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Entwurf • Design Ecker Architekten, Heidelberg
                                                                           Bauherr • Client Stiftung Schulz, Neudorfer Straße 2, Amorbach
                                                                           Standort • Location Neudorfer Straße 2, Amorbach
                                                                           Nutzfläche • Floor space 620 m 2
                                                                           Fotos • Photos Brigida González, Stuttgart
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 134               Foto: Thilo Ross






























             Schlichter Luxus: Kassettendecke und Treppengeländer in Gold • Understated luxury: coffered banisters  Möbel der Wiener Werkstätten bereichern die Gartenräume. • Wiener Werkstätte furniture enriches the rooms.



             von • by Christina Gräwe, Berlin
             V   illa Beyer, Villa Derfflinger, Villa Schulz – die drei Namen zeichnen die knapp 115  Das Schüler-Forschungslabor, das dort einzieht, wird aber seinen endgültigen Ausbau
                                                                           durch ein ortsansässiges Büro erfahren. Eine kleinteilige und facettenreiche Aufgabe vor
                 Jahre währende Geschichte des imposanten Baus im kleinen Amorbach im Oden-
             wald nach. Das Industriellenpaar Joseph und Frida Bayer ließ ihn 1907/08 auf einem  dem Hintergrund einer bewegten Gebäudegeschichte also. Eine Gratwanderung auch
             rund 5.000 Quadratmeter großen Grundstück in Hanglage als Wohnhaus nach Plänen  zwischen dem Wunsch, dem Geist des Hauses gerecht zu werden, zugleich eine helle,
             des Frankfurter Architekten Max Seckbach (1866–1922) errichten. Mit insgesamt 350 Qua-  willkommen heißende Atmosphäre zu schaffen und dabei die vielfältigen funktionalen
             dratmetern Fläche über drei Etagen war es für eine vierköpfige Familie üppig bemessen  Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren. Oder, anders formuliert: Aus dem jahrzehnte-
             – und zugleich gut genutzt, denn es war ein offenes Haus mit fünf Gästezimmern im  lang gewachsenen Patchwork sollte ein durchgängig stimmiges Bild hervorgehen, mit der
             Dachgeschoss und großzügigem Weinkeller. Das nächste Kapitel begann 1926 mit dem  Anmutung, es sei von Beginn an dem Haus eingeschrieben gewesen: eine Neuerfindung,
             Verkauf des Anwesens an das Fürstenhaus zu Leiningen; es folgten eine umfassende Re-  die dies aber nicht plakativ vorführt. Diese Haltung ist schon außen ablesbar.
             novierung und die Namensänderung in Villa Derfflinger. Die Fürstenfamilie zog 1939 wie-
             der aus, blieb aber noch bis 1945 Besitzerin und stellte das Haus ab 1940 als Unterkunft  Ordnende Eingriffe tun gut und wirken selbstverständlich
             für die Umsiedelung sogenannter Reichs- und Volksdeutscher aus Osteuropa zur Verfü-
             gung. Ab 1945 pachtete ein Orden das Gebäude, richtete eines der ersten Altenheime im  An der Geometrie des Gebäudes hat sich auf den ersten Blick nichts geändert; dass die
             Landkreis ein und betrieb es über 30 Jahre lang. Dann stand das Haus leer, bis es 1977  durch die Vergrößerung der Fenster geöffnete Sockelzone zur besseren Belichtung der
             das Fabrikantenehepaar Joachim Schulz und Susanne Evert-Schulz kauften und zu einem  ehemaligen Kellerräume zunächst gar nicht auffällt, sehen die Architekten als Bestätigung
              privaten Wohnsitz umwidmeten. Passend zum Hauptgebäude erweiterten sie 1991 das  ihrer Arbeit. Außerdem ist durch die Maßnahme aus dem Keller- ein Gartengeschoss ge-
              Ensemble um ein historisierendes Nebengebäude als Garage. Nachdem 2015 auch Su-  worden, das zunächst für Gäste vorgesehen war, noch während des Planungsprozesses
             sanne Evert-Schulz verstorben war, ging der Besitz an die von ihr gegründete Joachim-  aber zu flexibel nutzbaren Ausstellungsflächen umgewidmet wurde. Die Vorfahrt wurde
             und-Susanne-Schulz-Stiftung über, die zu den größten privaten Stiftungen Deutschlands  mit Basaltkopfstein neu gepflastert, in dem weitläufigen Garten die Bepflanzung so weit
             zählt und sich im Gemeinwesen, in der Kunst, Wissenschaft und Bildung engagiert.  ausgedünnt, dass alte Bäume erneut Wirkung entfalten und die Blicke wieder frei in die
                                                                           schöne Landschaft schweifen können. Außerdem gibt es verschiedene Sitzgruppen für
             Facettenreiche Aufgabe vor bewegter Gebäudegeschichte         die Besucher und Stipendiaten, die hier ebenfalls Einzug halten werden. Die halbrunde
                                                                           Terrasse im Gartengeschoss wurde erweitert und ist schon jetzt ein begehrter Aufenthalts-
             Die Villa zeigt noch heute einen Stilmix aus später Gründerzeit, Jugendstil und historisie-  ort. Innen fand das Architektenteam um Dea Ecker und Robert Piotrowski ein Sammel-
             renden Elementen. Aus ihrem nahezu quadratischen Grundriss wachsen Erker, Gauben  surium unterschiedlichster Möblierungen, Einrichtungsdetails und Accessoires vor: die
             und ein Treppenturm. Auf der Gartenseite weisen eine Terrasse, eine Loggia und obenauf  Hinterlassenschaften von 37 Jahren Leben in ein und demselben Haus. Der Gesamtcha-
             ein Balkon Richtung Tal. Dennoch ist es ein ruhiger Bau, was auch an der Kombination  rakter war gediegen, die 40 Quadratmeter umfassende Eingangshalle mit feierlicher
             aus tief gezogenem Mansard- und Walmdach liegt, das sich wie eine schützende Haube  Treppe ins erste Obergeschoss von dunklem Holz, einem barockisierenden Kamin, gold-
             über das Volumen breitet. Regionaler Buntsandstein und hell verputzte Ziegelflächen prä-  gemusterten Tapeten, darauf eine Vielzahl von Kunstwerken unterschiedlichster Qualität,
             gen die äußere Gestalt. Mit der Wiedereröffnung im Oktober 2021 wurde die Villa Schulz  bestimmt. Überspannt wurde dieser Repräsentationsraum von einer dunklen Kassetten-
             offiziell ihrer aktuellen Bestimmung zugeführt. Voraus gingen drei Jahre akribischer Be-  decke mit ausgemalten Feldern. Ähnlich schwer und überfüllt wirkten die gartenseitigen
             standsanalyse, sensibler Sanierungs-, Restaurierungs- und Umbauarbeiten sowie die  Wohn- und Essräume. Draußen wie drinnen gilt: Die ordnenden Eingriffe tun dem Haus
             neue Möblierung durch Ecker Architekten. Auch die augenzwinkernd „Kutscherhaus“ ge-  so gut, dass sie sofort als ganz selbstverständlich akzeptiert sind. Es sind teils einfach-
              nannte Garage wurde in die inhaltliche und gestalterische Neuausrichtung einbezogen.  raffinierte Ideen, wie ein Spiegel über der eigentlich zu kleinen Tür zwischen Vestibül und

                                                                                                                            AIT 5.2022 • 117
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