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Marcel Rijkse
Illustration: Marcel Rijkse, Berlin 1963 geboren in Utrecht (NL) 1981–1984 Studium der Kommunikation an der HEAO – Hogeschool in Utrecht 1985–1988 Studium des Modedesigns an der School of the Arts in Utrecht seit 1989 De-
sign- und Kommunikationsprofi mit internationaler Erfahrung in den Bereichen Modedesign (unter anderem bei Balmain und Céline), Creative Direction und Lehre. Seine Schwerpunkte sind Kollek-
tionsentwicklung, Accessoires, Modemarketing und visuelle Kultur. Hochschullehre, Beratung und eigene Projekte ergänzen die Praxis. Sein Blick: analytisch, aber sinnlich. Spurensuche statt These.
Illustrationen: Marcel Rijkse, Berlin
Reduktion und Funktion: In der Moderne wurde Schwarz zur Ordnung. • In modern times, black became order. Eleganz in Schwarz: Coco Chanels „Little Black Dress“ • Elegance in black: Coco Chanel’s Little Black Dress
von • by Marcel Rijkse, Berlin
S chwarz als Frage: Alles begann mit einer Einladung in die Blackbox – die Ideenwerk- und nur wenige Färber erzielten ein sattes, tiefes Schwarz. Wer es trug, zeigte: Ich kann
statt von Häfele, international operierendes Unternehmen für Beschlagtechnik. Die
es mir leisten. Die feinsten Wollstoffe kamen aus Leiden, woher auch der Künstler Rem-
Location in Stuttgart ist nicht nur ein Ort, an dem Möbel, Licht, Raum und Konnektivität brandt van Rijn (1606–1669) stammte. In seinem Werk „De Staalmeesters“ (1662) prüfen
gemeinsam neu gedacht, geplant und umgesetzt werden, sondern sie ist – wie der Name die Vorsteher der Tuchmacherzunft genau diese Qualität – ein niederländisches Exportgut.
schon verrät – komplett schwarz (s. auch ab S. 118). An jenem Abend sollte hier die erwei-
terte Neuauflage von Cordula Raus Buch „Why Do Architects Wear Black?“ vorgestellt Umbruch der Moderne
werden, und ich als Designer aus der Modebranche sollte zur Thematik beitragen. Doch
je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir: Diese generelle Frage kann Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Zeit der Erneuerung, in der alles hinterfragt wurde:
ich gar nicht beantworten. Denn Schwarz löst mehr Assoziationen aus als jede andere 1915 schuf der Maler Kasimir Malewitsch (1879–1935), Hauptvertreter der Russischen Avant-
Farbe. Es wirkt – und widerspricht sich zugleich. Ein tiefschwarzer Gegenstand reflektiert garde, erstmals sein „Schwarzes Quadrat“ – kein Motiv, keine Tiefe, nur Präsenz. Am
kaum Licht, er scheint wie ein Loch. Und was wir nicht sehen, verunsichert uns. Bedro- Bauhaus wurde Schwarz Teil der Ordnung: Es dominierten weiße Wände, dunkle Möbel
hung? Schutz? Tiefe? Warum gilt Schwarz aber zugleich als edel, minimal und cool? und klare Kontraste. Stahlrohr, Leder und Typografie – alles war reduziert und funktional.
Meine Antwort war dementsprechend keine Erklärung, sondern eine Spurensuche – Schwarz strukturierte Raum und Layout. Und auch die Kunstbewegung De Stijl setzte
durch Mode, Architektur und Design. Nichts steht für sich allein. Diese Linien durch Zeit, ihren Primärfarben Schwarz, Weiß und Grau entgegen. Parallel dazu hielt Schwarz Einzug
Stil und Haltung nenne ich: „Cultlines“. Sie sind kein Konzept, sondern eher ein Denkmo- in den Alltag: Telefone, Kameras und Maschinen waren in dem dunklen Ton gehalten.
dus: Wer gestaltet, fragt, woher Dinge kommen – und warum sie bleiben. Das „Modell T“ von Ford wurde lediglich in industriellem Schwarz lackiert. 1926 kam
schließlich Coco Chanels (1883–1971) „Kleines Schwarzes“ auf den Markt: schlicht, knie-
Macht in Schwarz lang und aus Chinaseide. Die Vogue nannte es damals „Chanels Ford“. Die Modeschöp-
ferin sagte selbst: „Dieses schlichte Kleid wird eine Art von Uniform für alle Frauen mit
In Amsterdam habe ich mich oft gefragt, warum so viele alte Gebäude eigentlich schwarz Geschmack werden.“ Eleganz ohne Luxus. Und aus der Farbe der Trauer wurde Chic.
gestrichen sind. Und warum auf alten Gemälden diese Dunkelheit herrscht. Eine Spur
führt ins 16. Jahrhundert: Der Spanische Hof trug Schwarz – ein Zeichen von Ernst und Rebellious Black
Macht. Über die Habsburger gelangte dieser Stil in die Niederlande, und aus höfischem
Prunk wurde calvinistische Strenge: dunkle Kleidung, weiße Kragen, nüchterne Möbel. Der Zweite Weltkrieg zerstörte nicht nur Städte, sondern auch Gewissheiten. Dementspre-
Genauso sahen auch die Fassaden aus: schwarz gestrichen, weiß gerahmt und sparsam chend war die Nachkriegszeit nicht nur von Aufbau und Neuanfang, sondern auch von
verziert – ein grafisches Understatement. Allerdings war Schwarz technisch anspruchsvoll, Sinnsuche geprägt. Es entwickelte sich ein neuer Blick auf Körper, Kleidung und Kultur.
AIT 9.2025 • 111