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Elke Kies
... studierte Architektur an der Universität Kassel und gründete 1997 das
Neusser Unternehmen MAGIC BOX e.K. Special Events „Erlebniskommu-
Foto: Elke Kies nikation für alle Sinne“. Sie ist Inhaberin und „Nase“ des Unternehmens.
nungsschwelle in geruchsintensiverer Umgebung überschritten ist, dann werden wir
des Duftes oder eines für uns negativen Geruchs gewahr. Hierbei hat nur die negative
Empfindung sichtbare Auswirkung auf unser Verhalten: Wir werden aktiv, um die
unangenehme Wahrnehmung zu beenden. Bei positiver Erkenntnis über den gero-
chenen Duft signalisiert unser Gehirn, die aktuelle Situation beizubehalten. Das ge-
ruchliche Umfeld gerät dabei bereits nach circa 20 Sekunden in Vergessenheit, da
von ihm keine Gefahr ausgeht und es unser Befinden vielleicht sogar positiv beein-
flusst. Nicht zuletzt deshalb ist es wichtig, Intervall-dosierbare Dufttechnik zu ver-
wenden. Der Riechsinn ist maßgeblich für die Informations- und Nahrungsbeschaf-
fung, für die Orientierung in unserer Umwelt sowie für die Partnerwahl und Fort-
pflanzung. Er hat seinen Sitz in den ältesten Gehirnarealen und arbeitet ohne Zutun
des Großhirns. Unter seinem Einfluss wird dort entschieden, was wir uns langzeitig
merken und womit wir – emotional und bildhaft – diese Erinnerungen verknüpfen.
Das Genussversprechen eines Nahrungsduftes erzeugt gewaltigen Appetit, denn Foto: Römertherme Zülpich – Museum für Badekultur, Entwurf Architektur: Markus Ernst
90 Prozent des Schmeckens ist retro-nasales Riechen. Typische Urlaubsgerüche brin-
gen uns in gute Stimmung und erzeugen innere Bilder der Erinnerung – tiefgehender
als jede visuelle Information dies vermag. Die Umgebung oder ein Gesprächspartner
werden unter dem Einfluss eines konsistenten positiven Geruchs besser bewertet.
Man selbst ist sich mehr wert und bereit, sich mehr Zeit zu nehmen und sich auch
bei Freizeitangeboten der Wellnessbranche kostenpflichtige Extras zu gönnen.
Was macht der Duft in unserem Körper? Duftwand in den Römerthermen Zülpich – Museum für Badekultur
Wir sprechen beim Riechen von einem leibnahen Sinn. Denn ganz gleich, ob be-
wusst wahrgenommen, erkannt oder von uns unbemerkt, gelangen die eingeatme-
ten Duftmoleküle in unsere Blutbahn und verteilen sich im Körper. Ihre Beschaffen- man Bestandteile zusammenbringt, die sich olfaktorisch verstärken oder einander
heit und Wirkstoffe sollte man deshalb genauerer Betrachtung unterziehen. Wäh- eher ausgleichen. Vereinfachend kann zur Wirkweise der ätherischen Öle gesagt
rend echte, naturreine Pflanzenextrakte mit ihren Vitaminvorstufen eine enge Ver- werden, dass sie uns in der Raumluft die Wirkung angedeihen lassen, die das Öl
wandtschaft zum menschlichen Hormonhaushalt aufweisen und allesamt gut vom auch für die Pflanze hat. Und alle haben etwas gemeinsam: Sie wirken antiseptisch!
Körper verwertbar und abbaubar sind, handelt es sich bei naturidentischen Riech-
stoffen um Parfümöle, die zum Teil reine Laborprodukte sind. Diese begegnen uns Grundlagen und Funktionen der Raumbeduftung
überall: in Parfüms und Körperpflegeprodukten, als Lufterfrischer und in Form von
Duftbäumen für Autos, in Waschpulvern und Reinigungsmitteln. Einige von uns Regel Nummer 1: Es darf nicht schlecht riechen. In Umkleidebereichen, die unseren
haben sich über die Jahre an diese überwiegend Erdöl-basierten Düfte gewöhnt. Ihre ersten und letzten Eindruck eines Sauna- oder Badbesuches definieren, muss auf die
breite Nutzung ist dennoch ein problematischer Trend, weil die biologische Abbau- Luftqualität geachtet werden. Hier sind wir mit unseren Eindrücken allein, nichts
barkeit im Körper überwiegend nicht erwiesen ist. lenkt uns ab. Wenn wir dort, selbst wohlriechend und entspannt, einer Mischung
aus Feuchtraum- und Fremdschweiß-Gerüchen begegnen würden, sänke die Stim-
Was ist ein naturreiner Duft? mungskurve abrupt ab. Wir behielten den Ort nicht ungetrübt in Erinnerung, denn
der letzte, negative Eindruck wäre ein bleibender. Umkleiden sollten demnach frisch
Eine naturreine Duftkomposition wird ohne Zugabe von Alkohol entlang der funk- riechen, was durch Zugabe ätherischer Öle in die Klimazuluft leicht zu bewerkstel-
tionalen und der hedonistischen Zielsetzung eines Dufteinsatzes komponiert. Diese ligen ist, weil gasförmige, ätherische Öle schon in kleinsten Dosen antibakteriell und
naturreine Duftkomposition darf mit „100 Prozent ätherische Öle“ gekennzeichnet somit luftverbessernd wirken. Dieser Ansatz wäre auch für den klinischen Bereich
werden. Die Bezeichnung „natürlich“ ist obsolet und wirkt nur wettbewerbsverzer- sinnvoll, würde er doch Wirksamkeit gegen multiresistente Keime entwickeln.
rend. Die Komposition wird aus den Destillaten von Harzen, Wurzeln, Zweigen, Blät- Typischer Klinik- oder Praxisgeruch würde so einer freundlichen, stärkenden
tern, Blüten, Früchten und Samen verschiedener, meist seit Tausenden von Jahren Atmungsumgebung für Patienten, Personal und Besucher weichen. Der Geruch von
bekannter Heil- und Duftpflanzen aus aller Welt zusammengefügt. Dabei erzeugt der Angstschweiß, der von allen Menschen sofort registriert wird und ansteckend wirkt,
Parfümeur die gewünschte Balance von Flüchtigkeit und Stabilität einer Komposi- würde unterbunden. Im geriatrischen Umfeld wird individuell in der Pflege schon
tion durch den prozentualen Anteil der jeweiligen Öle. Es entstehen Kompositionen viel mit ätherischen Ölen gearbeitet. Kontrollierte Großraumbeduftung kann dort
mit erfrischender oder ausgleichender, kühlender oder wärmender, stimulierender über die reinigende Wirkung hinaus die generelle Orientierung im Gebäude verbes-
oder beruhigender Wirkung, die für Inszenierungen sehr präsent oder für die funk- sern, indem Stationen oder Etagen mit verschiedenen Duftnuancen und Farben ge-
tionale Raumbeduftung sehr zurückhaltend gestaltet sein können. Je nachdem, ob kennzeichnet werden. Darüber hinaus lässt sich die Ausbreitung von Bratenfett und
AIT 11.2019 • 111