Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Nicole Franken und Prof. Bernhard Franken (Franken Architekten)
Die Krise fungiert als Beschleuniger längst vorhandener Trends. Was sind die für Sie im Bau- und Planungsprozess und im Bezug auf das Endprodukt der Architektur wesentlichen und wichtigsten Dinge, die jetzt eine Veränderung erfahren?
Beim Planungsprozess wird das Thema BIM weiter an Fahrt aufnehmen, viele Dinge sind allerdings noch zu verhandeln: Wer übernimmt eigentlich welche Rolle? Wie gestaltet sich das Honorierungssystem? Wie ist es mit der Verantwortung, der Gewährleistung und wer haftet am Ende, wenn im Kollektiv gearbeitet wird? Wir sind der Meinung, dass unser gesamtes Werksvertragsrecht, das den Architekten immer noch in die gesamtschuldnerische Haftung einschließt, mittelfristig verabschiedet werden muss. Wir befürworten ein Dienstleistungsrecht, so wie es in den angelsächsischen Räumen üblich ist, das besagt, dass der Architekt nicht mehr für das Gesamtwerk einstehen muss, sondern dass seine Dienstleistung als Teil des Gesamtprozesses beurteilt wird. Schließlich ist die Werkherstellung mittlerweile so komplex und unübersichtlich geworden.
Wir beobachten zwar noch keine Initiativen unserer Verbände oder von Seiten des Gesetzgebers, aber wir sehen die Notwendigkeit, uns als Architekten zu organisieren, um uns an das europäische und internationale Umfeld anzupassen. Ein weiteres Thema ist die vielbeschworene Digitalisierung. Durch modulare Mass Customized Entwicklungen kann man sein Haus konfigurieren und damit mehr oder weniger den Architekten abschaffen. Hier ist es die Aufgabe des Architekten, sich neu zu positionieren. Desweiteren gibt es den Bereich der Künstlichen Intelligenz, die natürlich auch als Bedrohung des Architekten gesehen werden kann. Wir haben vor Kurzem die digitalBAU Messe besucht, wo u.a. Programme zur Grundrissgenerierung, zur Flächen- und Massenermittlung vorgestellt wurden, die dem Architekten – theoretisch – in den frühen Leistungsphasen so einiges an Arbeit abnehmen könnten. Man muss sich anschauen, worin der Mehrwert liegt und dann überdenken, ob der Architekt bei solch neuen
Prozessen als der Experte für Architektur und Entwickler von KI eingesetzt werden kann.
Sie haben u.a. eine große Expertise in der Bautypologie Hotel. Welche Entwicklungen wird die Business- und die Tourismushotellerie in mittel- und langfristiger Sicht nehmen?
In der Hotellerie spaltet sich derzeit die Schere: Während die professionelle, gut geführte Ferienhotellerie in diesem Jahr erstaunliche Zuwachsraten verzeichnet, leiden die klassischen, relativ generischen, in mittelmäßiger Citylage befindlichen Businesshotels. Ein Lösungsweg liegt in der Hybridisierung und Multi Usability, die derzeit schon erfolgreich implementiert wird. Hotels werden zu Wohnungen umgenutzt, als Büros verwendet oder von Schulen genutzt. Die Hotellerie ist in der Vernetzung bereits ganz weit vorne, man denke an ihre Verbindung mit den Themen Gesundheit und Wellness, Office, Retail und Wohnen. Die Hotellerie war schon immer ein Inkubator für Innovationen. Auch die jetzige Zeit ist eine, in der sie zeigen kann, dass sie mehr als nur eine Beherbergungsstätte ist. In Bezug auf die Frage, ob der Innovationsgrad in der Hotellerie schon komplett ausgeschöpft ist, verhält es sich ein wenig wie bei einem Schieberegler zwischen absolutem Low-Tech und absoluten High-Tech. Bewegt man diesen Low-Tech-Regler beispielsweise nach unten, kommt uns der Gründer der Design Hotels Claus Sendlinger in den Sinn, der vor geraumer Zeit die SLOW (sensibel, lokal, organisch, weise) Hotels eröffnet hat, in denen es nach dem Motto „Collect moments, not things“ um Community geht. In denen man achtsam und nachhaltig miteinander agiert, zusammen kocht, Kräuter pflückt et cetera. Bewusst digital detox, sehr analog. Auf der anderen Seite der gesamte High-Tech-Kosmos, der noch nicht ausgereizt ist. Damit meinen wir nicht nur die Smart-House-Technik oder den Selfie Spot, sondern der Einzug der virtuellen Welten in das Hotel. In Asien gibt es Interior-freie Konzepte, in denen mittels Sceens die vom Gast gewünschte Atmosphäre bespielt und szenisch gestaltet werden kann. In Tokio kann man sich beispielsweise einen virtuellen 8 Stunden-Flug nach L.A. buchen und ihn dann in Echtzeit erleben.
