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BÜRO UND VERWALTUNG  •  OFFICE BUILDINGS   THEORIE  •  THEORY



























       Nicht zu unterschätzten: Die Qualität der Computer-Arbeitsplätze! • Not underestimated: The workstations!   Der Marktplatz als flexibler Kollaborations- und Kreativraum • Marketplace: space for collaboration and creativity



       gen. Die Corona-Isolation bedeutete 100 Prozent Homeoffice. Die neu angestellten Mit-  Seite bietet ein großer Marktplatz mit einer Küche die Möglichkeit für informelle Gesprä-
       arbeiterInnen kannten sich nur über die digitalen Kanäle. Im ersten Gespräch mit den   che, Arbeitsmöglichkeiten am Fenster und für Workshop-Formate. Mit rollbaren Stehti-
       Verantwortlichen wurde klar: Der Wunsch nach einem Gemeinschaftsgefühl ist im Unter-  schen, die in diversen Konfigurationen angeordnet werden können, Glas-Whiteboards
       nehmen groß, und es wird eine Homebase fürs erstmalige Kennenlernen und gegen-  und großen Screens ist der Teil des Marktplatzes multifunktional nutzbar. Dabei waren
       seitige Inspiration herbeigesehnt. Zuerst musste ein Gespür für die Anforderungen an  Flexibilität und Adaptionsfähigkeit des Raumes ein wichtiger Aspekt. Die Flächen müs-
       eine Fläche gefunden werden, die mit der jungen Identität wächst und zum Pioniergeist   sen in Zukunft nachhaltig und wandelbar funktionieren, da nicht vorhersehbar war, wie
       des Teams passt. Mitarbeiterumfragen ergaben einen ersten Anhaltspunkt. Das Konzept   sich die Selbstwirksamkeit des Einzelnen auf die Nutzung auswirkt. Wenn ich mir den
       vertieften wir, in dem wir bestehende Umfragen auswerteten, das Briefing schärften und   Raum nach meinen eigenen Bedürfnissen aneignen kann, fühle ich mich nicht nur wert-
       gemeinsam im Projektteam ein Szenario formten, das einen greifbaren Möglichkeitsraum  geschätzt, sondern meine Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit steigt. Wenn der Raum
       auf 600 Quadratmetern darstellt. Mit der Aufbereitung der Zahlen zu den Arbeitsweisen,   die Arbeitsweise optimal unterstützt, ist dies die Basis für eine höhere Identifikation mit
       Bedürfnissen und angenommenen Anwesenheiten traute sich das Unternehmen bei 100   dem, was ich tue und für wen ich arbeite, einhergehend mit einer gesteigerten Resilienz.
       Mitarbeitenden einen hohen Sharing-Faktor von 1:3 zu. Dabei stellte sich heraus, dass  Die erwähnten flexiblen Kollaborations- und Kreativzonen ermöglichen den ersehnten
       es sich hier im ersten Schritt um einen Mikrokosmos handeln sollte. Die Vision einer   persönlichen Austausch. Das Gefühl füreinander fehlte in der Isolation zu Hause – gerade
       skalierbaren Homebase, die alle Bedürfnisse der einzelnen Teams bedient und durch die   wenn es vorher kein Miteinander gab, da die Firmengründung in den ersten Lockdown
       basishafte Ausstattung Luft zum Wachsen lässt. Was benötigt nun so ein Ort der Zusam-  fiel. Echte Verbundenheit mit Anderen entsteht erst in der Begegnung.
       menarbeit als Minimalausstattung, um ein Attraktor für das Arbeiten in Präsenz zu sein?
       Essenziell wichtig ist immer noch die ergonomische Ausstattung der Arbeitsplätze. Auch  Kein Patentrezept, aber die Wahrscheinlichkeit erhöhen
       wenn man sich im Homeoffice gut eingerichtet hat, kann der höhenverstellbare Tisch mit
       ergonomischem Stuhl in Kombination mit der IT-Ausstattung ein Grund für das Verlassen   Der Jenaer Soziologieprofessor Hartmut Rosa beschreibt dies mit dem Begriff der „Reso-
       der Arbeitsstätte am heimischen Esstisch sein. Auf dem Sofa teamsend, kann ich es mir   nanz“: Die Beziehung zur Welt, getragen von Achtsamkeit, Sich-Einlassen, Zeitnehmen für
       daheim kurzfristig wohlig machen oder mir langfristig den Rücken strapazieren.   Ungeplantes und für genügend Zwischenräume für Begegnungen. Unter diesem Aspekt
