Page 76 - AIT0517_E-Paper
P. 76

Redings Essay


               AUF AUGENHÖHE

















               Ein Essay von Dominik Reding
               E  rst können sie sich noch in den Museen waschen, dann kommen sie auch da  Jetzt, zwei Jahre vor dem magischen Jubiläumsjahr 2019 wetteifern gleich drei Städte
                                                                             um das Bauhaus-Erbe. Weimar, natürlich, die Wiege des Gedankens, dann Dessau,
                  nicht mehr rein, dann wird es schwierig.“ Ich las es in Andy Warhols „From A to
               B and back again“ und grübelte. Ob man wirklich so schnell so tief sinken kann, dass  das mit DEM Bauhaus auftrumpfen kann, der weltweit kopierten Architektur-Blau -
               Museumstoiletten das heimische Badezimmer ersetzen müssen? Und dachte an die  pause des „Bauhaus-Stils“, und Berlin. Hier wurde das Bauhaus 1933 zwangsweise
               Obdachlosen, die ich in New York gesehen hatte. Mit verfilzten Haaren und einge -  geschlossen, hier findet sich die größte und bedeutendste Sammlung zum Thema
               wickelt in eine Kleidung aus Pappe und Plastiktüten, bettelten sie am Washington  Bauhaus und hier steht seit 1979 als Sammlungsort das letzte von Walter Gropius und
               Square und  würden so tatsächlich in kein Museum mehr hineingelassen. Einige  seinem Team für Deutschland entworfene Bauwerk: das „Bauhaus-Archiv – Museum
               Monate später, nach schlaflosen Nächten im 30-Mann-Dormitory einer Londoner Ju -  für Gestaltung“. Eine Architektur-Ikone. Alle drei Städte schrieben einen Wettbewerb
               gend herberge, schwankte ich im Morgengrauen zur Clore-Gallery, einem Museum, das  aus, aber nur in Berlin wird es kein kompletter Museumsneubau, sondern Anbau an
               die weltweit größte Sammlung an Gemälden von William Turner beherbergt. Aber es  das bestehende Bauwerk werden, ein Herumfummeln an der Gropius-Ikone also. Den
               interessierte mich  weder das Bauwerk, eine ironisch-postmoderne Architektur  von  Wettbewerb gewann ein nicht mehr ganz junger, mit Museumbauten bekannt gewor-
               James Sterling, noch die weltberühmten Turners, es interessierte mich das Klo. Endlich  dener Architekt aus Berlin: Volker Staab.
               in Ruhe den Körper reinigen, Zähneputzen, Haare waschen. Die Toilette war hell und  Man stelle sich vor, man hätte dabei sein können, als das Bauhaus erfunden wurde! Da -
               groß und sah sauber aus und ich dachte an                                               bei sein, als Gropius und seine Weltver besserer-
               Andy Warhol und sein State ment. Ich ließ das                                           Kollegen  das  Bauhaus-Gebäude  in  Dessau  ent-
               Wasser über meine Haare laufen und sagte zu                                             warfen, dabei sein, als sie Wassily-Chair, Wagen -
               mir selbst: „Der Mann hatte recht.“                                                     feld-Lampe und Gropius-Klinke zusammenmon-
               „Entweder erster Preis oder beim ersten Rund -                                          tierten, dabei sein, als sie den „Bauhaus-Stil“
               gang raus. Alles andere ist Scheiße.“ Professor                                         kreierten. Und jetzt gibt es die Chance, dabei zu
               Döring grummelte, stöhnte, blickte missmutig                                            sein, tatsächlich. Ein bisschen jedenfalls.
               auf seinen Entwurf. Dieses Grundstück  wollte                                           Ich bitte Volker Staab um ein Treffen und er sagt
               einfach nicht. Ein Museum für moderne Kunst in                                          zu. Eine Alchemistenküche erwarte ich, ein Ge -
               einem Hinterhof! Und dann noch ein krummer,                                             heimlabor, in dem hinter stählernen  Tresor -
               verbauter, lichtloser Hinterhof. Er schob die                                           türen mit trickreichen Zahlenschlössern  das
