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Schöne Platte – Janna Radlow, Stipendiatin 2019/2020

 

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Bloggerin: Janna Radlow
“Schöne Platte”

Sonnenstrahlen brechen durch die grafischen Gebilde, spiegeln sich in langgezogen Glasbändern und treffen auf die gegenüberliegenden Mauern. Spielerisch fügen sie sich in in das klare Raster ein. Vor- und Rücksprünge lassen Schatten entstehen und zeichnen zusammen mit dem Lichtspiel der Fenster ein ästhetisches Bild auf den Beton. Beim Durchschreiten der hochgewachsenen Monolithen hebt sich langsam mein Kopf und der Blick richtet sich ganz automatisch nach oben. Staunend untersuchen meine Augen die niemals zu enden scheinenden geradlinigen Strukturen der einzelnen Blöcke. Die Vervielfältigungen einzelner Elemente, die manch einer als monoton zu beschreiben vermag, machen diese Riesen so eindrucksvoll, stark und präsent. Die Fluchten die durch das Zusammentreffen mehrerer Gebilde entstehen und die durch ihre langgestreckten Körper immer länger und länger wirken, saugen mich ein und machen das Anhalten schwer. Analogien dieser mächtigen Körper bilden Raster auf großen Flächen. Durchbrochen werden diese durch klar geordnete Grünflächen die den Blick zwischendurch immer wieder in die Horizontale zurückfallen lassen. Dann treten bewusster die farbenfrohen Balkone hervor, von denen man sicherlich einen atemberaubenden Weitblick haben muss. Trotz ihrer Schlichtheit und der Reduzierung auf das Wesentliche kommt das schmückende Ornament nicht zu kurz. Hauseingänge, Treppenhäuser und besonders Seitenwände geben den Bauten durch die grafischen Verzierungen einen individuellen Charakter. Sowohl Farben als auch ausgefallene Muster fallen mir direkt auf und die Suche nach immer neuen Formen und Rastern beginnt. Toll – diese Platten in Ha-Neu!

Zur Zeit stellt sich mir die große Frage, womit ich mich in meiner Masterarbeit auseinander setzen möchte. Dafür habe ich nun begonnen meine Umgebung noch intensiver wahrzunehmen und zu beobachten. Was gibt es schon? Was ist eigentlich ganz gut? Wo kann ich weiterdenken? Ich wohne im Moment in Halle an der Saale. Eine Stadt die durch ihre gut erhaltenden Altbauviertel eine echte kleine Schönheit ist. Doch es gibt eben noch einen oben beschriebenen, komplett anderen Stadtteil auf der gegenüberliegenden Flussseite, der meist eher mit Begriffen wie „grau und hässlich“ beschimpft wird. Es handelt sich um den Stadtteil Halle-Neustadt, „Ha-Neu“. Konzipiert als eigenständige Stadt, waren die Wohnblöcke zur Zeit ihrer Entstehung in den 70ern „Objekte der Begierde“. Ausgestattet mit Fernheizung, warmen Wasser und Wohnraum für bis zu 90.000 Bewohner, wollten viele Kleinfamilien unbedingt eine der 55 Quadratmeter großen Wohnungen ergattern. Doch nach der Wende zog die Hälfte der Bewohner ins Altstadtzentrum, in die frisch sanierten, meist herrschaftlichen Altbauten zurück. Heute ist vor allem der dramatische Leerstand eines der besonderen Merkmale des Stadtteils. Halle Neustadt war und ist dauerhaft „Idee und Experiment, Lebensort und Provokation“. Vielleicht setze ich hier in meiner Masterarbeit an. Schon zu Beginn der Neustadtplanung stellten sich die Architekten die Frage: „Wie wollen wir leben?“ Das fragen wir uns heute immer noch oder zumindest immer wieder aufs Neue. Wie wäre es also wenn das Experiment Ha-Neu weitergeführt werden würde? Wie kann man in Zeiten der Wohnungsnot den bestehenden Plattenbau auch für andere Augen wieder attraktiv machen und umgestalten? Ein paar der wichtigsten Parameter werden hier schließlich schon erfüllt. Denn hier ist der Wohnraum für alle gleich. Hier gibt es durch die Durchmischung sozialer Strukturen noch Diversität. Hier kann Gemeinschaft, Freundschaft und Familie entstehen. Hier kann die Geschichte der Platte fortgesetzt werden.

Quellen: “50 Jahre Streitfall Halle-Neustadt” von Peer Pasternack u. a.

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