Poesie & Technik #2

Vortragsveranstaltung über das Zusammenspiel von Poesie & Technik in der Architektur

24. März 2022, 18 Uhr | Livestream aus der Multihalle in Mannheim

Ohne Technik ist Architektur nicht denkbar, doch ohne Poesie ist sie nichts. Wie beides gelungen zusammenkommt – das ist die große Herausforderung. Dabei entsteht diese (unbewusste) Poesie auf ganz unterschiedliche Weise: Formen, Materialien, sowie der Kontext mit den kulturellen, gesellschaftlichen, ortstypischen und auch natürlichen Gegebenheiten, aber gerade auch die Kombination all dieser Dinge schaffen poetische Architektur.

Dass hinter jeder Meisterleistung der Architektur als Grundpfeiler auch ausgefeilte Technik steckt, die überhaupt erst die Großartigkeit des kreativen Entwurfs real werden lässt, wird oft übersehen. Doch gerade die Technik ist es, die gestalterisch geschickt eingesetzt als Verstärker dienen kann, der die poetische Dimension eines Baus überhaupt erst sichtbar werden lässt. Begleiten Sie das Zusammenspiel von Poesie & Technik in interessanten Impulsvorträgen und Gesprächen im Duett mit Martin Bez (bez+kock Architekten, DE-Stuttgart), Marc Frohn (FAR frohn&rojas, Berlin/Santiago de Chile/Los Angeles), Simon Frommenwiler (HHF, CH-Basel), Thorsten Helbig (knippershelbig, DE-Stuttgart/Berlin, USA-New York), Philip Kurz (Wüstenrot-Stiftung, DE-Ludwigsburg) und Tivadar Puskas (Schnetzer Puskas Ingenieure, CH-Basel). Grußwort und Einführung werden gesprochen von Ralf Eisenhauer (Bürgermeister für Bauen, Planung, Verkehr und Sport, DE-Mannheim) und Markus Müller (Kuratorium Multihalle/Präsident Architektenkammer Baden-Württemberg, DE-Stuttgart).

Mitglieder diverser Architekten- und Stadtplanerkammern können für die Teilnahme an der Veranstaltung Fortbildungspunkte erhalten. Sollten Sie hierfür oder für Ihre*n Arbeitgeber*in eine Bescheinigung benötigen, wenden Sie sich gerne an poesie-technik@ait-online.de.


Das Thema

Poesie & Technik sind augenscheinlich zwei völlig gegensätzliche Begriffe. Doch blickt man auf die Architektur wird deutlich, dass sie durchaus Hand in Hand gehen können – ja sogar müssen. Ohne Technik ist Architektur nicht denkbar, doch ohne Poesie ist sie nichts. Wie beides gelungen zusammenkommt – das ist die große Herausforderung.

Manchmal kommt sie ganz leise daher, fast schon versteckt, dezent. Mal zeigt sie sich in einem dramatischen Auftritt, spielt die Hauptrolle: Aber immer ist Technik ein entscheidendes Element jeder Architektur. Eines mit vielen Gesichtern, das für sich allein betrachtet durchaus eine poetische Seite hat und in der Gesamtheit Poesie in der Architektur überhaupt erst möglich macht.

Dabei entsteht diese (unbewusste) Poesie auf ganz unterschiedliche Weise: Verschiedene Formen, vielfältige Materialien, die Beachtung kultureller, gesellschaftlicher, ortstypischer und auch natürlicher Gegebenheiten sowie der Einklang mit dem Kontext, aber gerade auch die Kombination all dieser Dinge schaffen poetische Architektur.

Tempel, Schlösser und auch Wolkenkratzer sind Langzeitzeichen einer Poesie, die sich auch in Holz, Lehm, Stein und Beton ausdrückt. Und die immer wieder neue Formen, Farben und Stile erfindet. Wir wissen immer noch nicht genau, wie die Pyramiden in Ägypten errichtet wurden. Doch was wir wissen ist, dass sie uns bis heute beeindrucken – und das nicht nur aufgrund ihrer Größe.

