Page 143 - AIT0617_E-Paper
P. 143
Klaus Jan Philipp
1957 geboren 1979–1985 Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie, Marburg und Berlin 1985 Promotion 1988–1989 Mitarbeit am Deutschen Architekturmuseum, Frank furt
am Main 1989–1996 Assistent am ifag – Institut für Archi tekturgeschichte, Uni Stuttgart 1996 Habilitation 1997–2003 Dozent am ifag, Uni Stuttgart 2003–08 Professor für Baugeschichte,
HbK/HafenCity Universität, Hamburg seit 2008 Leiter des ifag, Professor für Architekturgeschichte, Uni Stuttgart seit 2014 Dekan der Fakultät Architektur und Stadtplanung, Uni Stuttgart
Abbildung: © The Cleveland Museum of Art; Gift of J. H. Wade 1924.859 Abbildung: © Bayerisches Nationalmuseum München, Foto: Bastian Krack Abbildung aus: Le pâtissier national parisien, M. A. Carême, Tome 2, Paris, 1879
Abb. 2 Gotischer Tischbrunnen, ca. 1320–40 • Gothic table fountain Abb. 3 Rokoko-Tafelaufsatz, ca. 1760 • Rococo centrepiece Abb. 4 Konditorenvorlage, 1879 • Confectioner’s template
Sitzordnung, auch weiterer An reize mit Aufforderungscharakter, das Gespräch in Gang zu acht Wehr tür men mit Spitzhelmen. Darüber entwickelt sich ein horizontales Band mit
bringen, am Laufen zu halten und Themen zu setzen. Zum Beispiel das Thema „Archi - Emaille-Paneelen, die von zierlichen Maßwerken gerahmt sind. Dann folgt wie bei einem
tek tur“. Dass Ar chi tek ten auch Teller, Besteck, Tee- und Kaffeeservice entwerfen und in Kirch turm ein offenes Geschoss mit Maßwerken. Pneumatisch wurde durch dieses
Serie produzieren lassen, ist in der Geschichte der Architektur nichts Neues. Unter dem Gebilde Rosen- und Orangenwasser getrieben. Die Glocken funkelten und die Räder dreh -
Siegel des Gesamt kunstwerks sollte ein Haus vom gewählten Stil und Kubatur bis hin ten sich, während das Wasser fröhlich in munteren Strahlen in ein nicht mehr erhaltenes
zum Türgriff und zum Tischzeug eine ästhetische Einheit bilden. Henry van de Velde war Becken kaskadierte. Aus der literarischen Überlieferung wissen wir, dass aus solchen und
hier einer der ganz Großen, dem sehr schöne und funktionale Entwürfe zu verdanken ähnlichen Tischbrunnen Wein in nicht enden wollenden Strömen floss. Ansonsten ging
sind, die diejenigen spezialisierter Designer auf Augenhöhe begegnen können. Auf eine es aber auch im Mittelalter und in späteren Jahrhunderten gesittet bei Tisch zu und es
andere Spur führen jene Architekten, die sich nicht damit begnügten, schönes Tischzeug wurde ein gedeckt, wie wir es auch heute noch tun: Teller, Besteck, Serviette, Terrinen
zu entwickeln, sondern mit solchen Dingen auch ihre Vorstellungen von guter Architektur und Vorle ge platten. Die Speisen wurden von der Dienerschaft aufgetragen. Eine Aus nah -
auf den Tisch bringen wollten. Robert Venturis Tee- und Kaffeeservice „Italian Village“ me war und blieb das Dessert, die süßen Nachspeisen. Hierzu wurde die strenge Telle -
(Abb. 1) von 1984 ist ein sprechendes Beispiel: Die Zuckerdose ist ein klei nes rordnung auf ge löst und die Tische wurden in Weltlandschaften mit exotischen Tieren,
Satteldachhaus mit Sprossenfenstern, die Teekanne ein mittelalterlicher Wehr turm, das Blu men und Bäumen verziert, die – wenn aus Zuckerwerk und Marzipan – auch zum Ver -
