Über die Zukunft des Shoppings
Viel ist derzeit zu lesen vom radikalen Wandel, der dem stationären Handel bevorsteht – von der sich abzeichnenden Verödung der Innenstädte. Fest steht: Pandemie und Lockdown haben den Online-Handel nochmals massiv unterstützt. Und selbst wenn die Abstandregeln einmal nicht mehr gelten, wird das Einkaufverhalten womöglich nachhaltig verändert sein. Wie kann der stationäre Handel neu gedacht werden und hat das gute alte Einkaufszentrum noch eine Zukunft? Aus den vielen Antworten, die wir von Architekt*innen und Innenarchitekt*innen erhalten haben, geht hervor, dass der Handel durchaus auch eine Zukunft haben kann. Wenn sich das Einkaufszentrum etwa zum Showroom wandelt, auch Mixed-Use- oder Placemaking-Strategien spielen eine Rolle.
Einkaufsorte werden zu Erlebnisorten
“Menschen wollen raus. Zerstreuung, Entdeckung, Treffen”, betont Christoph Kellenberger, Founding Partner des Architekturbüros OOS in seiner Antwort. Folglich gehen die Züricher Architekten (www.oos.com) davon aus, dass in Zukunft der gesamte öffentliche Raum von Kaufangeboten durchdrungen sein wird:
“Unsere Mobilgeräte erlauben Shopping überall. Alles ist sofort kaufbar. Was man sieht wird gleich geshoppt. Die Bilderkennungssoftware liefert uns Links zu Produkten und Anbietern. Die Lieferung ist noch heute Nachmittag bei uns Zuhause. Alles wird transparent. Die Rolle der Einkaufsorte? Sie werden zu Erlebnisorten – durchdrungen von Product Placement. Diese Erlebnisorte zeichnen sich durch hohe Dichte und Nutzungsüberlagerungen aus. Urbane Orte mit hoher Lebens- und Aufenthaltsqualität.”
Welche Konsequenzen hat dies für die Einkaufszentren? Da sie mit den oftmals günstigeren und bequem vom Sofa verfügbaren Online-Angeboten nicht mithalten können, müssen sie, so OOS, ihre Rolle ändern. Weg von der Verkaufsstätte, hin zum Showroom. Denn nur hier können Produkte begutachtet und haptisch in Echtzeit erlebt werden. Folglich zahlt nicht mehr der Händler die Miete, sondern die ausstellende Marke: “Der Showroom ist noch der einzige physische Berührungspunkt, aber einer der entscheidenden.”
Dabei erscheint das Erscheinungsbild der Shoppingareale umso wichtiger für den Erfolg zu sein. Bisher sind gerade die bekannten Kaufhäuser monofunktionale Flächen, die weder Geschichte noch Identität aufweisen und kommunikative Prozesse nicht sonderlich unterstützen. Hier sind Einfallsreichtum und mehr Individualität gefragt.
So betonte auch Caspar Schmitz-Morkramer (www.caspar.archi) der gemeinsam mit dem büroeigenen Forschungsteam caspar.esearch den lab report “Retail in Transition” erarbeitet hat, dass es wieder darum gehen muss, “Aufenthalts- und Erlebnisqualität” zu schaffen: “Wir kaufen heute nicht mehr nach Bedarf ein. Sondern wir kaufen ein, weil wir ein Erlebnis haben wollen.” Die Verfasser begreifen den Handel im Wandel als “große Chance” für eine Stadt, die optimal zugeschnitten ist auf die Bedürfnisse des Menschen und somit den “Maßstab Mensch” wieder in den Mittelpunkt rückt.
Mixed-Use, Placemaking-Strategie und ein historisches Vorbild
In die selbe Kerbe schlägt Andreas Klopfer (BWM Architekten, Wien), wenn er für ein Einkaufszentrum plädiert, das als Hybrid angelegt ist. “Mixed-Use ist das erklärte Ziel”, betont Klopfer. “Es gilt, einen 24-Stunden-Hub zu schaffen, der zusätzlich zu Retail vielfältige Angebote aus zum Beispiel Gastronomie, Hospitality, Office und Residential liefert. Im besten Fall ist ein Einkaufszentrum nicht nur an einem Verkehrsknotenpunkt gelegen, sondern darüber hinaus direkt mit dem jeweiligen Bezirk verbunden. Das heißt, es bietet entsprechend ein speziell abgestimmtes Angebot für diesen Mikrokosmos, was eine unterschiedliche Positionierung und auch eine langfristige Verankerung ermöglicht.”
Valentin Hadelich vom ECE Projektmanagement in Hamburg (www.ece.com) bringt den Begriff des Placemaking ins Spiel: Shoppingcenter sind für ihn Orte, an denen “interessanten Nutzungen und Communitys” Raum gegeben werden kann: “Placemaking als Strategie und Prozess kann hier in seiner gesamten Komplexität, wie sonst vielleicht nirgends in der Stadt, angewandt werden.” So können beispielsweise gezielt Mieter aus den Branchen Gastronomie, Entertainment oder Fashion ausgewählt werden, damit individuelle Wareninszenierung und Angebotspräsentationen in das lokale Shoppingerlebnis einfließen.
Stephanie Macdonald und Tom Emerson sind die Gründungspartner von 6a architects. Die britischen Architekten bringen ein historisches Vorbild ins Spiel: den Crystal Palace von 1851, der einst zur Weltausstellung entstand und im Londoner Stadtteil Lewisham ein neues Kapitel städtischen Lebens aufschlug. Wurde hier doch nach Plänen von Joseph Paxton ein legendärer Einkaufstempel geschaffen, der es in puncto Aufenthaltsqualität mit den besten Museen des Landes aufnehmen konnte. Mit uniformen Einkaufswelten haben auch die Projekte von 6a architects wenig gemein: Im Londoner Stadtteil Soho inszenierten sie den JW Anderson Flagshipstore in einer Sphäre zwischen Hoch- und Alltagskultur. Elegante Messingarmaturen treffen auf Neonröhren und Resopal. Auf der entgegengesetzten Seite der Stadt schlugen 6a architects mit der Blue Mountain School einen ganz anderen Weg ein. Weniger Befreiung durch Überfluss, als vielmehr ein dezentes Puzzle an Räumen. Archiv, Restaurant, Kunstgalerie und Parfümerie ermöglichen das Eintauchen in den Mikrokosmos von handwerklichem Können und Detail.