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Entwurf Architektur • Design Chatillon Architectes, FR-Paris
Entwurf Innenarchitektur/Möbel • Design Atelier Senzu mit Samy Rio
Bauherr • Client GrandPalaisRmn, FR-Paris
Fotos: Antoine Mercusot
Standort • Location 25 Avenue du Général Eisenhower, FR-Paris
Nutzfläche • Floor space 77.000 m 2
Fotos • Photos Charly Broyez, Antoine Mercusot, Cyrille Weiner
Foto: Cyrille Weiner, FR-Paris Foto: Charly Broyez, FR-Paris
Empfangsbereich mit Boutique im Mitteltrakt • Reception area with boutique in the central wing Wiederhergestellte Blickbeziehungen in eben diesem Mitteltrakt • Restored visual connections in the middle wing
von • by Annette Weckesser
A ls sich die Pforten im Mai 1900 für das Pariser Weltausstellungspublikum öffneten, durch Zergliederung, veraltete Einbauten und unübersichtliche Verkehrswege verloren
gegangen war. Oberstes Ziel von Chatillon Architectes war es, die originalen Sichtachsen
galt das Grand Palais als Sensation. Unweit davon stand der zur „Exposition univer-
selle“ von 1889 erbaute Eiffelturm schon. Das prächtige, im Beaux-Arts-Stil erbaute, stei- wiederherzustellen. So haben die Pariser Architekten im Mitteltrakt des Grand Palais
nerne Palais überraschte innen mit einer filigranen, „Réséda“-grünen Eisenkonstruktion. die ursprüngliche Blickbeziehung zwischen dem Platz Jean Parrin und der Seine wieder
Sein Highlight – das enorme Glasdach – toppte zudem eine imposante, 44 Meter hohe geöffnet. Innen ist dadurch ein neuer, zentraler Platz entstanden, der die BesucherInnen
Kuppel. Fortan fanden und finden im stolze 240 Meter langen Hauptgebäude Ausstel- willkommen heißt und zudem Orientierung bietet. Quer dazu verbindet eine lange Sicht-
lungen und Messen unterschiedlichster Art und sogar regelmäßig Pferderennen (!) statt. und Wegachse nun wieder das Palais d’Antin, den Mittelbau und das kuppelgekrönte
Lange bevor der Begriff „multifunktional“ erfunden wurde, demonstrierte das von Henri Hauptschiff. Erstmals seit 1937 ist das Grand Palais dadurch innen wieder als Ganzes
Deglane, Albert Louvet, Albert Thomas und Charles Girault entworfene Ensemble eine les- und erlebbar und verströmt den großzügigen Geist von 1900.
enorme Flexibilität. Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte diente es im Ersten Welt-
krieg außerdem als Militärkrankenhaus. Und während der Besatzungszeit im Zweiten Barrierefreiheit und Sicherheit
Weltkrieg nutzte es die deutsche Wehrmacht für ihre Zwecke. Den nördlichen, kriegsbe-
dingt zerstörten Teil modernisierte Pierre Vivien in den 1960er-Jahren mit einem Fokus Mehr als 40 neue Aufzüge (samt Lastenaufzügen) garantieren nun Barrierefreiheit. 30
auf Sicherheit und Funktionalität. Mitte der 1980er Jahre zählten dann die Renoir- und neue Treppenhäuser erhöhen zudem die Besucherfrequenz und berücksichtigen neue
Manet-Retrospektiven mit jeweils über 800.000 BesucherInnen zu den größten Publi- Brandschutznormen. Im Zuge der Sanierung wurden zahlreiche Galerien renoviert und
kumsmagneten. Als legendär gelten die Modenschauen, die Chanel seit 2006 anlässlich modernisiert. Während die ursprünglichen Raumproportionen freigelegt wurden, ergän-
der Pariser Fashion Week im großen Kuppelsaal inszeniert. Eben dort können Eisläufer zen neue Beleuchtungssysteme und Technologien die Anforderungen an zeitgemäße und
in der Adventszeit „indoor“ dahingleiten. So viel Event-Potenzial sowie mehr als 120 Jahre flexible Ausstellungen. Ab Ende dieses Jahres und bis 2030 soll das von Renzo Piano
Geschichte und Baugeschichte verlangten nach Architekten, die sich im Hinblick auf die und Richard Rogers 1977 fertiggestellte gemeinsame Erstlingswerk, das Centre Pompidou,
jüngst notwendige Sanierung mit Großprojekten und denkmalgeschützter Bausubstanz umfassend saniert werden. Die Ausstellungen und Kollektionen dieser Pariser Kult(ur)-
auskannten. Chatillon Architectes erfüllten diese Voraussetzungen aufgrund ihrer lang- Institution wandern so lange ins Grand Palais. Dort gehören zu den jüngsten Annehm-
jährigen Expertise. Zum Portfolio des rund 50-köpfigen Teams zählen beispielsweise die lichkeiten auch die gastronomischen Angebote. Auf einem neuen Mezzanin-Geschoss
Renovierungen des Musée Carnavalet in Paris und der Bains Municipaux in Straßburg können BesucherInnen und externe Gäste im Le Réséda Café pausieren, welches l’Ate-
oder die Neukonzeption der Zugangs- und öffentlichen Bereiche des Arc de Triomphe. lier Senzu und Samy Rio entwarfen. Alternativ dazu gibt es im Hauptschiff die Brasse-
rie Le Grand Café. Das Interieur stammt von Joseph Dirand. Umwerfenden Belle Epo-
Chatillon Architectes stellten die originalen Sichtachsen wieder her che-Charme verströmt vor allem die begrünte Terrasse, die – gerahmt von den ionischen
Säulen der Fassade – einen herrlichen Blick auf das Petit Palais vis-à-vis eröffnet. Die
Chatillon Architectes haben nicht nur das Hauptschiff für die Olympischen Spiele reno- Sanierung und Neustrukturierung dieser Pariser Architekturikone ist ein Gewinn für das
viert, sondern das gesamte, sich über 77.000 Quadratmeter erstreckende Grand Palais Publikum, für Paris und eine Investition in den Erhalt historischer Baukultur. Die Arbeit
saniert und neu strukturiert, um es insgesamt besucherfreundlicher zu machen. Mehr von Chatillon Architectes überzeugt: Unlängst wurde das neue alte Grand Palais auch mit
als 3000 Zeichnungen und Pläne aus den Archiven dienten als Vorlagen, um die einstige dem Prix Versailles 2025 ausgezeichnet, um den die schönsten Museen der Welt konkur-
Kohärenz des Gebäudes wiederherzustellen und es den technischen, ökologischen und rierten. Noch bis 4. Januar 2026 ist in dieser Pariser Sehenswürdigkeit eine Ausstellung
funktionalen Bedürfnissen der Jetztzeit anzupassen. So kam die ursprüngliche Schön- über das Künstlerpaar Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely sowie den ersten Direktor
heit des Gebäudeensembles wieder zum Vorschein, die in den vergangenen Jahrzehnten des Centre Pompidou, Pontus Hultèn, zu sehen.
AIT 9.2025 • 115