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WOHNEN • LIVING THEORIE • THEORY
Ausblick zu generieren; und große Villen, deren sanft gerundete Anbauten den Außenraum einfangen und ins Haus
zu holen scheinen – mit Zedernholz verkleidet und spektakulär in die wilde Dünenlandschaft hineinkomponiert, sind
Foto: (c) Courtesy Fire Island Pines Historic Preservation Society Sommerhäuser in de n beiden Gemeinden und sc huf damit ein einmali ges und bis heut e weitgehend erhaltenes
sie Zeugen für das außergewöhnliche Talent von Horace Gifford, der wie kein anderer die Architektur von The Pines
und Cherry Grove prägte. In nicht einmal 20 Jahren – zwischen 1960 und 1980 – realisierte der Architekt mehr als 60
Ensemble des späten Mid-Century-Modernism.
„Best looking Boy“ mit moralischen Schwächen
Zugleich dürfte Gifford zu den schillerndsten Architektenpersönlichkeiten der damaligen Zeit gehören. Überliefert
Auftritte augenscheinlich leisten konnte, zeigt schon ein Blick in das Jahrbuch seiner Highschool, wo Gifford als
„Best looking boy" seines Jahrgangs gefeiert wird. Zudem arbeitete er nach dem Studium zeitweilig als Model. Man
Mekka der New Yorker Schwulen • Mecca of New York’ gay community ist, dass er seine Bauherr en gern – nur mit einer Badehose bekleidet – am Strand empfing. Dass er sich diese
darf also anne hmen, dass seine Strandauftritte gerade im Hin blick auf die s pezielle Klientel von The Pines und
Cherry Gr ove einen nic ht unerheblichen A nteil am E rfolg Gif fords hatten . Und der Ar chitekt zeigte sich den
Avancen seiner Bauherrn gegenüber durchaus aufgeschlossen. So verband Gifford mit seinen ersten New Yorker
Auftraggebern, dem Set Designer Edwin Wittstein und dessen Lebensgefährten, dem Art Director Robert Miller, eine
mehrjährige Ménage-à-trois. Das Paar hatte für den Bau seines gemeinsamen Wochenendhauses zunächst Andrew
Geller beauftragt, der damals mi t einer Reihe experimenteller Strandhäuser auf Long Island für viel Aufsehen
gesorgt hatte. Nachdem sich Wittstein jedoch auf eine Affäre mit Gifford eingelassen hatte, wurde der Vertrag mit
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Geller gekündigt und st attdessen Gifford mit dem Bau be auftragt. So be gann – mit nicht einmal 30 Jahren – die
steile Karriere des 1932 in Florida geborenen Architekten. Der hatte seine Ausbildung zunächst an der University
of Florida begonnen, wo er unter anderem bei Paul Rudolph studierte, dessen legendäre Florida Houses an den
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Stränden von Sarasota einen nachhaltigen Eindruck auf Gifford machten. Als seinen eigentlichen Mentor betra-
Tom Bianchi bannte Giffords Häuser ... • Bianchi captured Gifford’s ...
chtete Gifford jedoch Louis Kahn, dem er 1958 zu einem Master-Kurs an die University of Pennsylvania folgte. Nach
dem Ende seines Studium zog es den jungen Architekten wiederum nach New York, wo er im Büro von J. Gordon
Carr, einem damals gefragten Innenarchitekten, Arbeit fand. Aufgewachsen an den sonnigen Stränden von Florida
und sexuellen Abenteuern nicht ab geneigt, entdeckte Gifford schon bald nach seiner Ankunft in Ne w York die
Dünen von The Pines und Cherry Grove für sich und verbrachte einen Großteil der Sommermonate auf Fire Island.