               Treppenhäuser  von oben nach unten, die                                                 Bau haus übertrumpft, neu erfunden oder gleich
               Fahrstühle von vorne nach hinten, die Eingänge                                          ganz verworfen und unter ekstatischem Tanzen
               von rechts nach links. Und schaute dann uns,                                            und geflüsterten Beschwörungsformeln die
               seine Mitarbeiter und Praktikanten, erwartungs -                                        Architektur des 21. Jahrhunderts aus dem un -
               voll fragend an. Und wir schauten fragend zu -                                          end lichen Weiß des Zeichenpapiers oder dem
               rück. Es wollte einfach nicht. Nach mehr und                                            elektronischen Glimmen des iMacs gehoben
               mehr verzweifelten Versuchen wurde  es  ein                                             wird. Aber das Übertrumpfen oder gar  Veits -
               hohes Rechteck mit einer dramatisch steilen                                             tänze sind die Sache  von  Volker Staab nicht.
               Erschließungstreppe quer durch alle Stock werke  Foto: Benjamin Reding                  Besonnen sitzt er an seinem Arbeitstisch, rollt
               und einer Fassade, die entfernt an das Musée                                            das Skizzenpapier über die Resopalplatte und
               Pompidou in Paris erinnerte.  Zuletzt  zeichnete                                        skizziert in feinen, suchenden Strichen die Ku -
               ein begabter Mitarbeiter eine lächeln de Pop-Art-Marilyn quer über die Glasfassade.  ba tur des Neubaus. Einen Gartenhof wird es geben, umschlossen von großflächigen
               Und wir gaben ab. Den Entwurf zum Architekturwettbewerb zum Museum für moder -  Glasfenstern und Betonwänden, Böden, Decken, so glatt, so exakt, als habe sie ein
               ne Kunst in Nürnberg. Es  wurde nicht der erste Preis und auch nicht der erste  Kuchenmesser aus Marzipan geschnitten und einen filigranen Turm als Wegmarke
               Rundgang, sondern ein Rauswurf irgendwo dazwischen. Gewonnen hat den  Wett -  und Eingang. Volker Staab sagt, der Neubau solle ein „Mitspieler auf Augenhöhe“ mit
               bewerb ein damals ganz unbekannter, junger Architekt namens Volker Staab.  dem Gropius-Altbau  werden. Ein  Weiterschreiben, ein Hinzufügen, das aus  zwei
               1919 muss in Deutschland ein wichtiges Jahr gewesen sein. Gleich drei Museen wer-  Häusern eins und das neue Ganze besser macht. Und es gelingt, der Neubau macht
               den zu der Zeit geplant und gebaut, die an ein Ereignis dieses Jahres erinnern werden.  den Altbau benutzbarer, schreibt fort, ohne zu stören. Ein bisschen enttäuscht bin ich.
               Geht es um die Unterzeichnung des Friedensvertrages  von  Versailles? Nein. Die  Kein Umsturz, kein Revolte, kein Neuanfang, kein Zerstören des heiligen Grals. Herrn
               Einführung des Achtstundentages am 1. 1. 1919? Nein. Die Ausrufung der Räterepublik  Gropius hätte der Anbau gefallen, ganz bestimmt.
               in Bayern? Nein. Die Gründung des Fußballclubs HSV? Die Gründung der KPD? Die  Beim Herausgehen fällt mein Blick noch einmal auf die Pläne. Der Turm, der Garten,
               Geburt von Loki Schmidt? Nein, nein, nein. Am Dienstag, den 1. April 1919, wurde in  der Eingangsbereich. Ah, ich sehe: Es wird einen großzügig bemessenen Toilettentrakt
               einer Thüringer Residenzstadt nach Abdankung des örtlichen Kleinstaat-Potentaten  geben, er wird einfach zu erreichen, leicht zu reinigen, ausreichend belichtet sein.
               eine neue Kunstschule gegründet. Ihr erster Direktor hieß  Walter Gropius und er  Und man wird sich gut darin waschen können. Im Notfall auch den ganzen Körper.
               nann te sie „Staatliches Bauhaus Weimar.“                     Das ist nicht das Schlechteste, was Architektur leisten kann, oder?



               076  •  AIT 5.2017
   71   72   73   74   75   76   77   78   79   80   81