Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Moritz Auer (Auer Weber)
Wie beurteilen Sie die Situation für Ihr Büro in Bezug auf die mittel- und langfristige Auftragslage?
Ich vermute, dass uns eine Welle in vier bis sechs Monaten treffen wird, die deutliche Einschläge mit sich bringt. Wir sehen jetzt schon, dass die Büronachfrage einbricht und damit längst nicht mehr so hoch ist wie vor der Krise. Wir haben die Befürchtung, dass wichtige aus den Mitteln der öffentlichen Hand finanzierte Projekte gestoppt werden, wie womöglich das Stadtmuseum in München, für dessen Um- und Neubau wir beauftragt wurden.
Der Presse ist zu entnehmen, dass die Stadt München derzeit die Gewerbesteuereinnahmen prüft, um dann zu entscheiden, wie viele Mittel noch für Kulturprojekte zur Verfügung stehen. Das macht uns schon Sorgen, da das Museum ein wichtiges Projekt für uns ist, schließlich plant man ein kommunales Museum so mitten in einer Stadt wie München nicht alle Tage. Und die Frage, die sich ja stellt: Wird es nur verschoben oder wird es komplett auf den Prüfstand gestellt und damit womöglich unsere Planung umgeschmissen oder zurückgestellt. Wenn die Steuereinnahmen in der prognostizierten Größenordnung ausbleiben, bekommen die Kommunen Probleme.
Die Krise zeigt also durchaus ihre Auswirkungen und sie kann dazu führen, dass entweder Projekte komplett sterben oder in Bezug auf ihre Nutzung grundlegend neu gedacht werden müssen. Das bewegt uns natürlich auch. Wie lange diese Situation anhalten wird, kann ich nicht abschätzen, da es davon abhängt, wie schnell eine konjunkturelle Erholungsphase verläuft oder ein entsprechender Impfstoff entwickelt wird. Anfänglich dachte man ja, die Krise dauert lediglich einige Wochen oder maximal einige Monate und dann ist das Thema mehr oder weniger überstanden. Aber jetzt sieht es danach aus, dass ein Impfstoff frühestens Mitte nächsten Jahres zugelassen sein wird und angewendet werden kann. Und so lange haben wir eben auch mit entsprechenden Einschränkungen umzugehen. Ich denke, keiner – auch nicht eine Stadt München – kann aus heutiger Sicht voraussagen, wie sich die Entwicklung der Steuereinnahmen darstellen und welche Auswirkungen dies wiederum auf Projekte haben wird. Es kommt ja auch immer auf die Art der Projekte an. Für uns wäre es natürlich dramatisch, wenn eine bestimmte Typologie oder eine bestimmte Nutzung betroffen ist, in der wir womöglich drei Projekte parallel bearbeiten.
Muss das Museum der Zukunft anders gedacht werden? Schon vor Corona bangten viele Häuser um ihre Existenz!
Wir planen das Museum als Raumhülle, die allerdings nicht von der Museumsinszenierung, also von der Szenografie getrennt werden kann. Beim Stadtmuseum in München arbeiten wir mit Atelier Brückner aus Stuttgart zusammen, sehr renommierte Ausstellungsgestalter, die stark inszenieren. Wir überlegen gemeinsam, was ein Münchner Stadtmuseum, das bis heute ja eher ein klassisches Museum im althergebrachten Sinne mit der Ausstellung von Objekten und Alltagsgegenständen ist und so etwas leicht Verstaubtes und eher nach hinten Gewandtes hat, in der Zukunft darbieten muss. Es kann nicht sein, dass sich ein Museum, das die Geschichte der Stadt München zum Thema hat, im Dornröschenschlaf befindet. Wir fragen uns, was man dort auch medial, mit Interaktionen und Rauminszenierungen entwickeln kann. Dabei spielen auch Beiträge eine wichtige Rolle, die mit neuen Medien und der Digitalisierung umgehen. Die Ausstellung reagiert also sehr stark auf den Nutzer und auf seine spezifischen Interessen.
Das Angebot und die Mittel sind damit nicht mehr starr, sondern wandelbar, je nachdem, welche Schwerpunktinteressen der jeweilige Besucher hat oder welche Bereiche ihn besonders interessieren. Das Museum entwickelt sich somit immer stärker weg von einer statischen Inszenierung zu einerseits baulich fixierten Räumlichkeiten und andererseits zu einer Bespielung dieser Räume mittels wandelbarer Einbauten und medialer Elemente, durch die man sehr spezifisch Informationen für sich abrufen kann. Dieses Mediale und diese Informationsdichte findet man immer öfter in Museumswelten vor. Es werden Hintergrundinformationen geliefert, die es bisher nicht gab. Somit wird – neben den Ausstellungsgegenständen – eine zweite Ebene der Wissensgenerierung geschaffen.
