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Carsten Wiewiorra
1968 geboren in Lippstadt Studium RWTH Aachen, Kunstaka Düsseldorf, Uni-
versity Washington 1999 Krüger Wiewiorra Architekten seit 2010 Professor THS
Ostwestfalen-Lippe seit 2019 Wiewiorra Studio seit 11/2023 bdia-Präsident
Mehr Platz für weniger: Wandleisten im Shaker-Stil ... • More space for less: Shaker-style wall rails ... ... nehmen Möbel auf und schaffen freie Bodenflächen. • … hold furniture and create free floor space.
von • by Prof. Carsten Wiewiorra, Berlin
D er historische Ausflugsort „Eierhäuschen“ – bekannt durch den Roman „Der Stech- Balanceakt zwischen Denkmalpflege und Zeitgeist
lin“ (1897) von Theodor Fontane – hat sein Inneres herausgeputzt: Mit Abschluss
der denkmal- und umweltgerechten Sanierung durch DHL Architekten aus Berlin wurde In Bezug auf die Inneneinrichtung lag die Herausforderung darin, die Denkmalpflege
nun auch die Innenarchitektur der Ausflugsgastronomie nebst Veranstaltungssaal und modern zu interpretieren. Maßgefertigte, multifunktionale Möbel und Materialien ste-
Ausstellungsräumen von Wiewiorra Studios erneuert. Unter dem historischen Dach sind hen gleichermaßen im Einklang und Kontrast zum historischen Bestand. Das Restaurant
außerdem hochwertige Gästezimmer für Artist in Residence-Programme entstanden. Zu Ei-12437-B mit moderner deutscher Küche aus regionalen Produkten wird ergänzt durch
Fontanes Zeit war das Eierhäuschen noch ein Neubau, der erst im Jahr 1891 nach den einen Tanzsaal für Veranstaltungen und dem großen Biergarten, der ebenso von Wiewiorra
Plänen des Architekten Karl Frobenius (1852–1932) am Ufer der Spree im Pläntnerwald Studio eingerichtet wurde. Hier mussten die Innenräume in der denkmalgerechten Farb-
errichtet worden war. Aufgrund seiner bewegten Geschichte und kulturellen Bedeutung gebung mit dunklen Farbtönen wiederhergestellt werden. Dass das Interieur dennoch hell
steht das Beispiel für Berliner Sommerfrische-Architektur seit 1978 unter Denkmalschutz. und luftig wirkt, hat mit den neu eingesetzten Materialien zu tun: helles Holz für Boden
und Möbel, golden schimmerndes Messing mit Granitauflage der Sorte Marinace Gold mit
Ausflugsziel mit sonderbarem Namen eingeschlossenen Geröllsteinen für einen maßgefertigten Tresen, der durch seine mittige
Position den Gastraum sinnvoll gliedert. Die umlaufende schwarz gepolsterte Bank wird
Die Geschichte des Ortes ist aber noch älter als der erhaltene Bau. Überliefert ist die Teil der Wand und nützt auch der Raumakustik.
Beschreibung eines Wärterhäuschens, in dem Holzarbeiter, Fischer und Spaziergänger
Getränke und gekochte Eier erwerben konnten – der Ort wurde ab dann schlicht „Eier- Zeitgemäße Erneuerung durch flexible Innenarchitektur
häuschen“ genannt. Nach einem Brand im Jahr 1869 ließ der Pächter die Gaststätte als
Fachwerkbau neu errichten, der 1876 in den Besitz des Landes Berlin überging und bereits Die Ausstellungsräume des Spreepark Art Space wurden entgegen dem Wunsch der
1890 erneut abbrannte. Nach Entwürfen des Berliner Architekten Karl Frobenius wurde in Denkmalpflege nicht nach alter Vorlage farblich, sondern ganz in Weiß gestaltet – dafür
den Jahren 1891–1892 die noch heute existierende, dritte Version des Eierhäuschens gebaut. wurden alle historischen Stuckreliefs wiederhergestellt. In den „neutralisierten“ Räumen
Theodor Fontane machte das Ausflugslokal in seinem Roman „Der Stechlin“ berühmt: wird die Nutzung als Ausstellungsfläche möglich. Empfangstresen wie auch Möbel in den
„Über die Spree geht die Reise (…) zwischen den Pappelweiden steht der Ziegelbau mit Büroräumen sind flexibel und multifunktional. In den oberen Geschossen wohnen und
Turm und Erker: Das Eierhäuschen, ein Lokal für Tanz und Volksversammlung.“ Das char- arbeiten temporär geladene KünstlerInnen. Mobile Möbel für den Gemeinschaftsraum
mante Backsteingebäude war noch zu DDR-Zeiten ein beliebtes Ausflugslokal, denn in können kurzerhand hin und her gerollt werden – dorthin, wo sie gerade gebraucht wer-
unmittelbarer Nähe befand sich mit dem Kulturpark Plänterwald seit 1969 ein Vergnü- den. Sie fungieren als zusätzlicher Arbeits- oder Esstisch und sind mit offenen Fächern als
gungspark mit Fahrgeschäften. Nach der Wende geschlossen, meldete das in der Zwi- Stauraum ausgestattet. Dachschrägen, helle Farben und natürliche Materialien wie Holz
schenzeit in „Spreepark“ umbenannte Gelände 2001 Insolvenz an – den privaten „Inves- und Textilien schaffen Behaglichkeit. Die großzügigen Wohnbereiche für StipendiatInnen
tor“ umranken filmreife Geschichten. Ebenso wie das Eierhäuschen wurde es zu einem bestehen aus einem Arbeits- und Schlafbereich sowie einem Badezimmer. Auch hierfür
„Lost Place“, überwuchert von Bäumen und Sträuchern. Inzwischen wieder im Besitz des entwarf Wiewiorra Studio flexible Elemente: Holzmöbel wie Regale, Ablagen, Pinnwände
Landes Berlin, wird das Gelände seit 2016 von Grün Berlin in einen öffentlichen Park mit und Garderoben werden an Leisten aufgehängt, die an den langen Wänden angebracht
ortsspezifischen Kunstwerken umgewandelt. Die denkmalgerechte Instandsetzung nahm sind. Sie können leicht verschoben und nach Bedarf ausgetauscht werden. Im Dachge-
mehrere Jahre in Anspruch, weil es durch Leerstand und Vandalismus stark zerstört wor- schoss befindet sich ein großes multifunktionales Atelier zur gemeinschaftlichen Nutzung.
den war. Das wiedereröffnete Eierhäuschen ist nun als Kunsthaus und Ausflugslokal ein Alle Möbel und Materialien wurden nach Nachhaltigkeitskriterien des öffentlichen Bauens
wichtiger Teil und Initialprojekt des Entwicklungskonzepts Spreepark Art Space. ausgesucht, sodass ein gesundes, natürliches Wohn- und Arbeitsumfeld entstanden ist.
AIT 6.2025 • 123