Poesie wird dabei gänzlich unterschiedlich interpretiert: Bei Louis Barragan wird sie im Zusammenspiel von farbigen Flächen, dem Spiel mit Licht sowie der kulturellen und ortsgebundenen Einbettung des Projekts sichtbar; bei Erich Mendelsohn offenbart sie sich in den auffällig geschwungenen Flächen, die sich in seinen Gebäuden finden. Wie kaum ein anderer bringt der Architekt Santiago Calatrava, der als Künstler und Bauingenieur den Bogen zwischen Technik und Poesie mühelos spannt, die poetische Saite zum Klingen. Mies van der Rohes moderne Tragstrukturen aus Stahl wiederum ermöglichten eine hohe Variabilität der Nutzflächen und eine großflächige Verglasung der Fassaden, was seinerzeit eine völlig neue Wirklichkeit der Poesie erschaffen hat. Selbst die größten Ingenieurbauten wie der Eiffelturm in Paris, die die Technik zum Gestaltungselement erheben und die Identität eines Gebäudes prägen, berühren emotional.

Dass dabei hinter jeder Meisterleistung der Architektur ausgefeilte Technik steckt, die überhaupt erst die Großartigkeit des kreativen Entwurfs real werden lässt, wird allerdings oft übersehen. Tatsächlich verstecken sich diese „technischen Helfer“. Sie bleiben im Hintergrund, scheuen meist den großen Auftritt, für den sie in erster Linie auch nicht gemacht sind. Aber sie machen Großes möglich.

Architektur will emotional berühren. Und auch Technik ist dazu im Stande: Indem sie auf eine Weise integriert wird, dass sie gestalterisch spannend ist und gleichzeitig die Architektur unterstützt, wirkt sie wie ein Verstärker. Ein Verstärker, der die Architektur zum Klingen bringen kann. Der geradezu die poetische Dimension eines Baus sichtbar werden lässt.


Das Programm
18:00 Uhr Begrüßung
Kristina Bacht (AIT-Dialog, Hamburg) &
Mike Bucher (Schöck, Baden-Baden)
18:05 Uhr

Einführung
Ralf Eisenhauer (Bürgermeister für Bauen, Planung,
Verkehr und Sport, Mannheim) & Markus Müller
(Kuratorium Multihalle/Präsident Architektenkammer
Baden-Württemberg, Stuttgart)

18:15 Uhr

Marc Frohn (FAR frohn&rojas, Berlin/Santiago de Chile/
Los Angeles) & Philip Kurz (Wüstenrot-Stiftung,
Ludwigsburg)

18:45 Uhr

Martin Bez (bez+kock Architekten, Stuttgart) &
Thorsten Helbig, knippershelbig
(Stuttgart/Berlin, New York)

19:15 Uhr

Simon Frommenwiler (HHF, Basel) &
Nora Legittimo (Schöck, Baden-Baden) &
Tivadar Puskas (Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel)

19:45 Uhr

Gesprächsrunde mit allen Referent*innen

20:15 Uhr

Verabschiedung


Die Referenten

Martin Bez (bez+kock Architekten, DE-Stuttgart)
Martin Bez gründete mit Thorsten Kock 2001 das Büro bez+kock in Stuttgart und arbeitet dort heute mit circa 50 Architekt*innen zusammen. Die Aufträge erhält das Büro vornehmlich aus gewonnenen Architekturwettbewerben. Diese sind idealtypischer Ausdruck des umfassenden Qualitätsanspruchs an ihre Architektur. So vielfältig die Aufgabenstellungen sind … > Weiterlesen


