10 Thesen zu einer Neuen Bauakademie. Leitartikel im Newsletter 04/2017
In Berlin soll weiter rekonstruiert werden: Nun wird über die Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel diskutiert, die einst vis-a-vis des Berliner Schlosses auf der anderen Seite des Spreekanals und neben der Friedrichswerderschen Kirche stand. 1836 errichtet, war die Bauakademie das vielleicht radikalste Gebäude Schinkels. Ein unverputzter Backsteinbau, ein „roter Kasten“, der die Industriearchitektur des 19. und 20. Jahrhundert vorwegnahm. Manche sagen, Schinkel habe mit der Bauakademie das Schloss regelrecht herausgefordert und mit einer gänzlich neuen Haltung in der Architektur konfrontieren wollen.
Nachdem in der Diskussion jahrelang wenig passierte, stellte der Haushaltsausschuss des Bundestages im November 2016 überraschend 62 Millionen Euro für den Wiederaufbau zur Verfügung. Das brachte neuen Schwung in die Debatte – vielleicht zu viel Schwung. Denn schon wird von einer baldigen, bereits für den Sommer 2017 geplanten Wettbewerbsauslobung gesprochen, obwohl noch niemand weiß, welche Nutzung im Inneren eigentlich stattfinden soll oder wer das Gebäude überhaupt nutzen könnte. Von Februar bis Mai 2017 organisiert die Bundesstiftung Baukultur im Auftrag des Bauministeriums ein Dialogverfahren, das in nur drei öffentlichen Veranstaltungen eine Nutzung des Neubaus entwerfen soll. Ist das in dieser Kürze überhaupt möglich? Und inwiefern eignet sich eigentlich Schinkels Gebäude für ein neues „Architekturzentrum“ in der Mitte Berlins?
Skepsis ist angebracht. Oliver Elser, Florian Heilmeyer und Ulrich Müller haben 10 Thesen formuliert und im März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Mittlerweile haben sich über 100 Architekten, Kuratoren und Journalisten der Initiative angeschlossen, darunter Matthias Sauerbruch, Volker Staab, Regine Leibinger, Jürgen Mayer H., Andreas Ruby, Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerell, Angelika Fitz, Thomas Köhler, Martino Stierli, Andres Lepik oder Heinrich Wefing.
Die aktuelle Liste der Unterstützerinnen und Unterstützer und aktuelle Informationen finden Sie auf der Webseite http://www.neuebauakademie.de
Offensichtlich hat diese Initiative einen Nerv getroffen.
10 Thesen
Die Neue Bauakademie darf kein zweites Stadtschloss werden! Das Humboldtforum ist zum neopreußischen Fassadenzombie geworden, hinter dessen Oberfläche aus Natursteinschnitzereien eine zeitgenössische Kulturmaschine versteckt wird. Deren inhaltliche Ausrichtung viel zu spät definiert wurde, was zu den bekannten, gewaltigen Konflikten mit dem Schlossfassadenkorsett geführt hat. Der Bauakademie droht jetzt dasselbe Schicksal. Ein Architektur¬wettbewerb mit dem Zwang zur Fassadenrekonstruktion würde ein weiteres Debakel produzieren. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.
Eine Neue Bauakademie hingegen kann in der verkrampften Rekonstruktionsdebatte gänzlich neue Wege bestreiten. Wir haben die einmalige Chance, es besser zu machen.
Der vom Bundesbauministerium ausgegebene Fahrplan sieht vor, dass noch in diesem Jahr – vor den Bundestagswahlen! – der Architekturwettbewerb für den Wiederaufbau ausgeschrieben wird. Doch dafür fehlen die Grundlagen. Wer wird für das Programm der Bauakademie zuständig sein? Wer kann sagen, wie viel Raum für Ausstellungen, Veranstaltungen, Depots, Gastronomie, Bibliothek, Buchladen und Büros benötigt wird? Könnte ein Wettbewerb nicht auch ein Ergebnis bringen, das alle bisherigen Planungen über den Haufen wirft? Außerdem schlummern im Boden noch Fundamentreste der originalen Bau¬akademie. Die Denkmalpflege hat bereits angemeldet, dass auch die Zerstörungs¬geschichte des Gebäudes nicht einfach übergangen werden darf. Bevor nicht all diese Fragen abgearbeitet sind, vergeudet ein Architekturwettbewerb sinnlos kreative Energien und Geld.
Beim ersten Dialogforum im Februar haben sich bereits zwei Anwärter auf die künftige Bespielung der Bauakademie in Position gebracht: Die Technische Universität Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dem Bauministerium, beraten durch die Bundesstiftung Baukultur, kommt die Rolle des Schiedsrichters zu.
Durch ein Andocken an eine bestehende Institution wird jedoch das enorme Potenzial verspielt, die Bauakademie als neue und unabhängige Plattform zu gründen, auf der die unterschiedlichsten Akteure miteinander verbunden werden können. Eine „Stiftung Neue Bauakademie“ ist die richtige Form dafür.
Die „Stiftung Neue Bauakademie“ muss ihr Programm unabhängig entwickeln. Notwendig ist eine starke Intendanz, die ihre Arbeit bereits im Vorfeld eines Architekturwettbewerbs aufnimmt. Denn jeder weiß, dass das Ringen um gute Lösungen nach einer Juryentscheidung eigentlich erst anfängt: Gute Architektur braucht verantwortliche und entscheidungsbefugte Auftraggeber. Das muss bereits frühzeitig die Intendanz sein. Mit deren Auswahl wird zugleich die inhaltliche Ausrichtung der Neuen Bauakademie in den ersten Jahren bestimmt. Der Gründungsintendanz kommt also eine Schlüsselrolle zu. Sie muss durch eine politisch unabhängige Findungskommission bestimmt werden.
