Bregenz gründete. Dem Wettbewerbsgewinn für die Erweiterung der Wiener Stadthalle folgte 2004 ein weiterer Standort in Wien. Nach dem Auftrag zum Bau der neuen Hochschulsportanlage der ETH Zürich richteten sie 2005 eine Niederlassung in St. Gallen ein. 2015 wurde das Pariser Büro eröffnet, 2016 folgte München. Er hält regelmäßig Vorträge auf renommierten internationalen Veranstaltungen und lehrt, nach mehreren Gastprofessuren, seit 2016 als Honorarprofessor an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz. (www.dietrich.untertrifaller.com)