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Prof. Dr. Tanja Remke

                                                                                               bis 2004 Studium der Innenarchitektur in Nürnberg und Detmold 2004-
                                                                                               2016 Innenarchitektin in der Büromöbelindustrie 2016 Gründung Remke
                                                                                               Partner Innenarchitekten mit Sascha Remke seit 2020 Professorin an der
                                                                                               IU Internationale HS 2021 Promotion an der Leibniz Universität Hannover































              1. Das Larkin Administration Building (1906, Frank Llyod Wright) stellt das Wohlbefinden der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt. • 1. The Larkin Administration Building focuses on the well-being of employees.




             A   nfang 2020 verändert die Corona-Pandemie die Welt der Büroarbeit binnen weni-  novationskraft. Gleichwohl sind es die Werkzeuge der Digitalisierung, die mit ihren Mög-
                                                                           lichkeiten der Kommunikation sowohl die meisten Branchen als auch Familien, Beziehun-
                 ger Wochen grundlegend. Quasi über Nacht verlegen deutsche Unternehmen und
             Verwaltungen Tausende von Büroarbeitsplätzen ins Homeoffice. Das Land zeigt seine  gen und Freundschaften einigermaßen glimpflich durch die Pandemie getragen haben.
              Flexibilität, als sämtliche bisher analog geglaubten Arbeitsprozesse in rasanter Ge-
              schwindigkeit digital werden. Was bisher als unmöglich gilt, wird nun schnell zur  Wie soll es weitergehen?
             „neuen Normalität“: Digitale Kommunikationssysteme ersetzen die physische Präsenz-
             notwendigkeit am Arbeitsplatz, Büroarbeit funktioniert losgelöst von Raum und Zeit im  Nach nunmehr zwei Jahren der Corona-Pandemie zeichnet sich ab, dass ein Zurück zu
             virtuellen Raum. Die Corona-Pandemie wirkt als Katalysator für die Digitalisierung in na-  unserer alten Büroarbeit nicht realistisch ist. Im Gegenteil: Die klaren Fortschritte in Sa-
             hezu allen beruflichen und gesellschaftlichen Schichten des Landes. Schnell werden je-  chen Digitalisierung mit den damit verbundenen Vorteilen der Flexibilität wird niemand
             doch die Schwächen und Grenzen dieser neuen Normalität deutlich: Familien erleben  zurückdrehen wollen und können. Nach der krisengeleiteten Phase der schnellen Ad-
              im ersten Lockdown die Mehrfachbelastung durch geschlossene Schulen, Kinderbetreu-  hoc-Entscheidungen stehen wir als Gesellschaft nun an dem Punkt, die Welt der Büroar-
             ung und Homeoffice sind kaum zu leisten, ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen su-  beit weitblickend und langfristig für die Zukunft neu gestalten zu müssen. Grundlegende
             chen händeringend nach neuen Strukturen. Bundes- und Landesregierungen versuchen,  Fragen müssen neu beantwortet werden: Wie wollen wir zukünftig arbeiten, wie nicht?
             diese Strukturen in Richtlinien und Gesetzgebungen zu fassen und scheitern doch. Die  Welche Rolle spielt das Büro zukünftig in diesem Gefüge? Konzepte, die uns einerseits
             Gesellschaft merkt: Allgemeingültige Vorgaben für die Gestaltung der Büroarbeit sind  Sicherheit geben, andererseits aber auch die soziale und wirtschaftliche Leistungsfähig-
             schwierig. Am Ende sind es häufig die Unternehmen selbst, die sich individuelle Rege-  keit unseres Landes sicherstellen, sind notwendig. Neben der Klärung von rechtlichen
             lungen für die Büroarbeit in der Pandemie auferlegen: Häufig als festgelegte Präsenztage  Fragen des neuen Arbeitens sind insbesondere Lösungen gefordert, die der Lebensrealität
             zur Vermeidung des physischen Aufeinandertreffens der MitarbeiterInnen.  der Menschen in unserer Gesellschaft entsprechen, die für ihr Wohlbefinden und somit
                                                                           für die Stärkung von Kreativität und Innovationskraft des Landes sorgen. Und die auch
             Die Folgen der Digitalisierung in der Arbeitswelt             eine neue Generation von Menschen berücksichtigt, nämlich diejenigen, deren Erwach-
                                                                           senwerdung in der Zeit von Abitur, Studium oder Ausbildung von der Pandemie geprägt
             Was in der Pandemie notwendig ist, wird jedoch bereits Jahre zuvor im Zuge der fort-  ist und die mit diesen Erfahrungen auf den Arbeitsmarkt strömen werden. In der aktu-
             schreitenden Digitalisierung unter anderem 2017 von Ute Klammer in ihrem Essay „Ar-  ellen Diskussion heißt es oft, außer den aktuellen Krisenerfahrungen gebe es keinerlei
             beiten 4.0 – Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt“ als langfristig ungesund für den  Beispiele für ein solches Vorhaben der Neuausrichtung. Gibt es wirklich keine Prozess-
             Einzelnen, Unternehmen und Gesellschaften erkannt. Denn erst jenes physische Aufein-  beschreibung, die helfen könnte? Wirft man einen Blick in die Geschichte der Büroarchi-
             andertreffen, oft auch informell und ungeplant, so schreiben Professor Mark Phillips und  tektur, so wird klar, dass es solch umwälzende Veränderungsprozesse in der Büroarbeit
             Angelika Donhauser in AIT 10.2021 (S. 128 ff.), lässt Kreativität und Innovation entstehen  tatsächlich schon mehrfach gegeben hat. Als vergleichbare gesellschaftliche Phasen kön-
             – seit jeher Treiber unserer Gesellschaft und Wirtschaftskraft. Denn auch das belegen me-  nen die wirtschaftlichen Aufschwünge der Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhun-
             dizinische Beiträge wie der von Julia Christine Lengen 2021 zur sozialen Isolation im  derts, die Zeit des Weltwirtschaftswunders in den 1950er-Jahren und auch der Beginn
             Homeoffice der Pandemie: Als die Möglichkeiten der spontanen Kommunikation und des  der Digitalisierung in den 1980/90er-Jahren herangezogen werden. Ihnen voran gingen
             physischen Aufeinandertreffens wegfallen, ist oft Vereinzelung und Vereinsamung die  keine Pandemien, jedoch ähnlich grundlegende Krisen: Die Gründerkrise von 1873 bis
              Folge. Mit dem Wohlbefinden der MitarbeiterInnen sinken ihre Leistungsfähigkeit und In-  1879, die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 und die Ölkrise von 1973/74. Solche Kri-

                                                                                                                            AIT 4.2022 • 115
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