Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Florian Wiesler und Tobias Schmidt (WSM Architekten)
Können Sie Aspekte benennen, die aus Ihrer Sicht bedingt durch Corona positiv für unsere Baukultur sind?
Die Rückbesinnung auf schönes und angemessenes Wohnen und das Erkennen des Wertes von Familie und Freunden ist definitiv positiv zu nennen. Unser Glück hängt nicht davon ab, dreimal im Jahr auf die Malidiven zu fliegen. Leute reflektieren jetzt oft anders über ihr Leben, viele sind bereit, auf Dinge zu verzichten und überlegen, ihr Geld langfristig sinnvoller zu investieren.
In der Architektur wird man hoffentlich wieder stärker in die Tiefe gehen, dahingehend, dass sie berühren soll, statt bloß an der Oberfläche zu bleiben und irgendwelche einfachen Funktionen zu erfüllen. Dieses Rückbesinnen auf das Wesentliche, auf die Wurzeln, auf Familie und Freunde kommt sicherlich auch der Architektur zugute.
Viele Leute haben Angst vor ihrer finanziellen Zukunft und haben finanziell teilweise auch die reale Beschneidung ihrer Möglichkeiten erlebt. Wir würden uns wünschen, dass die Menschen zukünftig nicht mehr ans absolute Limit mit Dingen gehen, unabhängig, ob das jetzt finanzielle oder sonstige sind, sondern stattdessen mehr Puffer für sich einbauen, um für neue kommende Krisen gewappnet zu sein. In einigen Jahren werden wir sicherlich mit neuen Krisen konfrontiert, und von daher glauben wir, dass ein wenig mehr Bescheidenheit das ganze System stabiler machen und letztlich auch sinnvollere Dinge hervorbringen würde. Bei der nächsten Krise wird vielleicht ein Berufszweig oder eine Altersklasse betroffen sein, die dieses Mal gut durchgekommen ist.
Sie haben in der letzten Zeit mit Ihrem Entwurf des Pfahlbauten Hoteldorfes am Starnberger See auf sich aufmerksam gemacht. Können Sie uns beschreiben, was an diesem Entwurf so überzeugend ist.
Überzeugend war beziehungsweise ist, dass wir ein sehr lokales, geschichtliches Thema gefunden und aufgegriffen haben. Aus der Historie dieser Jahrtausende alten Pfahlbauten an der weit überregional bekannten Roseninsel haben wir ein neues Thema abgeleitet, welches das Hotel aus der Beliebigkeit von normalen Wellnesshotels herausnimmt. Von Anfang an haben wir ein darauf abgestimmtes Material-Farb- und letztendlich auch das Energiekonzept bis ins Detail weitergestrickt und überlegt, wie man diesen historischen Bezug gestalterisch in die heutige Zeit übertragen kann – um Identität stiften zu können, um eine langanhaltende Akzeptanz zu erreichen.
Entscheidend war für uns, dass wir konzeptionell etwas finden, was nur an dieser Stelle am Starnberger See stehen kann und deswegen sowohl von den Leuten vor Ort als auch von den Touristen akzeptiert wird. Gerade öffentliche Bauten haben oft Vorbildfunktion, da sie von einer großen Anzahl von Leuten wahrgenommen und somit auch inspiriert werden können. Ein derart exponiertes Gebäude ist Verpflichtung und Chance zugleich – im besten Fall wirkt unser Hotelprojekt als enormer Multiplikator.
Wir sind im Büro seit einiger Zeit zu der strikten Auffassung gekommen, dass möglichst jedes unserer Bauprojekte solch einen Prozess unterstützen muss. Unser Wunsch ist, die Leute auf den anstehenden Wandel aufmerksam zu machen und sie mitzunehmen und dafür zu begeistern. In ein Hotelprojekt, so wie wir das jetzt planen, kommen sehr viele Leute aus verschiedensten Bereichen, auch hochrangige Manager, die dort Urlaub machen oder einige Tage verleben. Man kann nur hoffen, dass die Besucher durch unsere Bauweise, die von uns eingesetzten Materialien, die Art wie wir die Gebäude in dieser so außerordentlich schönen Landschaft möglichst einfühlsam und vorsichtig platzieren, nachdenklich und angeregt werden und bestimmte Grundsätze in ihre Privathäuser oder Unternehmen übernehmen.