Neben den etablierten Architektursammlungen gibt es in Berlin eine weltweit einzigartige Vielfalt höchst unterschiedlicher Akteure, die den Diskurs zu Architektur und Stadt seit Jahren prägen: AEDES, die Zeitschrift Arch+, das Haus der Kulturen der Welt, das Deutsche Architekturzentrum DAZ, um nur einige zu nennen. Die Neue Bauakademie darf kein Projekt werden, bei dem das vielfältige, kreative, junge Berlin wieder einmal nur gelobt, aber bei der Gestaltung eines großen Projektes nicht einbezogen wird. Sie muss die Vielfalt und Lebendigkeit der für Berlin charakteristischen Provisorien zulassen. Daher muss die Neue Bauakademie ihr Programm auch für diese freien Akteure öffnen. Gleichzeitig tritt sie als Partner im Stadtraum auf. Sie könnte wie ein koproduzierendes Kulturfestival agieren, vergleichbar der Ruhrtriennale oder dem Steirischen Herbst.
Die Neue Bauakademie kann wie ein Brennglas alle Energien bündeln, die in Berlin zu den Architekturfragen unserer Zeit vorhanden sind. Aber sie ist kein Instrument des Stadtmarketings. Sie muss ein Profil als kollegialer Mitspieler der übrigen Berliner Akteure entwickeln und gleichzeitig mit internationalen Institutionen in Austausch stehen. Das Ziel ist eine Einrichtung, die in einem Atemzug mit Orten wie dem Canadian Centre for Architecture in Montreal, dem Getty Research Institute in Los Angeles oder der Pariser Cité de l’architecture genannt wird.
Die erste Aufgabe der Neuen Bauakademie muss darin bestehen, das intellektuelle Fundament ihres eigenen Wiederaufbaus zu klären: Schinkels radikale Geste, einen „roten Kasten“ direkt gegenüber dem königlichen Schlosses zu errichten, ist der Kern des Bauakademie-Mythos. Aber was hat diese wärmende Erinnerung an die Eroberung der feudalen Mitte oder an den sichtbar industriellen Charakter der Bauakademie heute für Konsequenzen? Wo sitzt heute dieser Stachel? Selbst wenn man sich für einen Wiederaufbau anstatt für eine Interpretation entscheidet, muss diese Debatte nicht bei null beginnen. In den letzten Jahren wurden beispielhafte Projekte entworfen, die architektonische Maßstäbe gesetzt haben (selbst wenn sie nicht immer umgesetzt wurden): Der Sonderankauf von Kuehn Malvezzi für das Berliner Stadtschloss, die Meisterhäuser in Dessau von Bruno Fioretti Marquez oder die Fassade des Naturkundemuseums von Diener+Diener.
In einem Wettbewerb muss das ganze Spektrum möglicher Lösungen grundsätzlich zulässig sein. So könnte eine Lösung darin bestehen, den Rohbauzustand des Jahres 1836 herzustellen und alle Anpassungen an die heutige Zeit als nachträgliche Einbauten sichtbar hinzuzufügen. Oder man baut hinter den vier Schinkelfassaden einen White Cube, der wie der Fun Palace von Cedric Price immer wieder umgebaut werden kann. Oder bietet uns am Ende ein gänzlich schinkelfreier Neubau die beste Lösung? Wir wollen einen wirklich offenen Wettbewerb solcher Ideen sehen. Dafür muss die beste aller Jurys zusammenkommen.
Es muss auch möglich sein wenig oder vorerst nichts zu bauen. Sollte der Wettbewerb zu keinem Ergebnis führen, erfolgt die Umwidmung: Vom Baubudget zum Programmbudget. Für 62 Millionen könnte man viele Jahre lang hochkarätige Architekturausstellungen und Veranstaltungen durchführen – oder den verwilderten Ort hinter den Planen der Bauakademie kreativ bespielen. Die Neue Bauakademie muss besser werden als das, was die vorhandenen und chronisch unterfinanzierten Akteure mit diesem Budget hätten realisieren können. Wir glauben, dass die Bauakademie dieses Potenzial hat, wenn sie nicht mit den bestehenden Akteuren in Konkurrenz tritt, sondern ein Ort der gemeinsamen Gestaltung wird.
Schinkels Bauakademie war ein nutzungsoffener Bau. Das ist die Anforderung an eine Neue Bauakademie: Sie muss so anpassungsfähig sein wie das Original. Daher ist der Architekturwettbewerb zwar ergebnisoffen durchzuführen, aber das Ziel ist eine Lösung, die sich dauerhaft bewähren kann. Darin liegt die historische Chance des Wettbewerbs: Ein nutzungsoffenes Gebäude, das aus der Tradition der Bauakademie und im geistigen Dialog mit ihrer revolutionären Architektur zu entwickeln ist.
Autoren:
Florian Heilmeyer, Architekturkritiker
Ulrich Müller, Gründer der Architektur Galerie Berlin
Oliver Elser, Kurator Deutsches Architekturmuseum