                                                                    war es in der Konzeption für das Medienunternehmen nötig, die Mittelzone als Haupt-
       Das Büro als Wohlfühlort und Unternehmensheimat              schlagader zu befähigen, intuitiv bespielbare Freiräume anzubieten, um in einer offenen
                                                                    WorkCafe-Zone zu münden, die den Zufall der spontanen Begegnung fördert. Laut Hart-
       So zeigt es auch die Projekterfahrung: Bei einem Kunden werden aktuell die gepolster-  mut Rosa gibt es sogenannte Resonanzachsen: Dinge oder Begebenheiten, die die Wahr-
       ten Arbeitsmöglichkeiten, die gemäß New Work die Bürowelt auflockern sollten, wieder   scheinlichkeit für ein Resonanzerlebnis erhöhen. Aus den Gesprächen mit den Mitarbei-
       gegen Arbeitstische getauscht. Im Falle des oben erwähnten Unternehmens bedeutete  tenden schlossen wir, dass sinnlich erfahrbare Momente, wie das haptische Erfühlen von
       dies 37 IT-Arbeitsplätze in abgewinkelter Geometrie mit mindestens zwei Screens. Plug   Oberflächen, eine solche Resonanzachse sein könnte. Diese Erkenntnis unterstützte unser
       and Play in der einfachsten Form. Je nach Kombination lassen sich mit einzelnen Fokus-  gemeinsam entwickeltes Konzept, einen mit allen Sinnen erlebbaren Raum zu schaffen,
       arbeitsplätzen durch die Tischkonfigurationen Inseln mit direktem Blickkontakt schaf-  der haptisch und akustisch ansprechend ist und somit kreativitätsfördernd wirkt. Samti-
       fen. Wenn wir uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass allgemeine Studien darauf  ge Wandoberflächen ermöglichen es, kleine Botschaften zu hinterlassen, und vielfältige,
       hinweisen, dass die herkömmlichen Tätigkeiten am Arbeitsplatz von Angestellten lieber   aufeinander abgestimmte Materialen und Texturen sorgen für den Wohlfühlfaktor. Es
       zu Hause getätigt werden, überrascht es vielleicht, warum wir hier doch den Einsatz  lässt sich festhalten, dass es kein Patentrezept gibt, das die Mitarbeitenden dauerhaft
       klassischer Arbeitsplätze als Mehrwert beschreiben. Auch wenn der größte Treiber die  aus dem Homeoffice zurückholt. Aber es gibt Methoden und Herangehensweisen, die,
       Kollaboration sein mag, ein Arbeitstag lässt sich oft nicht in kalkulierbare Segmente aus   geprägt von gegenseitigem Verständnis und Sensibilität, die Wahrscheinlichkeit erhöhen,
       Fokus, Kommunikation, Kollaboration und Erholung aufteilen. Wer zu einer Teambe-  dass Bürolandschaften mit Menschlichkeit und Raum für Resonanz die Verbundenheit
       sprechung ins Büro geht, den erwarten im Laufe des Arbeitstages Tätigkeiten, für die   stärken. Gerade die individuellen Arbeitsweisen in einem Unternehmen sollen durch den
       ein klassischer Arbeitsplatz benötigt wird. Eventuell kann man aufgrund der Wohnsi-  Raum unterstützt werden, Raumfolgen sollen Begegnungen fördern und die Zufriedenheit
       tuation daheim nicht fokussiert arbeiten. Die Komplexität der Lebensweisen spricht für   und Innovationsfähigkeit der Nutzer steigern. So entsteht bestenfalls aus der Mischung
       Arbeitswelten, die alle Modi abdecken – die Qualität und Quantität der Arbeitsbereiche   an Persönlichkeiten in einem Unternehmen und der Vielzahl an unterstützenden Raum-
       sind individuell zu konkretisieren. Im Beispiel unseres Medienunternehmens strukturiert   zonen ein wertschätzendes Ambiente zum Wohlfühlen. Wenn wir als PlanerInnen gut
       die Hauptachse die ganze Fläche durch drei eingeschobene Rückzugsräume. Die dabei  zuhören und das Gesagte räumlich übersetzen, wird das Ergebnis so viel mehr als die
       entstehenden Räume sind für Rückzug oder Team-Meetings nutzbar. An einer Kopfseite   Summe seiner Teile sein, nämlich eine Sphäre, die beschützt und befähigt. Da will man
       stehen zwei Fokusbüros für konzentriertes Arbeiten zur Verfügung, und auf der anderen   einfach dabei sein und arbeiten. Willkommen zurück!


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