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WOHNEN • LIVING THEORIE • THEORY
Fröhlich, wertig und robust – die Sanitärräume • Cheerful, high-quality and robust – the sanitary rooms Die unterschiedlich farbigen Treppenhäuser ... • Differently coloured staircases ...
Bergendes. Sie sind Schutzdächer im besten Sinne und wiederholen den Rhythmus der nungen. Sie liegen in den Treppentürmen, die jeweils auch nach außen den Übergang
Landschaft, die von den Ausläufern des Odenwalds geprägt ist. Mit ihrer schieren opti- symbolisch markieren. Darüber hinaus sind jeder Wohngruppe wie auch den Betreu-
schen Masse drücken sie die Häuser auf den Boden, verbinden die Architektur untrenn- ungsfamilien eigene, geschützte Außenbereiche zugeordnet, die als tiefe Loggien ausfor-
bar mit dem Terrain. So ist den Bauten in Seckach Tradition, Heimat- und Ortsbezug ein- muliert sind und die jeweils vorhandenen Gemeinschaftsräume – Küche, Wohn- und Ess-
geschrieben. Die aus den Dachvolumen herausragenden Türme, es sind die Lichträume zimmer – nach außen erweitern. Alle Loggien sind in unterschiedliche Himmelsrichtun-
der Treppenhäuser, vermitteln der Architektur wiederum einen individuellen Charakter. gen orientiert, nie aufeinander bezogen.
Es sind markante Zeichen ohne Vorbilder, die den Häusern eine auffällige Prägung, ein
Denk-, Merk- oder auch Wegzeichen verleihen. Sie können für die Bewohner zu Ankern Architektur zum Träumen
der Wahrnehmung und des Gedächtnisses werden, weil sie im Zusammenspiel mit den
Dachflächen und Fassaden vielfältigste assoziative Bilder zu erzeugen vermögen. Auch So setzt sich der Entwurf von Dea Ecker und Robert Piotrowski aus funktional klug
das gewählte Baumaterial – Holz – trägt letztlich zur Verortung, zum Heimischwerden, überlegten und fein gemachten Nuancen räumlicher Trennung zusammen. In ihrer
bei. Es ist ein warmes, anschmiegsames Material, das bei den Nutzern vor allem positive Summe ergeben sie ein stimmiges und atmosphärisch dichtes Ensemble, in dem die Be-
Resonanzen weckt. Es gibt nach, ist nicht hart, kalt und abweisend wie Beton oder Zie- wohner heimisch werden können, weil die Architektur ein reiches Angebot macht.
gelstein. Zugleich altert es gemeinsam mit den Bewohnern, wird reifer, erwachsener, ge- Jeder findet hier zu jeder Zeit den für ihn geeigneten Raum und damit auch die jeweils
winnt Patina. So wird es mit der Zeit zum Spiegel derer, die mit ihm leben. gewünschte Nähe beziehungsweise den jeweils gewünschten Abstand zur Gemein-
schaft der Anderen. Und selbst an einen Raum zum Träumen haben die Architekten ge-
Individualität bauen dacht. In seiner „Poétique de l'Espace“ schrieb der französische Philosoph Gaston Ba-
chelard den unterschiedlichsten Bereichen des menschlichen Denkens, Fühlens und
Erwachsenwerden heißt auch, sich selbst entdecken, sich selbst kennenlernen und sich Handelns eigene Räume und Gegenstände innerhalb eines fiktiven Hauses zu. Das Un-
selbst in die Zukunft hinein entwerfen; ein eigenes Bild seiner selbst zu finden und zu terbewusstsein etwa verortete er im Keller; Wünsche und Sehnsüchte in Truhen und
gestalten. Dafür braucht es Freiräume – gedanklich, unabhängig von anderen und letzt- Schränken. Der ideale Ort zum Träumen, so Bachelard, sei hingegen der Dachboden
lich auch räumlich-architektonisch. „A Room of One's Own“ heißt ein bekannter Essay mit seinen schrägen Wänden, die sich wie ein Zelt über dem Träumenden schließen.
der Schriftstellerin Virginia Woolf, die damit die Grundvoraussetzung einer gelungenen Der Dachboden ist der oberste Raum eines Hauses; näher kann man dem Himmel phy-
Identitätsbildung benannte. Wenn Heranwachsende und Teenager ein eigenes Zimmer sisch nicht kommen. Auch Dea Ecker und Robert Piotrowski haben aus den Dachräu-
fordern, so tun sie es aus dem Bedürfnis heraus, einen eigenen Platz in der Welt zu fin- men ihres Ensembles Räume zum Träumen gemacht. Anstatt die großen Volumen für
den. In der neuen Erweiterung des Kinder- und Jugenddorfs in Seckach steht jedem Ju- weitere Unterkünfte, Lagerräume oder die gern auch mal unter dem Dach installierte
gendlichen ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Organisiert sind sie, jeweils zu acht, in Haustechnik zu verwenden, stellten sie die Dächer den Bewohnern zur freien Verfü-
drei eigenen Wohngruppen-Trakten. Die drei betreuenden Familien leben in separaten gung. Die Räume laden zum gemeinsamen Spielen und Toben ein, aber auch, um sich
Einheiten. Der Zugang erfolgt getrennt voneinander – jedoch über den gemeinsamen Hof. mit einer Decke in den hintersten Winkel zu verkriechen und sich seinen Träumen zu
Intern existieren Verbindungstüren zwischen den Wohngruppen und den Familienwoh- überlassen. Mehr kann gute Architektur nicht leisten!
114 • AIT 7/8.2021