Tatsächlich fühlte er sich nur am Strand lebendig. In der Stadt und vor allem in den Wintermonaten überfiel ihn
oft eine tiefe Schwermut. „I´m gay, and I´m manic-depressive", charakterisierte sich Gifford – nur halb im Scherz –
selbst. Aber auch das erotisch-eskapistische Strandleben wurde Gifford zum Verhängnis, als er 1965 in den Dünen
von The Pines und Cherry Grove bei einer Razzia der Polizei festgenommen und wegen eines "Verstoßes gegen die
guten Sitten" – wie es eben so hieß, wenn sich Männer am Strand liebten – verurteilt wurde. Gifford beantragte
deshalb niemals seine offizielle Zulassung als Architekt, um ein eigenes Büro zu eröffnen, da er fürchten musste,
sein Antrag würde unter Verweis auf den fehlenden „good moral character" des Antragstellers abgewiesen werden,
eine Regelung, die noc h heute vor allem im US- amerikanischen Einwanderungsrecht gebräuchlich ist. So war
Gifford im Umgang mit Baubehörden zeitlebens auf die Unterstützung befreundeter Architekten angewiesen. Eine
Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen war nahezu aussichtslos.
„Architektur der Verführung“ mit tragischem Ende
Umso mehr, so scheint es, konzentrierte sich Gifford nun auf seine privaten Aufträge, die von Jahr zu Jahr an Umfang
zunahmen und es dem Architekten erlaubten, mit einem reichen gestalterischen Repertoire zu experimentieren. In
den Boden eingelassene Sitzgruppen, die sich bei Bedarf in große Liegelandschaften vor dem offenen Kamin ver-
... und das Leben in ihnen auf Polaroids. • ... life on Polaroid.
wandeln ließen, waren dabei nur eine von Giffords Spezialitäten. Ein anderes Thema waren verspiegelte Wand- und
Deckenflächen, die nicht nur dazu dienten, Räume optisch zu erweitern, sondern durchaus auch ein voyeuristisches
Spiel in Gang setzen konnten, wenn sie g ebrochene, kaleidoskopische Einblicke in vermeintlich abgeschlossene
Bäder und Sc hlafzimmer ermöglichten. Irgendwann begann Gifford sogar damit, die Wandspiegel in den Bädern
seiner Bauherr en g egen F enster mi t g etönten Sc heiben einz utauschen, um die Er otik de s Se hens und
Gesehenwerdens nach draußen zu erweitern. Auch die obligatorischen Außenduschen auf den weiten Terrassen,
unter denen man sich nach dem Strandaufenthalt sauber machte, gestaltete der Architekt immer ein wenig offener
und einsehbarer als notwendig. Christopher Rawlins, der in den le tzten Jahren eine wunderbare Monografie über
Gifford verfasst hat, besc hreibt dessen Ar beiten deshalb viellei cht nicht zu Unr echt als ein e „Ar chitektur der
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Verführung". Auch auf die Frage, weshalb Gifford trotz seines beachtlichen und vielfach publizierten Œuvres nach
seinem frühen Tod, 19 92, fast vollkommen in Vergessenheit geraten konnte, hat R awlins eine einf ache Antwort:
AIDS. Der Immun schwächekrankheit fiel in den s päten 1980er- und f rühen 1990er-Jahren eine g anze Generation
homosexueller Männer zum Opfer, weshalb die Krankheit zunächst panisch als „Schwulenseuche" gebrandmarkt
wurde. Auch Gifford war betroffen – genauso wie ein Großteil seines Bekanntenkreises: Auftraggeber, Bauherren und
Freunde. Es blieb kaum jemand übrig, der sich an Gifford hätte erinnern und für dessen Nachruhm hätte sorgen kön-
nen. Das s wenigstens sein N achlass g erettet wurde, verdanken wir R obert Gr eenfield, Gif fords langjähr igem
Fotos: (c) Tom Bianchi verpflichtete, Giffords Archiv zu er halten. Mit dem Ausbruch von AIDS ging auch auf Fire Island eine E poche zu
Lebensgefährten, der den Architekten zwar nur um wenige Monate über lebte, seine Er ben jedoch im Te stament
Ende. Das sor genfreie und un beschwerte Leben in den Dünen von The P ines und C herry Grove, wie es Gifford
verkörperte, war von da an nicht mehr dasselbe.
128 • AIT 7/8.2016