Architekturbarometer 30mal10 – Interview mit Axel Koschany (Koschany + Zimmer Architekten KZA)
Die Krise ist wie ein Beschleuniger längst vorhandener Trends, die sich als wahrer Innovationstreiber der kommenden Jahre herausstellen werden. Welche Trends sind das aus Ihrer Sicht?
Die Digitalisierung ist sicherlich einer der wesentlichen Innovationstreiber und hat jetzt durch die Corona-Krise auch in Deutschland in allen Bereichen enorm an Fahrt aufgenommen. Verfolgt man die Debatte über die letzten Wochen und Monate in den Schulen, so scheint das auch dringend notwendig zu sein. Meine Kinder studieren und sind voll digitalisiert, mein Sohn hat seine Bachelor-Arbeit den Professoren und Zuhörern via Teams präsentiert, was für mich den großen Vorteil hatte, dabei sein zu können, ohne in München zu sein. Aber viele meiner Freunde haben Kinder, die noch zur Schule gehen. Sie waren teilweise fassungslos darüber, wie hilflos das System Schule über Wochen mit der Situation umgegangen ist.
Zur Digitalisierung gehören auch die Erkenntnisse aus der Arbeitswelt, Stichwort „mobiles Arbeiten“, moderne, flexible Arbeitszeitmodelle. Viele Unternehmen, die sich bisher geziert haben, sich damit zu beschäftigen, geschweige denn, es einzuführen, mussten es jetzt tun. Ich habe mit vielen Führungskräften gesprochen, die teilweise hinter vorgehaltener Hand zugegeben haben, dass es viel besser lief, als sie immer befürchtet hatten und sie ganz froh waren, es ohne weitere Diskussionen machen zu müssen. An unseren Arbeitsmodellen hängt auch das Thema Mobilität. Es gehört wie der Klimawandel zu den großen gesellschaftlichen Themen, die wir schon vor der Krise hatten. Durch die Krise gerieten sie erst einmal in den Hintergrund, aber jetzt kommen sie wieder hoch: Die Schüler und Studenten von „Friday for Future“ haben für Ende September wieder einen Tag der Demonstration angemeldet – natürlich unter Corona-Bedingungen. Es wird spannend sein zu beobachten, was geschieht, wenn dieselben Politiker, die im Frühjahr ad hoc einschneidende Entscheidungen getroffen haben, um unser Leben zu schützen, beim Thema „Klima“ weiterhin eher von Dekaden reden, wenn es um die Einführung neuer Regeln zum Schutz des Klimas geht. Denn da geht es letztlich auch um unser Leben. Die Klimadiskussion muss und wird darum auch unseren Berufsstand in Zukunft noch mehr beschäftigen! In der Baubranche haben wir weltweit mit den größten CO2 Verbrauch. Hier trägt unser Berufsstand eine Verantwortung, die wir zusammen mit der Bauindustrie noch stärker in Angriff nehmen müssten, als wir es bisher tun. Durch unseren Einstieg in das modularserielle Bauen sind wir als Büro mit vielen Unternehmen im Gespräch, und sie alle treibt das Thema um. Gemeinsam kann man da einiges bewegen!
Und das Thema Mobilität bleibt natürlich immens wichtig. Vor Corona wurden wir aufgefordert, mehr die öffentlichen Verkehrsmittel und das Fahrrad zu nutzen. Corona fiel in die warme Jahreszeit, da ist das Fahrrad für viele eine echte Alternative. Nicht ohne Grund waren die Läden leergekauft und reichen die Lieferzeiten bis ins nächste Jahr. Aber der öffentliche Nahverkehr hat ein echtes Problem: zuerst hieß es, man soll ihn nur nutzen, wenn es wirklich notwendig war und die Taktung wurde runtergefahren. Dadurch wurde es in den Straßenbahnen doch wieder voll. Also hat man die Taktung wieder hochgefahren. Zugleich nutzen die Menschen jetzt wieder vermehrt ihr Auto, weil sie sich darin sicher fühlen, was für die gewünschte Entwicklung „weg vom Auto“ ein spürbarer Rückschritt ist. Warten wir ab, wie sich die Mobilitäts-Diskussion angesichts der Konsequenzen aus der Pandemie entwickeln wird.
