Arbeiten Sie mit BIM? Wir sind tatsächlich gerade dabei unser Büro in der Richtung aufzustellen. Die Anforderung, mit BIM zu arbeiten wird vermehrt auch von Auftraggeber*innenseite gefordert. Wir versprechen uns davon mittelfristig eine Effizienzsteigerung und eine Verbesserung der Schnittstellen zu Fachplanern. Dass alle Beteiligten auf demselben Planstand arbeiten, ist natürlich super. Es wird aber sicher noch ein langer Weg werden, bis man da wirklich einen reibungslosen Austausch in Echtzeit hinbekommt. Uns interessiert darüber hinaus aber auch die Nutzung der Gebäudeinformationen für spätere Nutzungsphasen und für den kreislaufgerechten Rückbau und die Wiederverwendung von Baustoffen und Bauteilen – das ist auch eine Hoffnung, die wir in BIM setzen.
Apropos nachhaltig bauen: Wir haben im Sommer 2019 auf dem Kronsberg in Hannover unser Projekt „Recyclinghaus“ fertiggestellt. Das Gebäude entstand auf einem Restgrundstück in einer Siedlung, die anlässlich der Expo 2000 mit damals sehr hohen ökologischen Anforderungen entstanden ist. Wir konnten mit dem Projekt einen Beitrag zum Diskurs über nachhaltiges Bauen leisten. Dabei stehen große Fragen im Raum: Wie gehen wir mit Ressourcen und Rohstoffen um? Immerhin ist der Bausektor einer der größten Ressourcenverbraucher und Müllemittenten überhaupt. Und wie gehen wir mit der sogenannten grauen Energie um? Also der Herstellungsenergie, die für den Gebäudebau erforderlich ist.
Tatsächlich gewinnen diese Fragen an Bedeutung: Wie können wir Gebäude so herstellen, dass wir nicht schon durch den Bau selbst für die nächsten 50 Jahre Energie verbraucht haben? Außerdem sehen wir uns derzeit mit einer Baustoffknappheit und Preisexplosion konfrontiert. Gerade was den Holzmarkt anbetrifft, haben sich die Preise verdoppelt bis verdreifacht. Andere Baustoffe sind erst gar nicht verfügbar. Wir haben also gerade eine Rohstoffkrise. In eine solche Zeit passt das Recyclinghaus gut rein. Denn es diskutiert einen neuen Umgang mit Materialien und Rohstoffen: Weg davon, dass es überhaupt so etwas wie Müll gibt, hin dazu, dass alles Rohstoff ist und im Kreislauf gehalten werden kann.
Letzten Endes machen wir in unserem Alltag alle Fehler oder verbrauchen zu viel Energie. Den Wechsel hinzubekommen, wird allein mit technologischen Lösungen nicht funktionieren. Der Begriff der Suffizienz ist jetzt ein zunehmend wichtiger, denn wir haben das Problem, dass wir viel zu viel Wohnfläche pro Kopf verbrauchen und auch die Flächenversiegelung jeden Tag weiter zunimmt. Je mehr Raum jeder einzelne beansprucht, desto mehr Energie und Ressourcen sind nötig und genau da gilt es neue Modelle zu finden, die nicht nur technologischer, sondern viel mehr auch sozialer und organisatorischer Natur sind.
Was fehlt Ihnen an der zeitgenössischen Architekturdiskussion in Deutschland?
In der Diskussion fehlt grundsätzlich eigentlich wenig. Denn alle Themen sind bekannt und werden in Fachkreisen diskutiert. Allerdings müssen wir deutlich an Geschwindigkeit zulegen und insgesamt kompromissloser werden. Wir brauchen Pilotprojekte auf Quartiersebene, die effiziente, klimaneutrale Lösungen darstellen und sich hundertfach multiplizieren lassen. Und wir werden als Architekten viel weniger neu bauen und uns noch viel stärker mit dem Bestand auseinandersetzen müssen.
Ein Aspekt wird mir allerdings noch viel zu wenig diskutiert: Häufig ist die richtige Lösung, weniger zu unternehmen als mehr. Wir brauchen eine Kultur des Unterlassens, wobei wir das Unterlassen als aktive Handlung begreifen müssen. Dass das so schwierig umzusetzen ist, liegt sicher daran, dass Wachstum fast schon in die gesellschaftliche DNA eingeschrieben ist und gegen das Wachstumsparadigma auch mental schwer anzukommen ist. Unterlassung wird erst einmal nicht als Leistung wahrgenommen.
Für Franz Denk, österreichischer Architekt und Stadtplaner, bedeutet Globalisierung ein permanentes Stadtwachstum. Dieser Entwicklung müsse man entgegenwirken. Gefragt seien viel mehr Dezentralisierung, Kleinteiligkeit in den Zentren und umweltfreundlicher Verkehr? Stimmen Sie ihm zu?
