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Dr. Uwe Bresan                           Entwurf • Design Ecker Architekten, Heidelberg und Buchen
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                                                                           Standort • Location Schwimmbadweg 9-13, 74743 Seckach
             Foto:  Andreas Körner  versität Wei mar 2008–2020 Redakteur/stellv. Chefredakteur bei AIT 2015  Fotos • Photos Brigida Gonzalez, Stuttgart
                                                                           Nutzfläche • Floor space 1.850 m
                                  1980  geboren 2000–2008 Architektur stu dium  an  der  Bauhaus-Uni -
                                                                                              2
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                                  Pro motion in Bauge schich te seit 2021 Architektur Media Manager bei Jung






































             Das Material Holz weckt positive Resonanzen, gewinnt Patina und trägt zur Verortung und zum Heimischwerden bei. • Wood has positive associations and a patina and contributes to feeling safe and becoming at home.



             von • by Dr. Uwe Bresan, Stuttgart
             A   rchitekten bauen Häuser: Wände, ein Dach über dem Kopf. Zu einem echten Zu-  schied zur Anlage in Seckach, die eben nicht unmittelbar an eine religiöse Trägerschaft
                                                                           gebunden ist und mithin auf vergleichbare Zeichen- und Symbolbauten verzichten muss.
                 hause werden Häuser in der Regel aber erst durch die Menschen, die darin woh-
             nen. Vater und Mutter machen ein Elternhaus. Wenn Vater und Mutter, wenn Familie  Das Schützende und Bergende, das die Architektur vermitteln kann, muss hier anders
              nicht mehr existiert, problematisch geworden ist, wie kann ein Haus dann noch Zuhause  gedacht, anders gemacht werden.
             werden? Kann Architektur das leisten? Kann Architektur mehr schaffen, als schlicht Be-
             hausung zu sein? Und wenn ja, wie? Dea Ecker und Robert Piotrowski haben darauf Ant-  Einen Ort markieren
              worten gefunden. Mit den Mitteln der Architektur – mit Form, Proportion, Raum, Material
             und Farbe – haben sie in Seckach einen Ort geschaffen, der wirklich Heimat und Zuhause  Zwei Wohnhäuser bilden das neue Ensemble des Kinder- und Jugenddorfs in Seckach.
              sein will; und sein kann. Viele Vorbilder hatten sie dafür nicht! Die Architekturgeschichte  Eines legt sich U-förmig um einen offenen Hof, das andere schließt den Platzraum zur
             ist reich an Kirchen, Schlössern, Villen, Landsitzen und mondänen Wochenendhäusern.  vierten Seiten hin ab. Ein Raum, ein Ort ist markiert. Ein Stück Welt nach vier Seiten de-
             Das Wohnen in Gemeinschaft, zumal in problematischer, nicht selbst bestimmter Ge-  finiert. Der abschließende Riegel ist allerdings nicht symmetrisch auf den Hof ausgerich-
             meinschaft, ist hingegen kaum Gegenstand der Auseinandersetzung. Welche Vorbilder  tet, sondern leicht versetzt angeordnet. Es entsteht eine Lücke zwischen den Gebäuden,
             fallen einem also ein? Zuerst vielleicht das Ospedale degli Innocenti, das Hospital der  die den Hof an seine Umgebung bindet. Der Platz ist begrenzt, aber nicht abgeschlossen.
             Unschuldigen Kinder, in Florenz von Filippo Brunelleschi. Der Bau, in dem die Florenti-  So ist ein eigener, kleiner Kosmos entstanden, ein geschützter und behüteter Raum unter
             ner Edelmänner der Zeit gern anonym ihren vor- und unehelich gezeugten Nachwuchs  dem Firmament, der aber doch das Draußen einlässt und einen Bezug zum Drumherum
             in Obhut gaben, gilt als Gründungsmoment der Renaissance. Als repräsentative, städti-  herstellt; die Gruppe beschützt, das Individuum aber nicht gefangen hält. Der Hof, mit
             sche Anlage mit der von Brunelleschi nach antikem Vorbild gestalteten Arkadenreihe zur  zwei jungen Bäumen am Rand, ist das zentrale Element des Entwurfs der Architekten.
             Piazza Santissima Annunziata hin taugt das Ospedale allerdings kaum als Referenz. Geo-  Das, was sie hier exemplarisch vollziehen, das Spiel zwischen Schließung und Öffnung,
             grafisch, zeitlich und stilistisch näher liegend, käme vielleicht noch das Kinder- und Ju-  zwischen Gemeinschaft und individueller Freiheit, ist ein tragender Gedanke des gesam-
             genddorf Bethanien in Bergisch-Gladbach, das der bekannte deutsche Architekt Gottfried  ten Bauwerks und seines Zweckes. Wie in jeder funktionierenden Familie, wie in jeder
             Böhm Ende der 1960er-Jahre am Waldrand im kleinen Ortsteil Refrath baute, als Vorbild  guten Gemeinschaft, geht es um die gerechte Balance, das Austarieren, zwischen den je-
             in Betracht. Die Gemeinschaftswohnhäuser legte Böhm in einem weiten, tropfenförmi-  weils berechtigten Ansprüchen der Gruppe wie des Einzelnen. Die Architektur vollzieht
             gen Bogen um einen grünen Dorfanger herum an. In der Mitte erhebt sich eine expressiv  diesen Gedanken nach. Die großen Walmdächer der beiden Wohnhäuser sind an den
             gefaltete Betonkapelle als topografisches und spirituelles Zentrum der Anlage. Wie ein  Schmalseiten tief hinunter gezogen. Sie scheinen fast den Boden berühren zu wollen.
             Kraftzentrum besetzt sie den Raum und strahlt machtvoll und schirmend in das Rund  Das erinnert, sicher nicht zufällig, an die großen Bauernhöfe der Umgebung und mithin
             der sie umstehenden Bauten aus. Sie markiert damit auch einen wesentlichen Unter-  an den Urtyp des deutschen Einhauses an sich. Zugleich vermitteln die Dächer etwas

                                                                                                                           AIT 7/8.2021  •  113
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