Abseits aller Entwicklungen rund um Stadt, Arbeitswelt, Architektur und Digitalisierung finde ich noch einen anderen Trend hoch spannend zu beobachten: die Sicht auf unsere Ernährung! Nicht nur die Erkenntnis vieler Menschen zu Beginn des Lockdowns, dass man zum Brotbacken nicht nur Mehl, sondern auch Hefe benötigt, sondern wieder regelmäßig selber kochen zu müssen, weil Restaurants und Kantinen geschlossen sind. Und damit ein Gefühl dafür zu bekommen, was wann in der Region wächst, weil die Grenzen dicht sind und nicht mehr alles jederzeit verfügbar ist: das hat – neben den Erkenntnissen, wie mit Blick auf die Situation in den großen Schlachtbetrieben die Ernährungsindustrie „funktioniert“, damit das Schnitzel beim Discounter nur 1,99 € kostet – bei vielen zu einem veränderten Bewusstsein geführt. Ob es anhält? So oder so wirkt Corona in viele gesellschaftliche Themen hinein.
Sie haben unter anderem eine große Expertise im Bereich Wohnungsbau. Ist eine Revolution in dieser Typologie nicht längst überfällig?
Eine Evolution bestimmt, aber gleich eine Revolution…? Die meisten für die Vermietung verantwortlichen Mitarbeiter von ohnungsbaugesellschaften würden Ihnen darauf antworten, dass sie nur das bauen, was die Mieter wollen. Denn sie kennen ihre Mieter. Und diese wollen keine Revolution. Wir haben zu dem Thema schon sehr kontroverse Gespräche geführt. Mein Eindruck ist, dass Wohnungsbau und das Wohnen selber eines der tradiertesten und beharrlichsten Handlungsfelder ist, die wir haben. Am Ende haben doch Viele gerne das, was sie kennen, worin sie selber groß geworden sind. Sicher, mit gewissen Abweichungen, gerne ein bisschen größer, heller, besser ausgestattet – aber am Ende sind es die über Jahre unveränderten, bewährten Grundrisstypologien. Bei individuellen, auf die Auftraggeber maßgeschneidert zugeschnittenen Häusern ist das anders. Wir dürfen gerade so ein Haus entwerfen, es macht unglaublich viel Spaß! Aber sobald es um größere Projekte geht, seien es Miet- oder Eigentumswohnungen im Geschosswohnungsbau, sind schnell wieder die bekannten Typologien gefragt, von denen der Auftraggeber ausgeht, dass sich viele potentielle Mieter oder Käufer darin buchstäblich wiederfinden. Es ist daher ein dickes Brett, zu versuchen, Dinge grundsätzlich anders zu machen, weil Sie in der Regel mit Partnern zu tun haben, die mit der Vermarktung ihrer Wohnungen in der Vergangenheit Erfolg hatten. Wohnungsbaugesellschaften haben ihre Gebäude ja 50 Jahre und länger im Bestand. Also sind sie bestrebt, so etwas wie „neutrale“ Wohnungen zu bauen, die im Laufe dieser langen Zeit zu möglichst vielen, unterschiedliche Mietern passen. Das, was die Masse des Wohnungsbaus ausmacht, findet sich genau darin wieder.
