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Uwe Bresan
1980 in Dresden geboren 2000–2008 Studium der Architektur an der Bauhaus-Universität in W eimar 2005–2006 Freier Mi tarbeiter am Deutschen
Architektur museum in F rankfurt/M. seit 2008 Mit arbei ter bei AIT in Stutt gart 2015 Dissertation im F achbereich Architekturgeschichte und Denkmal-
pflege an der Universität Siegen seit 2008 Veröffentlichungen zur Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts sowie zu queeren Architekturthemen
Fotos: links: Travis-Wall House, 1972–75, (c) Tom Yee; rechts: Lipkins House, 1970, (c) Michael Weber
Giffords Bauten zeigen deutliche Anklänge an das Werk seiner Lehrer Paul Rudolph und Louis Kahn. • Gifford’s buildings are clearly reminiscent of the oeuvre of his teachers, Paul Rudolph and Louis Kahn.
oder weniger frei von den alltäglichen, gesellschaftlichen Nachstellungen ausleben konnten, denen sie in der Stadt
ausgeliefert waren. N och heut e bil den die z wei ben achbarten S iedlungen T he P ines und C herry Gr ove in den
Sommermonaten einen zentralen Lebensmittelpunkt vieler New Yorker Schwuler. Auf Youtube gibt es einen von
treibenden Beats unterlegten Videoclip, der die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erklärt. Der Film verfolgt
drei attraktive junge Männer, die gemeinsam in einem Bett aufwachen, auf ihrem Weg von der Stadt an den Strand
und erläutert die einzelnen Stationen der Reise vom Pendlerzug über den Shuttlebus bis zur Fähre. 2
„Boys in the Sand“ mit Mid-Century-Moderne
Kaum ein Gebäude in The Pines und Cherry Grove ist älter als 60 Jahre. Nachdem 1938 zunächst ein schwerer Sturm
die Insel verwüstete, dauerte es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, bevor die ehemaligen Feriengäste in großer
Zahl zurückkehrten und die Hotels sich erneuerten. Den größten Bauboom ihrer Geschichte erlebten die beiden Orte
jedoch in den 195 0er- und 1960er -Jahren. Die amer ikanische W irtschaft flor ierte und ermög lichte br eiten
Bevölkerungsschichten einen nie gekannten Wohlstand. Immer mehr New Yorker konnten es sich nun leisten, dem Best looking boy: Horace Gifford
schwülen und drüc kenden Klima de r St adt z u en tfliehen, um die heiß en So mmermonate oder z umindest die
Wochenenden in eigenen Strandhäusern auf Fire Island zu verbringen. Wie schon vor dem Krieg nahmen The Pines
und Cherry Grove aufgrund ihres überwiegend schwulen Publikums dabei eine Sonderstellung ein. Vor allem im von
Denunziationen geprägten Klima der McCarthy-Ära bildete das Dünenfeld, das die beiden Orte noch heute voneinan-
der trennt, eine Art gesellschaftlichen Freiraum, in dem ein offen schwules Leben zumindest vorübergehend möglich
war. Der freiheitliche Ruf von The Pines und Cherry Grove verbreitete sich damals über ganz Nordamerika. 1971 drehte
der Broadway-Choreograf Wakefield Poole hier d en le gendären Sc hwulenporno „Boys i n the S and", der zu den
Klassikern des Genres zählt. Mit seinen g efühlvollen Aufnahmen zeichnete der Filmenthusiast und Autodidakt ein
realistisches Bil d de s sc hwulen L ebens auf F ire Is land jenseits a ller g esellschaftlichen Klis chees homoer otischer
Sexualität. Weil den Film auch seriöse Zeitungen ausgiebig in ihren Feuilletons besprachen, löste "Boys in the Sand"
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eine nationale Debatte über Homosexualität aus, die wesentlich zu einer Liberalisierung der gesamten Gesellschaft
beitrug. Neben Wakefield Poole darf auch Tom Bianchi als Chronist des schwulen Insellebens gelten. Der bekannte
New Yorker Fotograf verbrachte in den 1970er-Jahren viele Sommer auf Fire Island und hielt das Leben am Strand und
in den Dünen mit seiner Polaroid SX-70 fest. Die typischen, etwas blassen Aufnahmen der legendären Klapp-Kamera
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zeigen aber nicht nur muskulöse und sonnengebräunte Männerkörper in knappen Badehosen, sondern sie erlauben
auch – ganz ne benbei – einen Ein blick in die spezifische Architektur von The P ines und C herry Gr ove. Kleine Foto: (c) Courtesy Jane Slay
Bungalows, die sich über riesige Glasflächen nach außen öffnen und deren Terrassen den Innenraum in die Natur
erweitern; Häuser auf mas siven Stüt zen, die si ch turm artig über d ie Landschaft erheben, um ein Maximu m an
AIT 7/8.2016 • 127