Ist die Architektur in Deutschland, auch im internationalen Vergleich betrachtet, auf einem guten Weg?
Auf einem guten Weg ist jedes Bauvorhaben, das nicht beliebig ist und das sich den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellt. Jedes Gebäude, das einfach nur Wohnfläche generiert, ohne sich darüber hinausgehend weitere Gedanken zu machen, ist es nicht. Es gibt in Deutschland aber ganz viele tolle Initiativen, seien es städtebauliche oder innovative universitäre Projekte, und es gibt auch durchaus viele engagierte und innovative Einzelbüros. Beispielsweise die Elbphilharmonie in Hamburg, wenngleich gebaut von Schweizer Architekten, ist für uns ein gesellschaftlich extrem innovatives Projekt, weil es Antworten bereitstellt, inwieweit tolle Bauten auch für die Allgemeinheit nutzbar sein müssen.
Es gibt bei uns viele Wohnbauprojekte, oft kleinere Wohnbauten, aber auch bis zu achtstöckige Mehrfamilienhäuser aus Holz, die den internationalen Vergleich überhaupt nicht scheuen müssen. Es sind deutsche international prämierte Architekturen, die durchaus Antworten geben, wie Wohnen in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren aussehen soll. Um aber nochmals auf Ihre Frage einzugehen, haben wir dennoch das Gefühl, dass die Deutschen im europäischen Vergleich in der Masse ein wenig hinterherhinken.
Die Österreicher und Schweizer sind uns in Bezug auf die Kreativität oftmals einen Schritt voraus. Wir beobachten allerdings, dass sich die junge deutsche Architektenszene wieder ein Stück innovativer positioniert. Architekten befinden sich an einer wahnsinnig wichtigen Schnittstelle zwischen Auftraggebern und der gebauten Realität am Ende. Das heißt, man hat einen sehr, sehr großen Gestaltungsraum. Es bringt uns allerdings nicht weiter, sehr gut ausgebildete und innovative junge Leute zu haben. Sie müssen letztlich mit ihren Ideen an die Schaltstellen der Entscheidung kommen, was natürlich Zeit in Anspruch nimmt und dauert. Und sie müssen den Willen und zugleich das Wissen haben, wie und in welcher Form man etwas zum Positiven verändert.
Ein jedes Projekt ist ein Zusammenspiel verschiedener Disziplinen aus Architekten, Bauherren, Geldgebern oder Inhabern. Für einen Architekten ist es immer schwierig, ein Konzept zu liefern, das durchsetzbar ist und überzeugen kann, damit letztlich das Geld investiert wird. Oftmals meinen Bauherren, selbst Hand anlegen und Dinge verändern oder umschmeißen zu müssen, womit sie dann womöglich die Innovation wieder verwerfen. Also von der ersten konzeptionellen Phase bis zu dem, was dem Architekten dann teilweise zugemutet wird, ist es ein Riesenspagat.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Florian Wiesler und Tobias Schmidt auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.
Über Florian Wiesler und Tobias Schmidt
Florian Wiesler studierte Architektur an der TU München. Bereits während seines Studiums sammelte er Erfahrung in verschiedenen Architekturbüros unter anderem bei Downing, Thorpe and James in Colorado, US. Von 1995 bis 1999 arbeitete er im Architekturbüro Seidl, Pöcking, wo er später unter dem Namen Seidl + Wiesler Partner wurde. Von 1999 gründete er sein eigenes Architekturbüro, das er bis 2008 führte.
Tobias Schmidt studierte Architektur an der FH Regensburg sowie an der Escuela Técnica Superior de Arquitectura in La Coruna, ES. Nach einer kurzen Tätigkeit bei Hierl Architekten in München war er von 2005 bis 2008 im Architekturbüro Florian Wiesler tätig.
2009 gründeten Florian Wiesler und Tobias Schmidt gemeinsam mit Claudia Matula das Büro WSM Architekten, das seit 2016 von ihnen beiden geführt wird. (www.wsm-architekten.com)