Ich habe mich in den letzten Monaten immer wieder mit Akteuren aus der Wohnungswirtschaft unterhalten. Die Varianz in den Rückmeldungen ist sehr unterschiedlich, von der Idee, jetzt auch mal etwas Neues machen zu müssen bis hin zu der Überzeugung, dass sich nichts ändern muss. Eine sehr schöne Erfahrung haben wir Anfang des Jahres mit einer seit fast 70 Jahren bestehenden Mülheimer Wohnungsbaugesellschaft gemacht: Als die Vorplanung zu unserem gemeinsamen Projekt abgestimmt und freigegeben war kam eine neue Mitarbeiterin ins Unternehmen und übernahm den Bereich Vermietung. Sie war mit den Grundrissen nicht glücklich und schlug eine Überarbeitung vor. So setzten wir uns zusammen und berlegten, was wir in der gleichen Gebäude-Konfiguration anders machen könnten. Dabei sind richtig coole Wohnungen herausgekommen. Wir haben eine ganz neue Varianz in den Grundrissen erhalten, selbst Maisonette-Wohnungen waren wieder möglich. Das Projekt geht jetzt in die nächsten Planungsphasen. Es ist nicht groß, aber es ist für das Unternehmen ein Test, um zu schauen, wie diese Wohnungen ankommen.
Eine Frage, die sich mir noch stellt, ist, ob nach den Erfahrungen der letzten Monate die geltenden Förderrichtlinien noch angemessen sind. Ich hatte es vorhin schon angesprochen. Die Menschen haben in der Zeit des Lockdowns ihre Wohnungen in einer Intensität erlebt, die sie vorher nicht kannten. Wohnungen, deren Zimmer – bis auf einen halben Quadratmeter genau gemäß den geltenden Förderrichtlinien zugeschnitten – den Eltern weder Raum für einen Schreibtisch und den Kindern zu wenig Platz zum Spielen lassen, wenn draußen die Spielplätze gesperrt sind, genügen meiner Überzeugung nach nicht mehr den zukünftigen Ansprüchen. Also muss man nach meinem Dafürhalten die Flächenvorgaben der Förderrichtlinien neu definieren. Das wäre dann die von Ihnen angesprochene Revolution. Na ja, zumindest einen kleine…
In Deutschland fehlen bundesweit hunderttausende von Wohnungen, auch die Anzahl der Neubauwohnungen deckt den Bedarf bei weitem nicht. Der deutsche Wohnungsmarkt wird oft als „zu wenig, zu teuer, zu langsam beschrieben“. Können Sie dem zustimmen und was braucht die Bauwirtschaft, um dauerhaft zusätzliche Kapazitäten aufzubauen?
Die „hundertausenden“ von Wohnungen fehlen ja nicht akut, sondern mit Blick in die Zukunft, sprich in den nächsten Jahren. Und man darf nicht vergessen, sie fehlen vor allen Dingen in den Schwarmstädten. Wir haben auch Bereiche, wo es Leerstand gibt. Und das nicht nur an unattraktiven Orten. Folgt man den Ergebnissen der Empirica-Studia, dann wird der Druck auf die Schwarmstädte nach Corona ggf. nachlassen. Wie gesagt, wer öfter mobil von zuhause arbeitet und damit weniger pendelt, findet vielleicht die Randbereiche der großen Städte wieder interessant oder zieht aufs Land, weil hier die Mieten günstiger sind und man sich eher die größere Wohnung leisten kann, die man für regelmäßiges Homeoffice braucht. Vielleicht beobachten wir also eine räumliche Verschiebung der Nachfrage.
Aber Sie haben Recht, es entsteht zu wenig neuer, moderner Wohnraum, auch im Austausch zu alten Beständen, wir bauen teuer und es dauert alles sehr lange. Aber die Gründe sind vielschichtiger als die meisten glauben und die Antworten komplex. Schauen wir auf die Kosten: Zum einen sind die Baukosten in den letzten Jahren auf Grund der Konjunktur in vielen Gewerken spürbar gestiegen, zum anderen bauen wir immer größer. Die Quadratmeterzahl pro Kopf ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Und unser Bauen wird inzwischen von einer Unzahl an Vorschriften und
Regulierungen „begleitet“, die es unglaublich verteuert haben. Die Mieten haben aber trotz der Diskussion über Mietendeckel und andere Regularien in vielen Fällen nicht in dem Maße mitgezogen, dass sich Neubau für Wohnungsbaugesellschaften rechnet. Das heißt, Investoren und Projektentwickler gehen in den freifinanzierten Wohnungsmarkt – und da sind wir wieder bei Schwarmstädten wie München, Berlin oder Leipzig. Dort – wie inzwischen in den meisten Großstädten – werden den Investoren daher Auflagen für geförderten Wohnungsbau gemacht. Die Quoten liegen zwischen 25 und 30 % der vermietbaren Fläche, die insgesamt realisiert werden soll.
