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Redings Essay
AUF AUGENHÖHE
Ein Essay von Dominik Reding
E rst können sie sich noch in den Museen waschen, dann kommen sie auch da Jetzt, zwei Jahre vor dem magischen Jubiläumsjahr 2019 wetteifern gleich drei Städte
um das Bauhaus-Erbe. Weimar, natürlich, die Wiege des Gedankens, dann Dessau,
nicht mehr rein, dann wird es schwierig.“ Ich las es in Andy Warhols „From A to
B and back again“ und grübelte. Ob man wirklich so schnell so tief sinken kann, dass das mit DEM Bauhaus auftrumpfen kann, der weltweit kopierten Architektur-Blau -
Museumstoiletten das heimische Badezimmer ersetzen müssen? Und dachte an die pause des „Bauhaus-Stils“, und Berlin. Hier wurde das Bauhaus 1933 zwangsweise
Obdachlosen, die ich in New York gesehen hatte. Mit verfilzten Haaren und einge - geschlossen, hier findet sich die größte und bedeutendste Sammlung zum Thema
wickelt in eine Kleidung aus Pappe und Plastiktüten, bettelten sie am Washington Bauhaus und hier steht seit 1979 als Sammlungsort das letzte von Walter Gropius und
Square und würden so tatsächlich in kein Museum mehr hineingelassen. Einige seinem Team für Deutschland entworfene Bauwerk: das „Bauhaus-Archiv – Museum
Monate später, nach schlaflosen Nächten im 30-Mann-Dormitory einer Londoner Ju - für Gestaltung“. Eine Architektur-Ikone. Alle drei Städte schrieben einen Wettbewerb
gend herberge, schwankte ich im Morgengrauen zur Clore-Gallery, einem Museum, das aus, aber nur in Berlin wird es kein kompletter Museumsneubau, sondern Anbau an
die weltweit größte Sammlung an Gemälden von William Turner beherbergt. Aber es das bestehende Bauwerk werden, ein Herumfummeln an der Gropius-Ikone also. Den
interessierte mich weder das Bauwerk, eine ironisch-postmoderne Architektur von Wettbewerb gewann ein nicht mehr ganz junger, mit Museumbauten bekannt gewor-
James Sterling, noch die weltberühmten Turners, es interessierte mich das Klo. Endlich dener Architekt aus Berlin: Volker Staab.
in Ruhe den Körper reinigen, Zähneputzen, Haare waschen. Die Toilette war hell und Man stelle sich vor, man hätte dabei sein können, als das Bauhaus erfunden wurde! Da -
groß und sah sauber aus und ich dachte an bei sein, als Gropius und seine Weltver besserer-
Andy Warhol und sein State ment. Ich ließ das Kollegen das Bauhaus-Gebäude in Dessau ent-
Wasser über meine Haare laufen und sagte zu warfen, dabei sein, als sie Wassily-Chair, Wagen -
mir selbst: „Der Mann hatte recht.“ feld-Lampe und Gropius-Klinke zusammenmon-
„Entweder erster Preis oder beim ersten Rund - tierten, dabei sein, als sie den „Bauhaus-Stil“
gang raus. Alles andere ist Scheiße.“ Professor kreierten. Und jetzt gibt es die Chance, dabei zu
Döring grummelte, stöhnte, blickte missmutig sein, tatsächlich. Ein bisschen jedenfalls.