In der Hotellerie gibt es also noch viel Raum für Experimente, sowohl im Low als auch High-Tech Bereich. Letztendlich geht es immer um das räumliche Erlebnis. Während der Architekt früher den Raum nur klassisch in der Vogelperspektive als Plan oder als Schnitt, also als reine Geometrie betrachtet und geplant hat, muss er zukünftig als Szenograph in szenischen Folgen denken und beachten, wie sich Menschen in Zeit und Raum bewegen, wie sie handeln und untereinander interagieren. Die viel diskutierte Customer Journey kann man natürlich auch sehr gut auf den Hospitality-Bereich übertragen. Wie kann man dem Gast eine ideale Szene zwischen Check-In und Check-Out bieten? Das ist letztlich die Aufgabe der Architekten, wobei wir die Customer Journey nicht nur auf die Hospitality reduzieren würden. Auch in den Bereichen Office und Wohnen geht der Trend zu Betreiberimmobilien, überall gibt es das Bedürfnis nach Inszenierung. Vielerorts haben wir heute eine Hotellisierung, man kann kaum noch unterscheiden, ob es ein Coworking oder ein Hotel oder vielleicht sogar eine Krankenhauslobby ist. Alles sieht relativ ähnlich aus und an der Rezeption sitzt jemand, der auch Serviceleistungen übernimmt.
Wird es weiterhin die Großhotels geben oder gibt es einen Richtungswechsel zu kleineren, individualisierten Hotels mit speziellen Serviceleistungen?
Es wird kein entweder oder geben, weder nur kleine noch nur große Strukturen. Wir glauben aber, dass man sich kleinteiliger in größeren Strukturen organisieren wird. Wir denken zum Beispiel an ein Hotel, das sich auch im Bestand über einen ganzen Stadtteil verteilt und wieder Läden aktiviert, die einmal dazugehört haben. In Alt-Sachsenhausen in Frankfurt haben wir zum Beispiel Projekte, die sich gegenseitig unterstützen, sie haben zwar einen Betreiber, funktionieren aber unabhängig voneinander. Die großen Hotels mit vierhundert Zimmern werden sicher in Frage gestellt, weil die Frequenz von Geschäftsreisen sich reduzieren wird. Wobei man bedenken muss, dass die Innovationen eher an den Rändern entstehen, nicht in der Mitte. Die großen Ketten nehmen Trends in der Regel sehr schnell und professionell auf und agieren „dem Gast zugewandt“. Sie haben natürlich auch das Kapital und den langen Atem, um so eine Krise zu überleben. Insofern glauben wir, dass die großen Ketten die an den Rändern entstehenden Innovationen in ihre Eigenkonzepte integrieren oder aufkaufen werden.
Wir können uns vorstellen, dass das ortsunabhängige Arbeiten auch die Hotellerie stark beeinflussen wird. Vielleicht gibt es ein ganzes Almdorf, in dem man für einige Wochen Coworking machen und dort auch wohnen kann. Es wird vermutlich viel mehr Konzepte geben, die sich nicht mehr unbedingt in den A-Städten ansiedeln, sondern in Landschaften oder in den Randgebieten, wo man sie bislang nicht dachte.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Nicole Franken und Prof. Bernhard Franken auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.
Über Nicole Franken
studierte Design an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Ihre berufliche Laufbahn begann sie 1989 als Designerin am Staatstheater Mainz. Es folgten diverse Führungspositionen im Bereich Kommunikation, Werbung und Marketing. Von 2000-2005 war sie bei MarCom Consultant tätig. 2008 gründete sie schließlich gemeinsam mit Prof. Bernhard Franken Franken\Consulting. Seit 2010 ist Nicole Franken Mitglied der Geschäftsleitung von Franken Architekten, seit 2017 Gesellschafterin, von 2006-2009 war sie verantwortlich für Concept, Business Development und Corporate Communication. Neben diversen Vorträgen, Jurytätigkeiten und zahlreichen Veröffentlichungen in der Fachpresse schreibt Nicole Franken einen Blog über räumliche Erfahrungen. Schon seit vielen Jahren ist sie passioniert am Thema Hospitality interessiert und mitverantwortlich für Entwicklung und Konzept entsprechender Projekte bei Franken Architekten. (www.franken-architekten.de)
Über Prof. Bernhard Franken
studierte Architektur an der TU Darmstadt und an der Städelschule, Institut für Neue Medien, Frankfurt. Nachdem er 5 Jahre freiberuflich für ABB Architekten arbeitete, bildete er von 2000-2002 eine Arge mit ABB. 2002 gründete er Franken Architekten GmbH. Ab 1996 Gastprofessor u.a. an der Universität Kassel und der SCI-Arc in Los Angeles. Von 2010-2013 Professor an der FH Frankfurt für Digitales Entwerfen, FB Architektur. Seit 2015 Professor an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf für 3D Kommunikation, FB Design. Seine Projekte sind mit 70 Awards im Bereich Architektur und Design ausgezeichnet. Neben der ersten Einzelausstellung 2008 im Deutschen Architektur Zentrum Berlin, fanden über 60 Gruppenausstellungen wie u.a. Die Architekturmaschine im Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne, Blobmaster im DAM, Biennale in Venedig, BIACF in Korea und Performalism im Tel Aviv Museum of Art statt. (www.franken-architekten.de)