Prof. M. arch. Marc Frohn (FAR frohn&rojas, DE-Berlin/CL-Santiago de Chile/US-Los Angeles)
Marc Frohn ist Mitbegründer des Architekturbüros und studierte an der RWTH Aachen, der Universitá Federico II in Neapel, Italien, der University of Houston, USA und der Rice University, Houston, USA. Marc Froh hat bei OMA gearbeitet und an Projekten von b&k+ brandlhuber mitgewirkt. Er lehrte Architekturdesign an der RWTH Aachen … > Weiterlesen


Simon Frommenwiler (HHF, CH-Basel)
Simon Frommenwiler ist Partner und Mitgründer des Architekturbüros HHF Architekten, das er im Jahr 2003 gemeinsam mit Tilo Herlach und Simon Hartmann in Basel gegründet hat und das sich vor allem mit Architektur und Städtebau befasst. Sie realisierten Bauprojekte in der Schweiz, China, Deutschland, Frankreich, Mexiko und den USA mit Bauaufgaben … > Weiterlesen


Thorsten Helbig (knippershelbig, DE-Stuttgart/Berlin, USA-New York)
Thorsten Helbig ist geschäftsführender Gesellschafter und Gründungspartner von knippershelbig, einem national und international tätigen Ingenieurbüro für Tragwerks- und Fassadenplanung, Nachhaltigkeitsberatung und Geometrieentwicklung technisch und architektonisch anspruchsvoller Projekte mit Niederlassungen … > Weiterlesen


Philip Kurz (Wüstenrot-Stiftung, DE-Ludwigsburg)
Philip Kurz ist Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung und Leiter der Themengebiete Denkmale und Literatur. Er studierte Architektur in Braunschweig und Stuttgart sowie Immobilienökonomie an der European Business School in Berlin. Erfahrungen im Umgang mit herausragender Architektur erwarb er bei seiner Tätigkeit für Günter Behnisch in Stuttgart… > Weiterlesen


Nora Legittimo (Chief Digital Officer (CDO), Schöck Bauteile GmbH)
Nora Legittimo studierte BWL im dualen Studium bei der SAP AG. Nach verschiedenen Stationen in der IT- & Prozessberatung sowie Verantwortung für eine Unternehmenstransformation im Mittelstand, leitet sie heute den Bereich Digitalisierung beim familiengeführten Mittelstandsunternehmen Schöck Bauteile GmbH … > Weiterlesen


Tivadar Puskas (Schnetzer Puskas Ingenieure, CH-Basel)
Das Portfolio von Schnetzer Puskas Ingenieure in Basel umfasst ein breites Spektrum an Projekten, vom Privathaus bis zum komplexen Hochhaus sowie Kunstbauten. Mit rund 100 Mitarbeitenden an vier Niederlassungen in Basel, Zürich, Bern und Berlin, bildet die Tragwerksplanung von der Entwurfsphase bis zur Ausführung den Schwerpunkt … > Weiterlesen


Die Multihalle

Als die Multihalle von Frei Otto und Architekt Carlfried Mutschler 1975 im Rahmen der Bundesgartenshow (BUGA) eröffnet wurde, waren Besucher und Fachwelt gleichermaßen beeindruckt von der bis heute größten, freitragenden Holzgitterschalenkonstruktion in der Mannheimer Innenstadt, die eine Fläche von 7.400 Quadratmeter überwölbt.

Im Zuge der Planung hatte die Berechnung der Flächen damals erstmalig über einen Computer stattgefunden, war zur Sicherheit aber auch noch einmal händisch überprüft worden. Darüber hinaus testete Frei Otto anhand eines Modells die Lastensicherheit seines Entwurfs und hängte dazu 205 mit Wasser gefüllte Mülltonnen an eine Gitterschalenkonstruktion. Diese wich lediglich 1 cm von der zuvor errechneten Deformation ab, konnte also tatsächlich gebaut werden.

