Über das Glück der Erfindung – 43 Trillionen Möglichkeiten in einem Würfel

Als der Architekt Ern? Rubik Anfang der 70er Jahre als Architekturprofessor an der Hochschule für Industrielle Kunst in Budapest arbeitete, fielen ihm die schlechten Geometrie-Kenntnisse seiner Schüler*innen auf. Er dachte darüber nach und setzte sich hin, um ein Geduldsspiel zu erfinden, das das räumliche Denkvermögen seiner Schüler*innen trainieren würde. Noch wusste er nicht, woran er arbeitete und bastelte den ersten Prototypen aus Holz. Innerhalb weniger Wochen im Jahre 1974 konstruierte Rubik dann den ersten Zauberwürfel, der aus 27 kleinen Holzblöcken bestand. Um die Bewegung der Steine zu ermöglichen, experimentierte er zunächst mit elastischen Bändern, die jedoch zu leicht rissen. Schließlich kam er auf die Idee, in den Prototyp ein Mittelstück, eine Art Stern aus drei sich kreuzenden Achsen zu integrieren. Die Kanten und Eckstücke ordnete er so an, dass sie um das Würfelzentrum verschoben werden konnten. Schließlich beklebte Rubik jede Seite der kleinen Würfel mit Papier in verschiedenen Farben und stellte so das Lehrmittel für seine Student*innen fertig. Doch als er an dem Würfel zu drehen begann, bekam er plötzlich Probleme, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Rubik sagte später: „Es war wie ein Geheimcode, den ich selbst erfunden hatte, aber nicht mehr entschlüsseln konnte!“ Als er seinen Würfel wieder geordnet hatte, empfand er ein Gefühl der Freiheit. Da begriff Rubik, dass in seiner Erfindung viel mehr steckte als nur ein Lehrmittel. Damals arbeitete er noch als Architekt, später dann wurde er Professor an der Moholy-Nagy-Universität für Kunsthandwerk und Gestaltung in Budapest. Nachdem er seinen Prototypen entwickelt hatte, recherchierte er, dass es noch kein ähnliches Spielzeug auf der Welt gab. Am 28. Oktober 1976 meldete er das ungarische Patent mit der Nr. 170062 an und es wurde ihm sofort erteilt. Zwei Jahre später schickte er ein Exemplar des Würfels an die britische Firma Pentangle. Der Inhaber verstand sofort, worum es ging und erwarb die Lizenz zum Vertrieb in Großbritannien. Währenddessen vergab die ungarische Regierung 1979 die weltweiten Verkaufsrechte an eine amerikanische Firma. Doch es blieb nicht beim Verbreiten in der Spielwarenwelt. Auf einem internationalen Mathematik-Kongress in Helsinki drehten Professoren stundenlang an ihrem Spielzeug mit den 43 Trillionen Lösungsmöglichkeiten herum und der knapp sechs Mal sechs Mal sechs Zentimeter große Würfel fand immer mehr Anhänger.

Der Prozess des Erfindens

Der Prozess des Erfindens, der eine schöpferische Leistung ist, durch den eine neue Problemlösung, also die Erreichung eines neuen Zieles mit bekannten Mitteln oder eines bekannten Zieles mit neuen Mitteln ermöglicht wird, ist weder Architekt*innen noch Ingenieur*innen unbekannt. Die meisten gehören automatisch zu dieser Gruppe. „Man liebt seinen Gegenstand. Man liebt den Prozess. Man liebt das Ergebnis“, erklärte Rubik seine Motivation, sich mit einem Problem zu befassen, es zu lösen oder es – wie in seinem Fall – überhaupt erst in die Welt zu setzen. Die Liste derer, die als Erfinder*innen gelten und aus der technischen Welt kommen, ist lang: Angefangen mit Leonardo da Vinci bis hin zu Steve Wozniak, von Turbostrahltriebwerks über Telefone, Flugzeuge, Computer, Radio, Papierrohstoff, Glühbirne… Ingenieur*innen und Architekt*innen sind die Daniel Düsentriebs unseres Lebens. Neben den technischen Errungenschaften findet man Architekt*innen auch oft in der Kunst. So fällt einem zum Beispiel der Regisseur Peter Greenaway ein, der als ausgebildeter Architekt phantastische Filme auf die Leinwand gebracht hat wie beispielsweise „Der Bauch des Architekten“ oder auch William Alsop, der in Groß Britannien ein angesehener Architekt aber ein namhafter Künstler gleichermaßen war. Statt Architekt zu werden, wählen die einen oder anderen Absolventen am Ende aber auch zuweilen eine zunächst abseitig scheinende Profession. So gibt es Restaurantbesitzer, Bürgermeister oder auch Zoodirektoren unter ihnen. Oder sie wurden legendär und berühmt wie Richard Buckminster Fuller (1895-1983).  Er war Mathematiker und Dichter, Kartograf und Lehrer und als Architekt der „geodätischen Kuppeln“ bekannt.