Die Frage ist hier allerdings, was man unter Dezentralisierung versteht. Ich würde behaupten, dass die Verstädterung oder generell das urbane Leben potenziell nachhaltig sein kann, da wir mit einer kompakten Organisation einfach wesentlich weniger Flächen und Materialien verbrauchen, nicht nur für die Gebäude, sondern auch für Folgeinfrastrukturen. Wir müssen aktuell viel stärker in Umnutzungs- und Nachverdichtungsstrategien investieren, anstatt neue Gebiete auf dem platten Land auszuweisen, denn das ist überhaupt nicht klimaverträglich.
Lebensstile spielen eine Rolle, ein Kernaspekt ist unser Mobilitätsverhalten. Nachhaltige Mobilität setzt einen funktionierenden Nahraum voraus, der die Wege jedes einzelnen verkürzt, weil Wohnen, Arbeit, soziale und kulturelle Angebote, Erholungsgebiete und die grundlegende Versorgung in unmittelbarer Nähe sind. Wir müssen also von der Funktionstrennung wieder zurück zu einer stärkeren Nutzungsmischung. Es geht auch um die Verhandlung des öffentlichen Raumes bei begrenztem Platzangebot und die Begünstigung von klimafreundlichen Mobilitätsformen. Also in erster Linie den Ausbau des Radverkehrs, und damit meine ich jetzt nicht nur Fahrradwege. Das Fahrrad muss beispielsweise näher am eigenen Haus dran sein und damit wesentlich bequemer zu erreichen als das Auto. Wenn man sein Elektrorad oder sein Lastenrad in den Keller tragen muss, um es sicher abzustellen, aber das Auto steht direkt vor der Tür im öffentlichen Straßenraum, dann wird natürlich eher das Auto genutzt. Für dieses Thema gibt es immer noch keine Breitenlösung in verdichteten Städten.
Sind Sie für die Verbannung des Autos aus der Stadt?
Wir haben begrenzte Flächen in der Stadt. Das Auto muss da künftig auf jeden Fall deutlich weniger Raum einnehmen. Das Selbstverständnis, dass öffentlicher Raum kostenlos für das Abstellen privater Autos genutzt wird, stellen wir in der Gesellschaft noch immer zu wenig infrage. Wenn man sich überlegt, wie hoch Bodenpreise sind und wie viel Fläche man für PKW- Stellplätze braucht, ist das doch völliger Wahnsinn. Wir müssen gerade in den Städten weg vom privaten PKW. Und eigentlich sollte es nicht so schwer zu vermitteln sein, dass hiermit nicht in erster Linie Einschränkungen verbunden sind, sondern viel mehr eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität.
Im Autoland Deutschland ist generell schwierig, bei diesem Thema Veränderungen herbeizuführen. Genau hier haben wir übriges seit längerer Zeit einen starken Stadt-Land-Konflikt: In den Städten ist die Mehrheits-meinung ganz klar, dass das Auto zurückgedrängt werden muss. Auf dem Land stellt sich das naturgemäß schwieriger dar. Einfach, weil es einen funktionierenden öffentlichen Nahraum dort nicht mehr gibt und für weite Strecken das Auto noch immer die attraktivste Option ist. Andererseits: ich fahre ab und zu mit dem Auto zu Bekannten in die Vorstadt oder aufs Land und ich stehe jedes Mal im Stau. Ich wundere mich, dass viele Menschen das jeden Tag aushalten oder sogar als Freiheit empfinden. Eine wirklich unglaubliche Verschwendung von Lebenszeit und Lebensqualität, die maßgeblich durch eine verfehlte Verkehrs- und Siedlungspolitik entstanden ist. Und warum wird eigentlich eine klimaschädliche Mobilität durch eine Pendlerpauschale subventioniert, die erhöhten Mieten in den Städten, in denen sich das Leben wesentlich klimafreundlicher organisieren lässt, aber nicht?
Ben van Berkel baut hier in München derzeit das Van B, ein visionäres Projekt im Wohnbereich, bei dem in Qualitätsmetern und nicht in Quadratmetern gedacht wird. Inwiefern deckt sich dieser Ansatz mit Ihrem?
Den Ansatz, auf kleiner Wohnfläche qualitätsvolle, gut nutzbare Räume zu entwickeln finden wir im Sinne der Suffizienz dem Grunde nach schon sehr interessant. Beispielsweise beziehen sich die Energiekennzahlen heute immer noch auf die Quadratmeter. Eigentlich ist das die falsche Kennzahl, der Energieverbrauch müsste pro Kopf gerechnet werden und hierbei müsste eigentlich sogar der durch die Planung evozierte Lebensstil, einschließlich des erforderlichen Mobilitätsverhaltens mit eingepreist sein.