Über die Zeit kam der Stadtmagnet jedoch in die Jahre: Die Holzlattenkonstruktion, die eine maximale Querspannweite von 60 Metern und eine Längsspannweite von bis zu 85 Metern nebst einem Kuppelhöchstpunkt von 20 Metern aufweist, war von Feuchtigkeit angegriffen und die PVC-Haut der Konstruktion undicht geworden. Die Halle konnte letzlich nur noch mit Notabstützungen vor dem Zusammenbruch bewahrt werden und war zwischenzeitlich sechs Jahre lang unzugänglich.

Die Sanierung des Bauwerks, das bereits 1998 unter Denkmalschutz gestellt worden war, stand wegen hoher Kosten und weiterer Risiken im Bauverlauf stets in der Diskussion. Als im Juni 2016 die Sanierungskosten auf 11,6 Millionen Euro geschätzt wurden, beschloss der Gemeinderat, die Halle zum Abriss freizugeben. Gelänge es, bis Ende 2017 Gelder über externe Firmen oder Mäzene zu rekrutieren und die Betriebskosten auf einen finanziell sicheren Boden zu stellen, so könne jedoch noch einmal über eine Sanierung nachgedacht werden.

Der internationale Aufschrei in der Kreativ-, Architekten- und Ingenieurwelt war groß und der Beschluss des Gemeinderats die Multihalle gegebenenfalls abzureißen, löste eine Protestwelle aus – sicher auch vor dem Hintergrund des Pritzker-Preises, den Frei Otto 2015 verliehen bekommen hatte. Die Protestwelle wandelte sich schnell in eine große Welle der Unterstützung ganz unterschiedlicher Personen und Institutionen und war auch in der internationalen Öffentlichkeit präsent. Mit Hilfe von Sponsoren konnte probeweise die Umsetzung der planerischen Sanierungs-, Verstärkungs- und Reparaturideen 1:1 am Objekt durchgeführt werden. Ganz im Sinne von Frei Otto wurden auf experimentelle Weise Erkenntnisse gewonnen, die zur Planungs- und Kostensicherheit beitrugen, bevor die Maßnahmen zur Ausführung ausgeschrieben wurden.

In einem ersten Schritt wurden Dellen und Beulen mit 100 Schwerlastsprießen wieder in die ursprüngliche Geometrie gedrückt und die Bewegungen der Konstruktion mit Lasern abgebildet und überwacht. In einem zweiten Schritt die Verstärkung der Holzkonstruktion und ihrer Anschluss- und Befestigungsdetails einschließlich der Membran getestet. Danach folgen der probeweise Austausch eines Holzrandträgers und die Instandsetzung einer Stahlstütze: die Instandsetzung lief genauso experimentell ab wie ihre Errichtung, da es weltweit kein vergleichbares Bauwerk gibt.

Neben der fachlichen und handwerklichen Kompetenz, kamen weitere Unterstützun hinzu. So wurde eine ganze Reihe von Aktionen und Ausstellungen ins Leben gewrufen, um das Bauwerk zu erhalten und wiederzubeleben beispielsweise die Ausstellung „Sleeping Beauty“ auf der Architekturbiennale in Venedig. Bereits 2017 fanden auch die ersten internationalen Workshops zur Entwicklung von Nutzungskonzepten statt. Einige Beteiligte sehen auch heute noch das große Potential der einzigartigen Bauweise der Multihalle und vergleichen die Möglichkeit, mit dem Bauwerk Werbung für die Stadt zu machen, mit der Werbewirkung des Eiffelturms in Paris. Mittlerweile weiß auch die Stadt ihr Kleinod wieder zu schätzen und möchte das Potential des ikonographischen Baus nutzen, der bei den Manheimer*innen Identität erzeugt. Nun werden in Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern Nutzungskonzepte für die Halle entwickelt – ein Gemeinschaftsprojekt bei dem es gilt, eine eingeschlafene Schönheit wieder zu erwecken.

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Poesie & Technik #1 | 28. Juni 2021

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