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Rahel Willhardt


                                     1967 geboren in Kassel 1989–1996 Studium der Soziologie und Forschungstätigkeiten an den Universitäten
                                     Nürnberg und Bielefeld 1997–2003 Öffent lichkeitsarbeit für Agenturen, Ingenieur büros und Konzerne seit
                                     2003 Fachjournalistin für Handel, Architektur, Immobilienwirtschaft und Marketing


























                Fotos: Compagnie de Phalsbourg






                Fachmarktzentrum der neuesten Generation: das L´Atoll in Angers von Antonio Virga und Vincent Parreira (siehe AIT 9/2013) • The latest generation of retail parks: the L´Atoll in Angers by Antonio Virga and Vincent Parreira.



                F   rüher hieß es: Wo es billig ist, sieht es auch so aus. Entsprechend schrabbelig waren  den schnellen und bequemen Versorgungseinkauf konzipiert, müs sen Umbauten nun
                                                                              Anreiz zum Bummeln schaffen. Warum? Besorgungen erledigen Kon sumenten mit wach-
                    die Discounter. Nun schüttelt ein Billigheimer nach dem anderen sein Ramschimage
                ab: 2009 eröffnete Kodi den Trading-up-Reigen, im Mai stellte mit Aldi-Süd die vorletzte  sender Tendenz im Netz. Was sie jedoch vom Mausklick weglockt, sind Kauf erlebnisse.
                große Kette ihre Designoffensive vor. Aufräumen und Platz schaffen, lautet das Motto der  Die allein zählen, denn sie steigern die Verweildauer und die Umsätze gleich mit. Im
                Umgestaltung: Regale werden flacher, Warengänge breiter und Decken höher. Schale  Weserpark funktioniert’s: Durchschnittlich 2,5 Stunden bleiben Besucher, gut eine
                Neonstrahler  weichen realem oder künstlichem Tageslicht und usselige Wühltische  Stunde länger als vor dem Remake.
                schickt man zugunsten  wohlgeordneter  Auslagen in die  Verbannung. Und  wo einst
                Deckenhänger verwirrten, weisen eingängige Schriften oder Symbolbilder über Waren-  Frankreich, du hast es schöner!
                gruppen den Weg. Klar nach Form, Farbe oder Thema geordnet, präsentieren sich Waren
                begehrlicher und Ladenflächen behaglicher denn je. Discounter sind der Fachmarktzen-  Dumm nur, dass alle Developer im Kampf gegen Online-Umsatzschwund zu ähnlichen
                tren wichtigste Mieter. Und so verwundert es kaum, dass der neue Spaß am Gestalten  Maßnahmen greifen. So verschwimmen die Grenzen zwischen Formaten. Und mit ihnen
                auch auf die funktionalen Kisten überschwappt. Zumindest auf jene mit rückläufiger  die Besuchsgründe: Wozu an den Stadtrand fahren, wo die Mall so nah liegt? Okay, es
                Besucherzahl oder mit absehbar auslaufenden Langzeit-Mietverträgen. Und wo es der  gibt kostenlose Parkplätze und ein Sortiment das „regionale  Versorgungs lücken“
                Platz und die Ge nehmigungslage zulassen, wandeln sich funktionale Verkaufsmaschinen  schließt. Aber Hand aufs Herz: Reicht das dauerhaft aus? Nein, meint man in Frankreich
                zu sogenannten Hybridmalls: halb Fachmarkt, halb Shoppingcenter. Wie, das skizziert  und treibt die Entwicklung eines neuen Fachmarkttypus  voran: 2007 er öffnete der
                Architekt Michael Maas.  Sein Büro modernisierte den Weser- und Ruhrpark sowie  Reimser Entwickler Frey den ersten „Parc Commercial“ neuer Natur. Der weil gibt es 13
                aktuell den Havelpark und Kaufpark Eiche. Dort werden Glasaufzüge, Spielplatz und  „Greencenter“, zehn weitere sind projektiert. Was die Einkaufsparks auszeichnet, ist ein
                Eisdiele das Entre von der Verteilzone zur einladenden Geste verwandeln. Innen lockern  intensiv begrüntes Fußgängerzonenambiente  und  nachhaltige  Architektur. Dass sich
                Foodcourt, Eventfläche und lauschige Sitzgruppen das Ladenstaccato auf. Überhaupt sor-  urbane  Gestaltung  auf  der  Grünen Wiese toppen  lässt,  bewies  nicht  zuletzt  die
                gen warme Materialien, Farb akzente und Tageslichteinfall für Atmosphäre. Dazu trägt  Compagnie de Phalsbourg 2014 mit ihrem ersten Open Sky Shop pingcenter Waves in
                auch der verlängerte Rund lauf bei. Vor der Tür weichen Parkplätze einer begrünten  Metz. Skulptural schlängelt es sich entlang der A31. Aus spie gelndem Stahl erbaut, fällt
                Terrasse mit Gastronomie. Kurzum, die Immobilie gewinnt und das Kaufangebot mit ihr:  das Center garantiert jedem Vorbeifahrenden auf. Doch auch für Einkäufer funktioniert
                mehr Läden, Kulinarik und Service – vieles wertiger als das bisher Gekannte!  es. Denn auf dem 17-Hektar-Areal herrscht unerwartete Intimität. Wie eine schützende
                                                                              Geste legt sich der herzförmig gestaltete Ladenreigen um das Gelände. 33.000 Verkaufs -
                Das Stadtrandformat ist in einer Identitätskrise              quadratmeter integriert die Fußgänger zone, in der die reflektierende Fassade ein magis-
                                                                              ches Etwas zaubert. Jenseits der Ladenstraße dominieren Baumalleen, Pflanzen, Fon -
                „Aber sieht der moderne Retail-Park nicht wie ein Shoppingcenter aus?“, wundert sich  tänen und Seen mit gläsernen Pavillons für die Gastronomen. Was man hier vergebens
                der unbedarfte Betrachter. „Nein“, entrüsten sich Handelsimmobilienentwickler für ge -  sucht, ist die fachmarkttypi sche Blechlawine vorm Haus. Geparkt wird im Herzen des
                wöhnlich. Die Ladenflächen seien üppiger und der rigide regulierte Sorti ments mix ließe  Shoppingareals. Wobei Parkplatz hier definitiv von Park kommt: Die Bepflanzung ist so
                deutlich  weniger  Mode  zu.  Aber  denkt  so  der  Konsument?  Vermutlich  nicht!  Groß -  üppig, dass mancher Gast nach Abstellplätzen fragt. „Open Sky Center sind weder Mall
                britanniens führender Fachmarktentwickler, British Land, löste das Problem salo mo -  noch Fachmarkt, weder City noch Freizeitpark und doch haben sie von alledem etwas“,
                nisch: Er konzipiert seine Assets mittlerweile nach Kaufanlässen statt nach Handels -  wagt der Pressesprecher der Compagnie de Phalsbourg,  Jean-Sylvain Camus, eine
                formaten. Fakt ist, das Stadtrandformat steckt in einer Identitätskrise. Ursprüng lich für  Definition. Und Waves-Architekt  Gianni Ranaulo ergänzt: „Das Einkaufssetting ist so



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