Schauen wir auf die Bauwirtschaft, so beobachten wir seit Jahren einen Personalabbau, und jetzt bekommt sie so schnell keinen ausreichenden,
qualifizierten Nachwuchs, da es nicht mehr so viele junge Menschen gibt, die auf dem Bau arbeiten wollen. Viele Unternehmen sind vom Markt verschwunden. Die Kapazitäten könnten also gar nicht so schnell hochgefahren werden, um all das zu realisieren, was Politik gerne umgesetzt hätte. Auch darum konzentrieren sich viele Unternehmen verstärkt auf die Industrialisierung des Bauens, auf Vorfertigung und serielle Systeme. Deswegen ist das Thema des modular-seriellen Bauens aufgekommen und von der Politik gepuscht worden – eine aus meiner Sicht sehr gute Idee. Es ist aber nicht das Allheilmittel, sondern kann nur ein Baustein in diesem Konzept sein. Unser Büro ist seit über 5 Jahren in dem Thema modular serielles Bauen sehr stark engagiert. Da geht es unter anderem um den damit erhofften Zeitgewinn im gesamten Prozess. Also haben wir uns in dem Zusammenhang mit Blick auf Geschwindigkeit auch intensiv mit den Fragen von Genehmigungsprozessen und Kapazitäten beschäftigt. Auch die Genehmigungsbehörden sind oft überlastet, weil auch dort in den letzten Jahren Personal abgebaut wurde oder freie Stellen nicht neu besetzt wurden. Das muss erst wieder langsam aufgebaut werden. Bauanträge bleiben also auch mal länger liegen oder die Bearbeitung verzögert sich. Oder sie werden einem „zur Entlastung“ wieder zurückgeschickt, weil etwas fehlt, was man früher hätte nachreichen können. Auch das kostet Zeit. Zudem fehlen oft die Grundstücke. Sie finden ganz viele Investoren und Wohnungsbauunternehmen, die sofort Wohnungen bauen würden, wenn sie denn passende Grundstücke hätten. Diese brauchen wir aber nicht nur fürs Wohnen: nicht nur bei uns in Essen streiten Wirtschaftsförderung und Stadtplanung immer wieder über die Umwidmung von Gewerbeflächen zu Wohngebieten. Denn gleichzeitig wird zurecht beklagt, dass uns in Essen wegen fehlender Gewerbeflächen Unternehmen abwandern. Man benötigt eine Balance zwischen Wohnraum und Arbeitsplätzen. Es sind also ganz viele Parameter, die dazu führen, dass wir nicht so schnell, so preiswert und so weit sind, wie man es sich vor einigen Jahren gewünscht hat.
Lesen Sie das vollständige Interview mit Axel Koschany auf der Seite des Architekturbarometer 30mal10 – Grohe Digital Talks.
Über Axel Koschany
studierte an der TH Darmstadt Architektur. Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre in Delft, bevor er 1995 in das Architektenbüro seines Vaters in Essen einstieg. 1998 folgte die Berufung in den Bund der Deutschen Architekten. Seit 2004 betreut er federführend internationale Projekte und Kooperationen. 2010 wurde Axel Koschany Gesellschafter der neu gegründeten KZP Koschany + Zimmer Projektentwicklung. Wohnungsbau und städtebauliche Quartierskonzepte sind zwei der Schwerpunkte des international agierenden Büros. Axel Koschany ist federführender Partner bei der Entwicklung seriell-modularer Konzepte durch sein Büro. Vorträge, Moderationen von Vorträgen sowie Veröffentlichungen in Fachbüchern und Fachzeitschriften gehören ebenfalls zu Axel Koschanys Portfolio. (www.kza.de)