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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS
UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK
IN CAMBRIDGE
Entwurf • Design Níall McLaughlin Architects, GB-London
Das Magdalene College erhält mit der neuen Bibliothek von Níall
McLaughlin Architects einen wohlgesetzten neuen Baustein, der sich
nach innen wie nach außen mittels eines differenzierten räumlichen
und materiellen Netzes mit dem Campus verwebt. Volumen, Struktur,
Material und Farbigkeit passen messerscharf genau zu diesem Ort
und der fast 600 Jahre alten Geschichte dieser Bildungseinrichtung.
von • by Daniela Keck, Stuttgart
S ensibel entlang einer Mauer in das bestehende Ensemble zwischen dem eher intro-
vertierten „Master´s Garden“ und dem sich öffnenden „Fellows’ Garden“ gesetzt,
wirkt das Haus so würdig, als sei es schon immer da gewesen. Der bauliche und geistige
Ursprung des Campus liegt in einer Klosteranlage des Benediktinerordens, heute ist das
älteste Gebäude des Magdalene Colleges 400 Jahre alt. Ein klares und tiefgehendes Ord-
nungssystem, im Grundriss beruhend auf zwölf Quadraten mit einer Seitenlänge von
4,70 Metern und einem dazwischen geschaltetem 1,30 Meter breiten Wegenetz, ermög-
licht eine intuitive Orientierung und bietet überraschende räumliche Freiheiten. Nun
kann man in der neuen Bibliothek, die auf eine bauliche Ewigkeit angelegt ist, ebenfalls –
wie einst die Gelehrten und Mönche – durch die Hallen wandeln und so seinem Geist
auf die Sprünge helfen. Neben einem vielfältigen Angebot an Lese- und Lernorten birgt
das Haus ein Archiv und eine Bildergalerie. Aus dem baulichen Erbe vertraute Elemente,
wie zum Beispiel der Kamin oder das Giebeldach, und bewährtes Material, wie Ziegel
und Holz, werden aufgenommen, neu interpretiert und durchmischt. Das dreidimensio-
nale Netz schraubt sich Modul für Modul dem Licht entgegen. Auf den dreigeschossigen
im Grundriss quadratischen Einheiten sitzt – an eine Laterne erinnernd – ein außenkantig
verglastes Kreuzgiebeldach, das Licht blendfrei bis tief ins Gebäude bringt. Der über zwei
Module verlaufende zweigeschossige Lesesaal ruht dann auch in einer fast sakralen At-
mosphäre im Gebäudeinneren. Eingeflochten ist er in ein Gewebe von Wegen, Galerien,
Stützen, Regalen und Einbauten. Wie in einem Stoffmuster webt sich ein dreidimensio-
naler hölzerner Faden durch den Raum. Das System ist, innen wie außen, ganzheitlich
gedacht. So sind die an den Kreuzungspunkten gelegenen Kamine nicht nur statisch
wirksam, sondern sorgen durch die in ihrem Inneren gelegenen Kanäle für frische Luft
und in der Folge auch für frische Gedanken. Das Gebäude verbindet und versöhnt: das
Innen mit dem Außen, das Gestern mit dem Heute, die Konzentration mit der Entspan-
nung, die Materie mit dem Geist. Hier scheint alles möglich – bis in alle Ewigkeit.
100 • AIT 5.2023