auf seinen Entwurf. Dieses Grundstück wollte Ich bitte Volker Staab um ein Treffen und er sagt
einfach nicht. Ein Museum für moderne Kunst in zu. Eine Alchemistenküche erwarte ich, ein Ge -
einem Hinterhof! Und dann noch ein krummer, heimlabor, in dem hinter stählernen Tresor -
verbauter, lichtloser Hinterhof. Er schob die türen mit trickreichen Zahlenschlössern das
Treppenhäuser von oben nach unten, die Bau haus übertrumpft, neu erfunden oder gleich
Fahrstühle von vorne nach hinten, die Eingänge ganz verworfen und unter ekstatischem Tanzen
von rechts nach links. Und schaute dann uns, und geflüsterten Beschwörungsformeln die
seine Mitarbeiter und Praktikanten, erwartungs - Architektur des 21. Jahrhunderts aus dem un -
voll fragend an. Und wir schauten fragend zu - end lichen Weiß des Zeichenpapiers oder dem
rück. Es wollte einfach nicht. Nach mehr und elektronischen Glimmen des iMacs gehoben
mehr verzweifelten Versuchen wurde es ein wird. Aber das Übertrumpfen oder gar Veits -
hohes Rechteck mit einer dramatisch steilen tänze sind die Sache von Volker Staab nicht.
Erschließungstreppe quer durch alle Stock werke Foto: Benjamin Reding Besonnen sitzt er an seinem Arbeitstisch, rollt
und einer Fassade, die entfernt an das Musée das Skizzenpapier über die Resopalplatte und
Pompidou in Paris erinnerte. Zuletzt zeichnete skizziert in feinen, suchenden Strichen die Ku -
ein begabter Mitarbeiter eine lächeln de Pop-Art-Marilyn quer über die Glasfassade. ba tur des Neubaus. Einen Gartenhof wird es geben, umschlossen von großflächigen
Und wir gaben ab. Den Entwurf zum Architekturwettbewerb zum Museum für moder - Glasfenstern und Betonwänden, Böden, Decken, so glatt, so exakt, als habe sie ein
ne Kunst in Nürnberg. Es wurde nicht der erste Preis und auch nicht der erste Kuchenmesser aus Marzipan geschnitten und einen filigranen Turm als Wegmarke
Rundgang, sondern ein Rauswurf irgendwo dazwischen. Gewonnen hat den Wett - und Eingang. Volker Staab sagt, der Neubau solle ein „Mitspieler auf Augenhöhe“ mit
bewerb ein damals ganz unbekannter, junger Architekt namens Volker Staab. dem Gropius-Altbau werden. Ein Weiterschreiben, ein Hinzufügen, das aus zwei
1919 muss in Deutschland ein wichtiges Jahr gewesen sein. Gleich drei Museen wer- Häusern eins und das neue Ganze besser macht. Und es gelingt, der Neubau macht
den zu der Zeit geplant und gebaut, die an ein Ereignis dieses Jahres erinnern werden. den Altbau benutzbarer, schreibt fort, ohne zu stören. Ein bisschen enttäuscht bin ich.
Geht es um die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles? Nein. Die Kein Umsturz, kein Revolte, kein Neuanfang, kein Zerstören des heiligen Grals. Herrn
Einführung des Achtstundentages am 1. 1. 1919? Nein. Die Ausrufung der Räterepublik Gropius hätte der Anbau gefallen, ganz bestimmt.
in Bayern? Nein. Die Gründung des Fußballclubs HSV? Die Gründung der KPD? Die Beim Herausgehen fällt mein Blick noch einmal auf die Pläne. Der Turm, der Garten,
Geburt von Loki Schmidt? Nein, nein, nein. Am Dienstag, den 1. April 1919, wurde in der Eingangsbereich. Ah, ich sehe: Es wird einen großzügig bemessenen Toilettentrakt
einer Thüringer Residenzstadt nach Abdankung des örtlichen Kleinstaat-Potentaten geben, er wird einfach zu erreichen, leicht zu reinigen, ausreichend belichtet sein.
eine neue Kunstschule gegründet. Ihr erster Direktor hieß Walter Gropius und er Und man wird sich gut darin waschen können. Im Notfall auch den ganzen Körper.
nann te sie „Staatliches Bauhaus Weimar.“ Das ist nicht das Schlechteste, was Architektur leisten kann, oder?
076 • AIT 5.2017