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GESUNDHEIT UND WELLNESS • HEALTH AND SPA THEORIE •  THEORY



                                                                             dert die gängige Praxis für die Krankenhausgestaltung war. In Deutschland wurde
                                                                             das Breitfuß-Modell im Neubau für die Asklepius-Klinik Altona am präzisesten um-
                                                                             gesetzt, der von Kallmorgen und Karres Architekten entworfen und im Jahr 1971 er-
                                                                             baut wurde. Was jedoch revolutionär an der Gestaltungzu sein schien, wurde zu sei-
                                                                             ner Nemesis. Zunehmend effektivere Operationsmethoden führten zum Rückgang
                                                                             der stationären Krankenhausbehandlungen und machten die klar definierten, aber
                                                                             nicht ausbaufähigen Hochhauskrankenhäuser obsolet. Eine zusätzliche Belastung
                                                                             war das endlose Warten auf den Aufzug, das ein Risiko für das Leben der Patienten
                                                                             bedeutete und die Angestellten an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte.
                                                                             Nur 40 Jahre nach ihrer Eröffnung erklärte man die Asklepius-Klinik Altona als un-
                                                                             geeignet für die Anforderungen der modernen Gesundheitsversorgung und schlug
                                                                             ihren Abriss vor. Wenn wir die Geschichte der Krankenhausgestaltung im Allgemei-
                                                                             nen betrachten, zeigt sich ein seltsames Muster: Je neuer das Projekt ist, desto kürzer
                                                                             bleibt es in Betrieb. Viele Planungen für große Krankenhäuser, die mit der hekti-
                                                                             schen Geschwindigkeit von Forschung und Entwicklung in der Medizin Schritt hal-
                                                                             ten wollen, benötigen vom Entwurf bis zu Fertigstellung oft zehn bis 15 Jahre. Gerade
                                                                             deshalb werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Opfer ihres eigenen Innovati-
                                                                             onseifers: obsolet schon bei der Fertigstellung.

               Wie können die nächsten Generationen versorgt werden? • How can we take care of the next generations?   Das Krankenhaus der Zukunft als städtebauliches Projekt

               Die Nutzung von Krankenhäusern verkürzt sich zunehmend.  • The increasingly short life span of hospitals.  Wie sollte demnach das Krankenhaus von morgen aussehen? Eine verbesserte Ver-
                                                                             sion der existierenden Krankenhäuser? Oder sollte es sich breiter orientieren und
                                                                             auch andere Gebäudetypen anschauen – freundliche Umgebungen für Menschen
                                                                             ganz allgemein, ungeachtet ihres Gesundheitszustandes? Das Krankenhaus ist einer
                           486 yrs                                           der letzten wirklich öffentlichen Räume, wo Menschen aus allen sozialen Schich-
                                                                             ten, Ethnien und Berufen zu jeder Tages- und Nachtzeit aufeinandertreffen. Herge-
                                                                             leitet vom lateinischen Wort „hospitale“ mit der Bedeutung Gästehaus, ist es die
                                                                             implizite Pflicht des Hospitals, auch ein Ort des Willkommens zu sein. Durch chro-
                                                                             nische Krankheiten werden heute Krankenhausbesuche für viele Menschen zu
                                                                             einer alltäglichen Routine, wie etwa das Einkaufen, das Pendeln zum Arbeitsplatz
                                                                             oder der Besuch im Fitnessstudio. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage,
                 lifespan                                                    wie man ein Krankenhaus zu einem Ort machen kann, den wir wirklich gerne auf-
                                                                             suchen. Sollte vielleicht gerade diese Vorstellung weiterverfolgt werden? Wie wäre
                                                                             es, wenn wir das Krankenhaus der Zukunft nicht als finale architektonische Lösung,
                                     166 yrs
                                                                             sondern als ein urbanes Projekt denken würden: einen unaufhörlich laufenden Ar-
                                                                             beitsprozess, ein Umfeld, ganz ähnlich wie die Stadt selbst – allgegenwärtig, sich
                                                100 yrs
                                                                             ständig verändernd?
                                                          39 yrs
                                                                    26 yrs
                                                                             E  urope is known as the old continent. Current demographic trends may soon de-
                         Ospedale Maggiore,   Hôpital Lariboisière,   Brook General Hospital,   Prentice Women's Hospital Building,   Baptist Memorial Hospital,
                          Milan 1456-1939  Paris 1853-présent  London 1896-1996  Chicago 1975-2014  Memphis, EU 1979-2005  clare it the elderly continent. As the baby boomer generation is gradually mo-
                                                                             ving into retirement, the proportion of gainfully employed is decreasing accordin-
                                                                             gly: in 1960, there were seven working-age persons for each one retired; in 2018,
               Grundrisse von Kliniken als „heilende Maschinen“. • Floor plans of hospitals as „healing machines“.  there were only three. In a society where the elderly are likely to become the ma-
                                                                             jority, how can we take care of the next generations?
                                                                             The baby boomer generation and the welfare state


                                                                             One pays taxes so one is taken care of in return – that was the transfer of responsi-
                                                                             bility that underpinned the welfare state and, at a time when working-age taxpay-
                                                                             ers vastly outnumbered the retired and the ill, the logic worked impeccably. Things
                                                                             changed once the numbers shifted. The late 1970s saw exploding public costs coin-
                                                                             cide with a steadily decreasing tax base and with the neo-liberal reforms that fol-
                                                                             lowed during the 1980s, one impeccable logic was replaced by another: who better
                                                                             to take care of your health than yourself? From a civic duty, healthcare became a
                                                                             personal service, subject to free competition under the competence of European
                                                                             Union law, which, since the 2000s, has increasingly created space for a private he-
                                                                             althcare sector. The effects have become all too apparent: we used to receive wel-
                                                                             fare, today we choose a lifestyle, to include everything from medicine to nutrition
                                                                             and personal workouts. Europe’s pursuit of healthy living is in full swing. The Eu-
                                                                             ropean organic market has been enjoying double-digit growth rates for over a de-
                                                                             cade, while Europe has become the largest fitness center in the world with a total


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