Man kann sich auch auf kleinerem Raum qualitätsvoll organisieren. Und auch der Ressourcenverbrauch und die Aufwendungen an grauer Energie für die Gebäudeherstellung sinken bei einer kompakten Grundrissorganisation ebenfalls pro Kopf. Der Trend zu Mikroapartments ist in sozialer Hinsicht aber auch zweischneidig zu betrachten. Wird dieser Trend in Ballungsräumen mit drastischer Wohnraumknappheit dem freien Markt überlassen, steigt im Prinzip einfach die Marge des Entwicklers und die sozialen Fragen des Wohnens bleiben für die größten Bevölkerungsgruppen trotzdem unbeantwortet.
Ein gutes Beispiel-Projekt, an dem wir derzeit in Hannover planen ist das sogenannte „ECO Village“ – auch auf dem Kronsberg in Hannover, ganz in der Nähe unseres Recyclinghaus-Projektes. Dort gibt es eine neu gegründete Genossenschaft, die ein Suffizienz-Quartier realisieren wird. Da haben sich Leute zusammengefunden, die den Anspruch haben, wenig zu verbrauchen und einen bescheideneren Lebensstil zu pflegen, um klimagerecht zu leben. Dort wird weniger private Wohnfläche pro Kopf angesetzt, „Luxus“ entsteht über qualitative Außenräume und gemeinschaftlich genutzte Bereiche wie Waschküchen, Gästeraum, Mobilitätsstationen und ähnliches – frei nach dem Prinzip „durch Teilen mehr haben“. Wir finden, dass für Architektur und Stadtplanung die Gemeinwohlorientierung von zentraler Bedeutung ist. Wenn sich jeder in seine private Blase zurückzieht und einen Zaun um sich rumzieht, ist keinem geholfen.
Sie beschäftigen sich bei Cityförster auch mit neuen Arbeitswelten. Was bedeutet Corona für den Bürobau?
Wir selber haben unsere Büroflächen während der Pandemie deutlich erweitert. Unser Team war auch viel im Homeoffice, wir haben aber tatsächlich auch noch Räume dazu gemietet, um Präsenzarbeit ebenfalls zu ermöglichen und Abstände gewährleisten zu können. Ein positiver Nebeneffekt an der Coronakrise ist sicher, dass klar geworden ist, wie viel man doch digital organisieren kann. Ich habe gestern noch mit einem Kollegen gesprochen, der vor einigen Jahren noch für einen zwanzigminütigen Vortrag nach Hawaii geflogen ist. So etwas macht man heute nicht mehr. Auch wenn man mit externen Planern arbeitet, muss man nicht mehr mit einem Inlandflug durch die Republik jetten, um für eine halbe Stunde etwas abzuklären. Vieles lässt sich digital organisieren und das spart viel Zeit und Ressourcen. Klar, die soziale Komponente des persönlichen Austauschs ist auch wichtig, dafür wird es weiterhin Begegnungsräume in den Arbeitswelten geben müssen.
Uns sind in der Architektur echte Werte abhandengekommen, müssen wir zurück zu denen, die es mal gab?
Da könnte man vielleicht zurück zum Thema des Gemeinwohls schwenken: Neben den Herausforderungen des Klimawandels ist die soziale Frage des Wohnens ein Kernthema. Den sozialen Wohnungsbau gibt es in Deutschland nun schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Frage ist, ob das Wohnen reine Privatsache ist, die man dem Markt überlassen kann oder ob dieses grundrechtsrelevante Thema nicht doch wieder stärker durch die öffentliche Hand gesteuert werden muss. Natürlich gibt es die Förderlandschaft, die gewerbliche Bauherren animiert oder zwingt, bei Neubauprojekten einen Anteil an geförderten Wohnungen zum günstigen Mietpreis anzubieten. Daneben gibt es dann privat vermarktete, sehr teure Wohnungen. Für die mittleren Einkommensschichten ist in diesem Modell hingegen wenig vorgesehen. Auch das ökologisch nachhaltige Handeln ist eine Frage des Gemeinwohls. Der Begriff der Nachhaltigkeit in seinem ursprünglichen Sinne stammt übrigens aus der Forstwirtschaft: Dem Wald wird nur so viel entnommen, wie auch wieder nachwachsen kann, damit das komplexe ökologische System Wald weiter funktioniert. Bäume werden nicht nur für den eigenen Nutzen gepflanzt, sondern damit nachfolgende Generationen davon profitieren konnten. Das Bewusstsein für die Langfristigkeit unseres Handelns sollte generell wieder mehr Bedeutung erfahren.