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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS THEORIE • THEORY
Foto: Geschäftsl. gsa; Lichtschacht, Essen
Gernot Schulz Raphaella Burhenne de Cayres
1985–1992 Architekturstudium Uni Dortmund, ETH Zürich seit 1996 Lehraufträge, Gastprofes- 1996–2003 Architekturstudium FH Köln 2003–2004 Master of Science Uni Wuppertal 2003–
suren: Wuppertal, Düsseldorf, Sevilla, Darmstadt, Cuenca 2001 gernot schulz : architektur seit 2006 selbstständig, freie Mitarbeit seit 2006 Projektleiterin und seit 2009 Gründungsgeschäfts-
2004 Professur Hochschule Bochum seit 2009 GGF gernot schulz : architektur GmbH (2. v. r.) führerin gernot schulz : architektur GmbH 2015–2016 Fortbildung Schulbauberaterin (rechts)
Bereit zum Aneignen: Cafeteria und Selbstlernbereich (1) • Cafeteria and self-study area (1) Blick vom Park auf die Bildungslandschaft Altstadt Nord (1) • View of the educational landscape (1)
Abläufen ergebenden Bedarfen. Wichtig ist dabei der Blick in die Zukunft! Über die Be- abschluss oder SeiteneinsteigerInnen richten, wenn diese positive Zeugnisse und Befä-
darfe wird deutlich, welche Art von Räumen eine Schulgemeinschaft benötigt. Das higungen in den als „4 Ks“ bezeichneten Kompetenzen mitbringen: Kreativität, Kom-
Wort „Raum“ bezieht hier alle Qualitäten des architektonischen Raums mit ein: Form, munikation, Kollaboration, kritisches Denken. Während politische und gesellschaftliche
Organisation, Wandlungsfähigkeit, Belichtung, akustische und beleuchtungstechnische Führungspositionen mit Personen besetzt sind, die zunehmend keine fachliche Vorqua-
Qualitäten, den Bezug zum Außenraum und – in immer offener werdenden Grundrissen lifizierung mitbringen, werden für Mitarbeitende im öffentlichen Dienst berufliche und
enorm wichtig – die Möblierung sowie Farben und Texturen von Oberflächen. Zusam- wissenschaftliche Abschlüsse als objektivierbare Zugangsvoraussetzung verlangt.
men mit LandschaftsarchitektInnen und PädagogInnen konditionieren wir auch den Au-
ßenraum zum Lernraum. Wir öffnen die Schulen und Bildungsbauten zum Quartier, um Bildungsbauten der Jetztzeit zukunftsfähig gestalten
diese auch außerhalb der schulischen Nutzung zu Quartierszentren zu machen. So wer-
den Synergien mit außerschulischen Akteuren im Quartier, wie Vereinen und anderen Aus unserer über ein Jahrzehnt währenden Auseinandersetzung mit den Themen Päd-
Formen bürgerlichen Engagements, oder Freizeiteinrichtungen ermöglicht. agogik und Raum sind wir überzeugt, dass eine agile Wissensgesellschaft mit Fachkräf-
temangel aus jeder Veranlagung das Bestmögliche entwickeln und zu einer Bildungsge-
Im digitalen Zeitalter: Veränderung wird zur Normalität sellschaft werden muss. Die Bildungsbauten der Jetztzeit müssen auf die heutigen, aber
auch auf die denkbaren zukünftigen Anforderungen ausgerichtet sein. Eine dieser An-
Die Herausforderungen der sich immer schneller verändernden Welt werden in der Wis- forderungen ist die zunehmende ganztägige Organisation der Schulen. Schon 2026 wird
senschaft durch vier Buchstaben zusammengefasst: VUKA. Dies ist ein Akronym und in NRW das Angebot eines Ganztagsplatzes für jedes Grundschulkind gesetzliche Ver-
steht für volatil, unsicher, komplex und ambivalent – jene Merkmale des digitalen Zeit- pflichtung für die Kommunen. Die kontinuierliche Zunahme der ganztägig Lernenden an
alters, die zunehmend für Verunsicherung sorgen. Die VUKA-Welt meint im engeren den Schulen bedingt eine räumliche Entwicklung, und zwar weg von heute noch oft üb-
Sinne eine Jetztzeit, in der Menschen, Gesellschaften und globalisierte Wirtschaft selbst lichen speziellen Ganztagsräumen beziehungsweise Raumbereichen hin zu Bildungsbau-
bei Erfolg einer unsicheren und unvorhersehbaren Zukunft entgegenblicken. Die Verän- ten, die in Gänze ganztägig genutzt werden. Der Blick nach Skandinavien und in andere
derung wird zur Normalität. Gleichzeitig wächst der Frust der Lehrenden, da es immer Länder, die uns bei den architektonischen und stadtplanerischen Antworten auf die
schwieriger wird, Lernenden die Freude am Lernen zu bewahren. Zu groß sind die un- neuen gesellschaftlichen Anforderungen voraus sind, zeigt, wie weit man denken muss.
terschiedlichen Voraussetzungen, Begabungen, aber auch Bedürfnisse der Kinder in In vielen kleinen und mittelgroßen Städten und Quartieren der Großstädte finden sich
einer von der Gesellschaft gewollten inklusiven Lernumgebung. Zu unverständlich ist Gebäude, die nicht nur eine Gemeinschaftsschule beinhalten, sondern gleichzeitig kleine
der Sinn hinter der reinen Wissensvermittlung, zu eng sind die curricularen und forma- Theater, die auch als Schulaula dienen. Es findet sich eine Bibliothek, die Schul- und
len Vorgaben, und zu groß ist die Anzahl gescheiterter Schulkarrieren. Das Festhalten Stadtteilbibliothek ist. Ein Bürger-Restaurant, das der Schulgemeinschaft ebenso offen-
an alten Methoden bei der Lösung neuer Fragen schafft keine Antwort, zum Beispiel in steht wie den BürgerInnen der Stadt. Nutzungsoffene Räume werden von Schule, Verei-
Bezug auf den Fachkräftemangel. Bei den „ZAP“ genannten zentralen Abschlussprüfun- nen und Quartier synergetisch genutzt. Diese Häuser sind 14 Stunden am Tag bespielt.
gen nach der 10. Klasse und dem Zentralabitur wird noch die Gleichmacherei des preu- Besser kann man Grundstücks-, Bau- und Steuerressourcen in einer Kommune nicht ein-
ßisch-militaristischen Ausbildungssystems sichtbar. Diese ist bis heute noch die ideelle setzen. Selbstverständlich bedarf es einer allgemeinen Grundlage. Die Kulturtechniken
Grundlage unserer Schulerziehung. Die Wirtschaft selbst hat sich längst auf eine indi- wie der Erwerb der Fähigkeiten zu lesen, zu schreiben und zu rechnen seien nicht in
viduellere Befähigungsauswahl eingestellt. Die digitalen Job-Plattformen sind voll von Frage gestellt. Der Begriff der „Bildung“ muss jedoch angesichts der veränderten Lebens-
Stellenanzeigen, die sich auch und gerade an Menschen ohne Ausbildung und Schul- wirklichkeit, der sich aus der Digitalität ergebenden Chancen und Risiken und des expo-
AIT 5.2023 • 111