Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Gert Lorber (Lorber Paul Architektur & Städtebau)
Krisen bieten auch Chancen, Vieles zu überdenken und einen Perspektivwechsel einzuleiten. Welche Chancen sehen Sie für sich und Ihr Büro?
Es gibt auch Chancen, wobei ich diese weniger auf mich und unser Büro beziehen würde, sondern generell auf die Baukultur. Wenn man die Situation mit dem Fußball vergleicht, kann man sagen, dass man die Elfmeter, Freistöße und Ecken, die einem gegeben werden, nutzen sollte. Die Aufstellung steht ja, also die Probleme sind alle benannt. Man kann Städte nicht neu bauen, aber sie müssen neu verteilt werden. Unter dem Aspekt des Klimawandels und der Mobilitätswende werden Positionen diskutiert, die auf einmal viel schneller vorankommen. Im Städtebau sollte es durch eine konsequente Nutzungsmischung endgültig zu einer Abkehr von der städtebaulichen Nutzungstrennung der Moderne kommen. Das wäre sehr schön.
Corona erweist sich auf einmal ein wenig wie ein Hilfsmittel, denn wir als Architekten erfahren Zuspruch für Dinge, die wir seit langem propagiert haben, die in sogenannten Spartenkanälen Gehör gefunden hatten, nicht aber in der breiten Öffentlichkeit. Jetzt wird den Alleswissern und Besserwissern in den einzelnen Branchen etwas der Wind aus den Segeln genommen und das schafft einem auch die Möglichkeit, Konter zu fahren.
Über kurz oder lang werden sich auch viele Projektentwickler durchsetzen, die eine Chance sehen, auch mischgenutzte Gebiete und hybride Gebäude zu entwickeln.
Sie haben in diesem Jahr den deutschen Bauherrenpreis für Ihr Wohnquartier Holsteinstraße erhalten. Würden Sie aus heutiger Sicht mit der Corona-Erfahrung manches anders planen?
Vorbildlich bei dem Projekt ist die Integration des Restes eines Klosters, das dort einmal stand, und die Einbeziehung der Nachbarschaft, die sozialökologischen Aspekte einer Verdichtung im innerstädtischen Bereich unter Berücksichtigung des Grünraums und der Nachbarschaft. So gesehen würden wir nicht viel anders machen.
Lediglich bei den Wohnungen wünschten wir uns ein wenig mehr Flexibilität. Wir sprechen hier auch über einen Auftraggeber, der sehr klare Vorstellungen davon hatte, wie Wohnungen zu funktionieren haben. Da werden wir nicht müde, Überzeugungsarbeit zu leisten, wenngleich wir uns nicht immer durchsetzen. Der durch Home-Office geschaffene Bedarf, Wohnraum flexibel nutzen zu können, verdeutlicht die Vorteile nutzungsneutraler Räume. Dies wird nun auch in den Medien breiter publiziert und wir sollten die Chancen nutzen, um einen Gesinnungswandel einzuleiten.
Wenn plötzlich viele Immobilien in ihrer eigentlichen Funktion nicht mehr genutzt werden – wie beispielsweise Bürobauten – und sich zur Umnutzung anbieten, brauchen wir den kreativen Architekten mehr denn je?
Natürlich, gerade in diesem Bereich sind die kreativsten Köpfe gefragt, da man hier nie „von der Stange“ planen kann und man ständig Überraschungen erlebt, die man erst mal bewältigen muss. Bei großen Bürostandorten wird die Umnutzung sicher zum Thema werden. Wenn man die Mobilitätswende weiterdenkt, werden auch viele Parkhäuser überflüssig werden. Mit dem Ziel der Erhaltung grauer Energie wird man diese Parkhäuser nicht abreißen, sondern umbauen und für einen anderen Zweck nutzen.
Für Architekten, die sich ohnehin ständig damit beschäftigen, wie man das Leben in Gebäuden und in Städten voranbringen kann, um auf die veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen zu reagieren, ist das sicherlich eine Chance. Ob man diese Chancen am Ende aus verschiedensten Gründen nutzen kann oder will, bleibt jetzt einmal dahingestellt. Momentan existiert in der Architektenschaft noch keine deprimierende Stimmung, würde ich behaupten und ich hoffe, das bleibt auch so.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Gert Lorber auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.
Über Gert Lorber
geboren 1864 in Klagenfurt, studierte er Architektur an der TU Graz. Nach seinem Diplom arbeitete er zunächst als freischaffender Architekt in Köln, bevor er 1996 gemeinsam mit Annette Paul das Büro Lorber Paul Architektur & Städtebau in Köln gründete. Gert Lorber ist Mitglied im BDA und war Vorstandsmitglied und Landesvorsitzender im BDA NRW sowie Mitglied im Wettbewerbs- und Vergabeausschuss der Architektenkammer NRW. Darüber hinaus hatte er verschiedene Lehrtätigkeiten inne, unter anderem an der RWTH Aachen und der Uni Wuppertal. 2020 erhielt er den Deutschen Bauherrenpreis für die Wohnbebauung an der Holsteinstraße in Köln-Mülheim. (www.lorberpaul.de)