Sahnekännchen kommt als Zitat des Palazzo Strozzi daher und die Kaffee kanne ist ein zehr gedacht wa ren. Auch hier durfte Architektur nicht fehlen. Auf der großartigen
veritables Pantheon samt Opaion im Deckel! Wer da nicht bei gemütlicher Tee- oder Dessert-Hochzeits tafel (Abb. 6) anlässlich der Heirat des Herzogs zu Jülich-Cleve mit der
Kaffeestunde ins Plau dern kam über die letzte Italienreise und sein dort erworbenes Markgräfin von Ba den im Jahr 1587 in Düsseldorf ist es eine augenscheinlich mittelalter-
Wissen um die Haupt werke der italienischen Archi tek turgeschichte! liche Burg, die der Tafel Glanz und Würde verleiht. Auffällig ist, dass es sich nicht um
moderne Architektur handelt, also etwa eine Villa Palladios, sondern um eine historische,
Die Tradition architektonischer Tafelaufsätze reicht bis ins Mittelalter asymmetrische Burg anlage mit Wehrtürmen. Denkbar wäre, dass somit auf die tief in der
Geschichte begründete Legitimation des Herzogs verwiesen wird, also auf dem Tisch
Die Architekturkritik tat sich jedoch schwer mit solchen Gadgets. Stanislaus von Moos gleich sam beiläufig Herr schaftsansprüche vorgetragen werden. Vergleichbare Fälle sind
müht sich umständlich in seinem Buch über Venturi, Rauch & Scott Brown, das „Italian ebenfalls aus der Tisch kultur des 16. und 17. Jahrhunderts verbürgt, etwa Humpen in
Village“ ins rechte Licht zu rücken und erklärt uns: „Man sollte aber nicht übersehen, daß Burgform oder sogenannte Räucherberge mit historisierenden Fantasiearchitekturen.
diese Gegenstände, auch wenn sie wie Bauten aussehen, nicht wie Bauten entworfen
sind, sondern entsprechend den Anforderungen ihrer eigenen Funktion und ihrer traditio - Tafelaufsätze aus essbaren Materialien sind literarisch überliefert
nellen Typologie.“ Also gibt es bei den Kannen Henkel und Tülle und das Dach der Zu -
cker dose ist natürlich abnehmbar. Von Moos hätte auch darauf verweisen können, dass Auf einer anderen Ebene ist die Verwendung antiker architektonischer Elemente und Bau -
Venturi und andere postmoderne Architekten, die solche Miniaturarchitekturen entworfen ten auf Tischgefäßen seit der Renaissance zu verorten. Die berühmte Saliera (Salz und
haben, sich in einer alten Tradition von architektonischen Tischaufsätzen befanden. Sol - Pfeffer fass) des Goldschmieds Benvenuto Cellini von 1540/43 zeigt im erotischen Gegen -
che gab es bereits im Mittelalter. So der im Cleveland Art Museum aufbewahrte um 1320 über Neptun und Tellus (Abb. 5). Neptun steht als Gott des Meeres stellvertretend für das
bis 1340 in Burgund entstandene, etwas über 30 Zentimeter hohe Tischbrunnen (Abb. 2). Salz und Tellus, die römische Göttin der Erde, als Allegorie für den Pfeffer. Dem Salz ist
Die Archi tek turdetails sind genau beobachtet. Achteckige Stützen mit ausformulierten eine Schale zugeordnet, während der Pfeffer sich in einem antiken Triumphbogen befin -
Basen und zeittypischen Blattkapitellen tragen eine burgartige Architektur mit Zinnen und det. Das Antikenzitat ließe sich hier als Betonung der Kostbarkeit des Pfeffers oder auf die
AIT 6.2017 • 143