Upcoming Architects Facing New Conditions – Interview mit Sonja Nagel, Björn Martenson und Jan Theissen, Amunt Architekten
Upcoming Architects nehmen Stellung, wie sie den Herausforderungen des globalen Wandels begegnen und wie sie ihre Position als Ideengeber, Neuschöpfer und Qualitätssetzer behaupten. Lesen Sie dazu hier das Gespräch mit Prof. Sonja Nagel, Prof. Björn Martenson und Jan Theissen, Amunt Architekten.
„Im Prinzip ist jeder Quadratmeter, den man nicht baut, der Nachhaltigste. Deswegen ist es uns ein besonderes Anliegen, die Gebäude und Grundrisse so zu konzipieren, dass sie auf die wirklichen Bedürfnisse zugeschnitten sind und nicht ausufern. Wir denken außerdem über die Erstnutzung hinaus und integrieren Möglichkeiten der Um- oder Andersnutzung bereits in das Projekt.“ Prof. Sonja Nagel, Prof. Björn Martenson und Jan Theissen
GROHE: Welche Aspekte beim Thema nachhaltiges Bauen bewegen Sie am meisten?
Prof. Sonja Nagel, Prof. Björn Martenson und Jan Theissen:
Als Planer und Entwerfer spielen die lokalen Gegebenheiten und Zusammenhänge für uns eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht notwendig, die Auswüchse der Globalisierung hinsichtlich des Bauens zu diskutieren: Inwiefern ist es beispielsweise sinnvoll, Bodenbeläge aus China zu importieren, auch wenn es preiswerter ist? Wir sind daran interessiert, zu einem einfacheren Bauen mit regionalen Materialien und klugen, nachhaltigen Lösungen zurückfinden, um damit einen Beitrag zu leisten, wie Probleme im Bereich des Bauens gelöst werden können. Welche lokalen Potenziale können dafür genutzt werden? Auch den hohen Einsatz von Technik im Gebäude hinterfragen wir stark, da er sich am Ende oft nicht rechnet oder keinen wirklichen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet. Wir versuchen deshalb, von Lowtech-Prinzipien, die weltweit zum Einsatz kommen, zu lernen und auszuloten, ob und wie man diese in eigene Bauprojekte integrieren kann. Das verstehen wir unter global denken und lokal handeln.
Da in unserem Büro der Anteil der Umbauprojekte stark zunimmt, interessieren uns Strategien, wie wir an den Bestand, an vorgefundene Konstruktionen oder zumindest an die vorhandenen Baumaterialien anknüpfen können, sehr. Die Frage, wie wir Bausubstanz sinnvoll erhalten und weiterverwenden spielt bei uns eine große Rolle, denn wenn wir ehrlich bilanzieren würden, müssten wir den Neubau als Ausnahme und Umbau als den Regelfall betrachten.
Ist die breite Architektenschaft auf das Planen im Bestand vorbereitet?
Ob die Architektenschaft wirklich gut auf das Planen im Bestand vorbereitet ist, ist schwer zu beurteilen.
Die Lehre reagiert auf jeden Fall aktiv auf diese Entwicklung und behandelt heute Bestandsthemen sehr intensiv. Es gibt Professuren, die sich mit der Bilanzierung von Wertstoffkreisläufen beschäftigen oder damit, welche veränderten Anforderungen an unseren Gebäudebestand bestehen. Diese Themen können unserer Meinung nach gerade in der Lehre sehr gut erforscht und untersucht werden. An der Universität Stuttgart haben wir zum Beispiel im letzten Semester einen Entwurf für Studierende angeboten, der sich mit der Umstrukturierung leerstehender Kaufhäuser und deren speziellen Strukturen intensiv beschäftigt. In der Lehre ist das Thema wirklich angekommen, was die vielen Masterarbeiten beweisen, die sich mit der Umnutzung und Reorganisation von Gebäuden auseinandersetzen.
Wir leben in einer Welt des ungebremsten Materialismus: Welchen Einfluss können Sie als Architekten nehmen, um hier eine Kehrtwende einzuleiten?
Gerade unsere kleineren Projekte und privaten Auftraggeber ermöglichen oft spannende Experimente und eine intensive Auseinandersetzung mit den Potenzialen des jeweiligen Bauprojekts. Dabei können wir interessante und sinnvolle Lösungen entwickeln, um Antworten auf dringende Fragen wie z.B. den Ressourcenverbrauch beim Bauen geben zu können. Die energetische Ertüchtigung und Reorganisation vorhandener Strukturen steht dabei ebenso auf dem Prüfstand, wie der Bau von Einfamilienhäusern. Letzterem begegnen damit, dass wir versuchen, eine sehr lange Nutzbarkeit des Gebäudes durch innovative Grundrissgestaltung und mehrfacher Nutzbarkeit zu gewährleisten, und mit der Entwicklung neuer, attraktiver Wohnformen als Alternative.
Chancen ergeben sich auch, wenn wir als Architekten Materialien nach vorne holen können, die langlebig sind, mit geringerem Energieaufwand hergestellt werden und den regionalen Wirtschaftskreislauf stärken. Ein Thema, das bei Großprojekten wegen des noch immer vorherrschenden Kostendrucks oft gar nicht erst diskutiert wird.
Außerdem können wir als Architekten dem Bauherren intelligente Lösungen vorschlagen anstatt bauliche Probleme nur auf der Produkte- oder Technikebene zu lösen. Wir können ihm von einem moderaten Technikeinsatz überzeugen, ein Bewusstsein für Materialqualität schaffen und den Einfluss, den er durch seine Entscheidungen und sein Handeln auf den Bauprozess und den Gebäudebetrieb hat, aufzeigen.
Über Prof. Sonja Nagel, Prof. Björn Martenson und Jan Theissen
Björn Martenson schloss 1997 sein Architekturstudium an der RWTH Aachen im Fachbereich Architektur ab. Er war Lehrbeauftragter an der Bergischen Universität Wuppertal und an der RWTH Aachen. Im Jahr 2017/2018 war Björn Martenson Gastprofessor an der TU München und ist seit 2020 an der Hochschule München als Professor tätig.
Sonja Nagel hatte Architektur und Design an der Akademie der Bildenden Künste (ABK) Stuttgart und der Universität Stuttgart studiert. Jan Theissen hatte zunächst Produktdesign an der HBK Saarbrücken und der Design Academy Eindhoven studiert, bevor er ein Architekturstudium am Pratt Institute Brooklyn NY und ebenfalls an der ABK in Stuttgart absolvierte. Über ihre Entwurfstätigkeit hinaus waren Nagel und Theissen Assistenten bzw. Dozenten an der ABK in Stuttgart und unterrichteten von 2015 bis 2017 Entwerfen an der PBSA in Düsseldorf, ab 2018 an der TU Darmstadt und seit 2019 an der Universität Stuttgart. Im Jahr 2017 erhielten sie ein Bundesstipendium für einen 6-monatigen Aufenthalt an der Cité International des Arts in Paris, wo sie an ihrem Bildatlas über Alltagsarchitektur als Ressource für den Entwurf arbeiteten.
Ihre Projekte wurden 2010 mit dem Weißenhof-Architektur-Förderpreis für junge Architektinnen und Architekten, sowie 2012 mit dem Hugo-Häring-Preis und 2013 mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet. Im Rahmen der Ausstellung ›Reduce/Reuse/Recycle‹ wurde ihr Projekt ›Schreber‹, eine Sanierung und Erweiterung eines Siedlungshauses, im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale 2012 in Venedig vorgestellt.
www.amunt.info
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