Page 29 - AIT0718_Leseprobe
P. 29

Entwurf • Design InteriorPark, Andrea Herold & Tina Kammer, Stuttgart
                                                                              Bauherr • Client privat
                                                                              Standort • Location Stuttgart
                                                                              Nutzfläche • Floor space 200 m 2
                                                                              Fotos • Photos bildhübsche fotografie, Andreas Körner, Stuttgart
                                                                              Mehr Informationen auf Seite • More information on page 152



                von • by Andrea Herold & Tina Kammer
                D   ie alte Schlosserei entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Innenhof im
                    dicht besiedelten Stuttgarter Süden. Als die Werkstatt ihren Betrieb vor Jahren ein-
                stellte, zerfiel das Gebäude allmählich, bis sich unser Bauherr dem Kleinod annahm und
                uns beauftragte, die unter Bestandsschutz stehende Ruine aus ihrem Dornröschenschlaf
                zu wecken und mittels eines neuen Zwischenbaus mit dem Erdgeschoss des daneben ste-
                henden Mehrfamilienhauses zu verbinden. Das Ziel war es, eine individuelle Wohlfühl -
                oase im urbanen Kontext zu erschaffen. Die anspruchsvolle Wiederherstellung des histo-
                rischen Bestands und dessen Transformation zu einer modernen Wohneinheit samt sepa-
                rat erschlossener Einliegerwohnung erfolgte unter Einsatz lokaler und natürlicher Materia -
                lien, die für ein gesundes Raumklima sorgen. Der individuelle Charakter der einzelnen
                Bereiche wurde neu interpretiert und der historische Charme in die Neuzeit transferiert.

                Erhalt und Neuinterpretation der Bausubstanz gingen Hand in Hand

                Das architektonische Konzept der Wiederherstellung berücksichtigte zwei Aspekte: den
                weitestgehenden Erhalt der noch vorhanden historischen Bausubstanz sowie die gleich-
                zeitige Neuinterpretation des ursprünglichen Werkstattcharakters. Die Verschmelzung von
                Alt und Neu sollte dabei der Geschichte des Gebäudes Respekt zollen, den Bau aber zu -
                gleich in der Gegenwart verankern. Das Werkstattgebäude war zu Projektbeginn in einem
                desolaten Zustand: Das Dach war schon vor Jahren eingestürzt; die drei noch verbleiben-
                den Wände notdürftig gegen den endgültigen Zusammenbruch gestützt. Aufgrund bau-
                rechtlicher Vorgaben durften die Backsteinwände weder neu errichtet noch eine davon
                unabhängige, innen liegende Gebäudekonstruktion implementiert werden. Jeder Einsturz
                der Wände während der Bauphase hätte ein sofortiges Erlöschen der Baugenehmigung
                bedeutet. Die Wiederherstellungsarbeiten an den alten Gemäuern erforderten deshalb
                einen äußert sensiblen Umgang. Das neue Dach erhielt – in Anlehnung an die ursprüng-
                liche Gestalt – zwei Oberlichter von jeweils zwei mal vier Metern Größe. Ihre Rahmen
                bestehen aus massiver Eiche. Auch die weitere Gestaltung des Innenraums wurde mit
                hochwertigen Materialien realisiert. Durch den Einsatz von natürlicher Dämmung und
                Lehmputz besitzt der große Einraum heute ein angenehmes Raumklima. An das ehema-
                lige Werk statt gebäude wurde zudem ein neuer Anbau angeschlossen, der als Zugangs-
                und Ver teilerraum dient. Er verbindet den alten Werkstatttrakt mit dem Erdgeschoss des
                daneben liegenden Wohnhauses. Die Räume dienten früher dem Schlossereibetrieb als
                Lager- und Büroflächen. Der hier vorgefundene Grundriss musste aus statischen Gründen
                beibehalten  werden. Als Kontrast  zur schlichten Anmutung des ehemaligen  Werk -  Ein neuer Trakt verbindet den großen Wohnraum mit den ... • A new wing connects the large living room with ...
                stattgebäudes entschieden wir uns, die Wände im Wohnhaus vom Putz zu befreien und
                den rohen Charakter der Backsteinwände freizulegen. Deren Fehler und Imperfektionen
                wurden nicht durch aufwendige „Schönheitsoperationen“ korrigiert, was den Räumen  ... übrigen Räumen im benachbarten Mehrfamilienhaus. • ... ... the other rooms in the adjacent multiple dwelling.
                eine eigenständige Identität  verleiht. Natürlicher Linoleumboden und  weiß gekalkte
                Lehmputzdecken bilden dazu einen ruhigen und schnörkellosen Hintergrund. Alle Räume
                strahlen eine einfache und schlichte Wohnatmosphäre aus.

                Nachhaltigkeitsaspekte spielten in der Planung eine zentrale Rolle

                Da unser Fokus auf Nachhaltigkeit im Bauen liegt, wurden alle verwendeten Materialien
                unter diesem Kriterium ausgewählt. So kamen Lehmputz, Sumpfkalkputz sowie Kalk -
                farben, Holzfaserdämmung und Linoleum zum Einsatz – mithin natürliche Materialien,
                die zugleich für ein gesundes Innenraumklima sorgen. Für die Arbeitsplatten und das
                Podest in der Küche  verwendeten  wir  zudem Douglasie aus nachhaltiger, lokaler
                Forstwirtschaft. Die Fensterrahmen und Oberlichter aus massiver, geölter Eiche wurden
                individuell gefertigt. Die Türelemente fanden sich im Bestand und wurden aufwendig
                restauriert und an neuen Bestimmungsorten  wieder eingesetzt.  Alle  weiteren
                Innenausbauprodukte – Arma turen, Beschläge Schalter und Steckdosen – stammen von
                deutschen Traditions unternehmen, die sowohl bei den Produktionsabläufen als auch bei
                den zu verarbeitenden Materialien großen Wert auf Aspekte der Nachhaltigkeit legen.

                                                                                                                             AIT 7/8.2018 •  143
   24   25   26   27   28   29   30   31   32   33   34