Das Münchner Stadtmuseum kämpft seit Jahren mit geringen Besucherzahlen. Es geht jetzt darum, das Haus auf ein anderes Niveau zu heben und auch den Ort und die Inhalte viel stärker ins Bewusstsein der Stadtgesellschaft zu bringen. Ein Museum dieser Art benötig einen Ort, der eine gewisse Öffentlichkeit hat. Die Frage des Grades der Öffentlichkeit von Museen ist also extrem wichtig. Das war beim Münchner Stadtmuseum auch ein zentrales Problem, da es in einem eher abgeschlossenem Areal liegt, bei dem man nicht so richtig weiß, wo denn der Eingang ist. Bei vielen dieser Institutionen ist der Übergang vom öffentlichen Raum zum eigentlichen Museum problematisch. Dass Gefühl, in ein Museum, eine Institution zu gehen, wirkt wie eine Hemmschwelle und ist für viele potentielle Besucher ein Problem. Wenn man also ein breiteres Publikum über alle Schichten erreichen will, ist es wichtig, eine starke Selbstverständlichkeit in der Annäherung zu bieten. Der Übergang vom öffentlichen zum Museumsraum muss also extrem gut gelöst werden. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Skandinavien, sind diese Schwellen zwischen öffentlichem Bereich und Museum sehr niedrig oder beinahe nicht vorhanden, hier gibt es fließende Übergänge. Und das müssen wir für das Münchner Stadtmuseum auch erreichen.
Jede Krise bietet auch eine Chance. Worin sehen Sie die Chancen?
Man kommt ins Grübeln, wenn man in so eine Krisensituation gerät. Und stellt sich die Frage, ob das, was man tut, in die richtige Richtung zielt. Durch die Krise reflektiert man nochmals intensiver, aus dem Zwang heraus, weil man unvermittelt eingebremst wurde und nach wie vor wird. Unsere Branche gehört ja zu denjenigen, die die Umwelt massiv belasten und deshalb macht man sich natürlich Gedanken, wo das alles hingeht. Wir stehen alle ständig unter massivem Druck und befinden uns in einer Art Tretmühle, die uns oft nicht die Zeit zum Reflektieren lässt.
Die Krise brachte dann die Zwangspause, mein Bruder und ich kamen in ein leeres Büro und die Mitarbeiter waren alle weg. Und da fragt man sich dann schon, ist das richtig, wie wir bisher gearbeitet haben, was wir produzieren. Getrieben von Druck und ökonomischen Interessen, die von außen kommen und von Anforderungen, die man teilweise vielleicht zu wenig hinterfragt oder hinterfragen kann. Eine Chance der Krise für einen selber liegt in der Reflexion über die eigene Arbeit. Sicherlich haben wir uns die Fragen auch schon vor der Pandemie gestellt, aber durch die Krise bedingt nochmals intensiver, ob das, was wir planen und was wir dann letztlich auch an Gebäuden in die Welt setzen noch verantwortlicher umgesetzt werden könnte, insbesondere auch hinsichtlich der eingesetzten Materialien. Diese Gedanken zielen in Richtung einer noch stärkeren ökologischen Nachhaltigkeit in unserer Arbeit. Ich denke, das Thema Holzbau ist bei uns noch unterrepräsentiert im Büro. Dort möchten wir eigentlich viel stärker hin und mit neuen Projekten unsere Bauherren überzeugen. Momentan ist diese Vermittlung leider noch relativ schwierig, aber vielleicht verändert sich das, es bleibt unsere Hoffnung. Die Krise löste also ein Nachdenken aus, ob man zukünftig in dieser Geschwindigkeit und diesem Rhythmus weitermachen sollte und welche Ziele wir uns im Büro setzen.
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Über Moritz Auer
geboren 1964 in Stuttgart und einer der fünf geschäftsführenden Gesellschafter von Auer Weber. Für Moritz Auer und sein Team ist die gemeinsame Leitlinie aller Projekte, die architektonische Gestalt aus der jeweiligen Aufgabenstellung und den Bedingungen des Ortes unverwechselbar, schlüssig und nachvollziehbar zu entwickeln. Sein aktueller Fokus liegt auf den Erfordernissen, die eine mobile Gesellschaft an die Planung des urbanen Raumes stellt: Unter anderem betreut er das Projekt für den Neubau des Münchner Hauptbahnhofs. Er ist Mitglied in den Gestaltungsbeiräten der Stadt Freising und der Flughafen München Gesellschaft. 2017 lehrte er an der Münster School of Architecture, 2018 war er Gastprofessor im Masterstudiengang an der Hochschule Biberach. (www.auer-weber.de)