Perspektivwechsel

Der Perspektivwechsel, den die gelernten Architekt*innen jedoch dann einnehmen, wenn sie die Form des „Erfinders“ wählen, ist mitunter nicht ganz so leicht für sie. Armin Witt, der bereits vor 22 Jahren die “Gesellschaft für außergewöhnliche Ideen” gründete, weiß beispielsweise um die Problematik, dass „freie Erfinder selten auch gute Kaufleute sind. Das ist die Crux. Manchen ist ihre Erfindung genug. Und sie haben auch nicht die Zeit, sich ums Kaufmännische zu kümmern. Viele haben auch schlechte Erfahrungen mit der Industrie gemacht. Hinzu kommt: Oft fehlt den Investoren das technische Know-how. Die wissen gar nicht, was für tolle Sachen sie da auf den Tisch bekommen.“ Ja. Erfinder sind anders, es sind Leute, die verträumt oft nicht den Boden unter den Füßen spüren. Doch klar ist sowohl der Gesellschaft als auch der Politik schon seit langem, dass sie zu den schützenswerten Spezies gehören. Das spiegelt sich beispielsweise in zahlreichen Förderprogrammen auf Landes- oder Bundesbasis und bei den europaweiten Hilfsgeldern wider, die leider zu oft nicht ausreichend abgerufen werden. Viele Fördermittel bleiben beim Bund oder Land, denn den Meisten sind die Formulare zu kompliziert und benötigen zu viel Zeitaufwand. Wie wichtig es aber auch in Zukunft ist, Dinge nach vorne zu bringen, erkennt man, wann man sieht, wie die Bevölkerung wächst oder die Rohstoffe verknappen – wie wird unsere Welt im Jahr 2050 aussehen? Wie werden wir in 40 Jahren leben, wohnen, arbeiten, uns fortbewegen? Daran arbeiten weltweit Forscher*innen, Politiker*innen, Architekt*innen, Ingenieur*innen und Wissenschaftler*innen, denn die Zukunft hat längst begonnen.

Erfolg des Zauberwürfels

Natürlich können nicht alle sofort so erfolgreich sein wie der Zauberwürfel von Rubik. Oft auch scheitern die Erfinder*innen oder die Erfindungen derselben. Und manchmal ist es nur eine zufällige Idee, die zu einem ganz eigenen Werdegang führt. Bis 2020 wurde er alleine 450 Millionen Mal verkauft, freute sich vor allem in den 80er Jahren großer Beliebtheit und die Speecubing-Community wächst seit den 2000er Jahren weiterhin stetig.  Beim ersten Mal habe er über einen Monat gebraucht, um den Würfel zu lösen, erklärt Rubik und für ihn ist der Würfel kein Rätsel, sondern ein Spiel und ein Kunstobjekt. „Wenn man den Würfel gelöst hat, ist man noch lange nicht fertig“ erklärt Rubik und auf die Frage, warum der Zauberwürfel auch heute noch so viele Menschen fasziniert, hat er eine einfache Antwort: „Die Oberfläche der Welt hat sich verändert“, sagt Rubik, „aber unsere Gefühle, unsere Sehnsüchte sind immer noch dieselben wie vor Tausenden Jahren.”

 

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