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WOHNEN  •  LIVING

































            HAUS HOLDERGASSE

            IN VADUZ



            Entwurf • Design Baumschlager Eberle Architekten, LI-Vaduz


            Selbstverständliche Größe und Ruhe sind die Insignien klassischer
            Villenarchitektur. Auch Haus Holdergasse in Vaduz besitzt diese
            wohltuend-poetische Aura. Der skulpturale Baukörper ist ein Ent-
            wurf von Baumschlager Eberle Architekten. Reduziert im Erschei-
            nungsbild, aber auch im Material- und Energieverbrauch, setzt das
            Familiendomizil ein Statement für zeitgemäße Villenarchitektur.



            von • by Annette Weckesser
            B  aumschlager Eberle sind bekannt dafür, eingeschliffene Konventionen zu hinterfra-
               gen. Mit Haus 2226, ihrem eigenen Architekturbüro in Lustenau, demonstrierten sie
            2013 nicht nur, dass ein wegweisendes Bürogebäude entgegen der vorherrschenden
            Meinung vollkommen ohne Haustechnik auskommen kann. Mit dem sechsgeschossi-
            gen, kompakten Würfel bauten sie auch ein äußerst subtiles Stück Architektur. Nach
            außen tritt diese reduziert, lediglich durch Putzfassaden, Holzrahmen und Fenstergläser
            in Erscheinung. Materiell fast ebenso minimiert, dabei sehr plastisch modelliert ist Haus
            Holdergasse in Vaduz. Das dreigeschossige, 346 Quadratmeter große Familiendomizil
            spielt mit den Themen Privatheit und Offenheit. Charakteristisch sind der zurücksprin-
            gende Eingangsbereich sowie zwei aus dem Volumen herausgeschnittene Terrassen.
            Alter Baumbestand, eine imposante Rotbuche, ist Dreh- und Angelpunkt des Entwurfs.
            Zwischen Haus und Baum entstand ein geschützter Rückzugsbereich. Auch bei Haus
            Holdergasse stellten Baumschlager Eberle tradierte Bauweisen infrage. Die im Rheintal
            in Liechtenstein erhöhten Erdbebenanforderungen münden in aller Regel in Stahlbeton-
            wände. Aus ökologischen Gründen wollten die Architekten auf selbige verzichten. Das
            Bauingenieurbüro Frick & Gattinger AG ermöglichte es, Dämmziegelwände aus reinem
            Ton zu verwenden und Betoneinlagen auf die äußere Mörtelschicht zu reduzieren. Die
            monolithische Erscheinung des Hauses resultiert aus eben jenem Sumpfkalkputz, der
            fugenlos auf das homogene Ziegelmauerwerk aufgebracht ist. Wohlproportionierte
            Räume, wenige edle Materialien – helle Putzvarianten, Eichenholz, unbehandelte Be-
            tondecken  und  -böden – sowie präzise, in bester handwerklicher Tradition ausgeführte
            Details sorgen für die ruhige Aura der Innenräume. Eine flache, auf minimale Höhe re-
            duzierte Kassettendecke überspannt den offenen Wohn-Küchen-Bereich. Und – auch das
            eine Besonderheit – Haus Holdergasse ist trotz seiner Einzigartigkeit ein Teamplayer: Die
            Villa bildet mit zwei Nachbarhäusern ein privates Energie-Cluster. Alle drei Häuser be-
            sitzen eigene Photovoltaikanlagen und eine große, gemeinsame Batterie.

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