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Hans Nickl Christine Nickl-Weller
Foto: Rainer Taepper Architekturstudium TU München 1979 Gründung von Nickl & Partner Architekturstudium TU München 1989 Eintritt Nickl & Partner 2004–2017 Professur TU Berlin,
Architekten, München 1902–2005 Professur FH Erfurt, Fachgebiet Kon-
Fachgebiet Entwerfen von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens (heute: Archi-
struktives Entwerfen 2005–2017 Gast-Vorlesungen TU Berlin
tecture for Health) seit 2019 Aufsichtsratsvorsitzende der Nickl & Partner Architekten AG
Abbildungen: Nickl & Partner Architekten Abbildungen: Nickl & Partner Architekten
(2) ... sowie der Fokus auf Einzelzimmern – darunter viele mit Loggia –, da die Patienten oft Wochen bleiben. (3) Ideenskizze für mehr Flexibilität im Krankenhaus: Planen mit Modulen
an einem Instrument, um die stationäre Gesundheitsversorgung in den Landkreisen bern nützt, in den Köpfen an. Zumindest werden sie kaum noch eine Ausschreibung
und Städten sinnvoll zu organisieren und Redundanzen zu vermeiden. „In Deutsch- finden, in der nicht der Anspruch auf eine patienten- und personalzentrierte Umge-
land fehlen derzeit noch bevölkerungsbezogene Klassifikationssysteme, mit denen bung formuliert wird. In der Umsetzung derselben und wenn es gilt, die entspre-
man den medizinischen Versorgungsbedarf regional differenziert erheben kann“, chenden Mittel dafür bereitzustellen, hapert es aber bisweilen wieder.
sagt dazu Professor Dr. Reinhard Busse, der an der TU Berlin zu den Strukturen des
deutschen Gesundheitswesens forscht. Somit können zurzeit Bedarfe nicht wirklich Mehr Spielraum in den Raumprogrammen
sinnvoll geplant werden. Das Ergebnis sind Versorgungsstrukturen, in denen es vor
allem an einer wichtigen Ressource mangelt, da diese auf zu viele Krankenhäuser Auch im Hinblick auf die Pandemie würden wir uns vor allem wünschen, dass der
verteilt ist – dem Personal. Wenn also das größere Problem nicht Raumkapazitäten Architektur mehr Spielraum für die Entfaltung von Zwischenräumen gelassen wird.
sind, sondern die Personalknappheit, dann ist somit nicht die erste Frage, wie ein Raumprogramme im Krankenhausbau sind aktuell zu sehr auf Kante genäht. Jeder
Krankenhaus gebaut werden soll, sondern welches Krankenhaus wo gebaut wird, Quadratmeter ist einer bestimmten Funktion zugewiesen. Es gibt neben dem abso-
um vorhandene Ressourcen sinnvoller einsetzten zu können! Bei dieser Frage lohnt lut Notwenigen kaum Möglichkeiten, um Raum für Begegnung, Entspannung oder
sich immer ein Blick zu den Dänen, die uns vormachen, wie man landes- und ge- auch für die im Planungsprozess unvorhersehbaren Eventualitäten vorzuhalten.
bietsübergreifend eine sinnvoll hierarchisierte Krankenhauslandschaft aufbaut. Nun Wenn das Gebäude fertig ist, kann es sein, dass es den bereits geänderten Nutzungs-
ließe sich einwenden, dass dies nicht Problem der Architekten sei. Spätestens je- anforderungen nicht mehr genügt. Corona hat dieser Diskussion immerhin einen
doch, wenn die Ausschreibung mit einem inadäquaten Raumprogramm auf dem neuen Schwung gegeben. Selten ist so viel öffentlich über Krankenhausbau disku-
Tisch liegt, ist es aber so weit. Dann bleibt nur noch, in dem engen Rahmen zu pla- tiert worden wie in den ersten zwölf Monaten der Pandemie. Ist also ein grundle-
nen, den das Raumprogramm zulässt, auch wenn es womöglich als falsch empfun- gender Wandel im Krankenhausbau möglich? Krankenhäuser sind gewachsene
den wird. Daher ist es unseres Erachtens wichtig und sinnvoll, dass auch die Exper- Strukturen. Sie befinden sich in einem ständigen Wandlungsprozess, um sich den
tise von Architekten und Planern bereits vor dem Schreiben der Programme – also gegebenen technischen, medizinischen und gesellschaftlichen Anforderungen anzu-
in einer Leistungsphase 0 – in die Planung der stationären Versorgung in Deutsch- passen. Es ist daher illusorisch zu glauben, die deutsche Gesundheitslandschaft von
land mit einfließt. Dafür ist die Auseinandersetzung mit Krankenkassen, Betreibern, heute auf morgen umkrempeln zu können. In der Phase der ersten steilen Infekti-
Investoren und der Politik notwendig. Wir tun dies immer sehr aktiv, zum Beispiel onskurven ging es vor allem darum, schnell große Kapazitäten für Covid-Patienten
innerhalb des Symposiums „Health Care of the Future“, welches im Rahmen der zur Verfügung zu stellen. Das Corona-Zentrum in der Berliner Messehalle Jafféstraße
Lehr- und Forschungstätigkeit an der TU Berlin gegründet wurde. Diese Auseinan- mit 500 Betten wurde innerhalb weniger Wochen errichtet. Normalpflegeplätze
dersetzung ist ein mitunter mühsamer und langwieriger Prozess, aber nach und wurden zur intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmungsgeräten ausgestattet.
nach kommt die Botschaft „architecture matters“, die auch den Krankenhausbetrei- Hier ging es weniger um einen langfristigen Wandel als vielmehr um das schnelle
AIT 11.2021 • 121

