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Entwurf • Design Eva Rudolph, Freie Architektin, Lindenberg
                Eva Rudolph                                                                       Bauherr • Client Eva Rudolph, Lindenberg
                                                                                                  Standort • Location Alter Schulplatz 1, Lindau
                Geboren in Bochum; Schulzeit in Bochum; Ausbildung im väterlichen Architekturbüro; Architekturstudium in Dortmund und Konstanz; acht Jahre  Fertigstellung • Completion Juni 2014
                lang Mitarbeit in verschiedenen Architektur- und Sanierungsbüros; anschließend Selbständigkeit mit eigenem Büro im Allgäu mit dem Schwer punkt  Nutzfläche • Floor space 720 m 2
                auf Sanierungsprojekten und Industriebauten                                       Fotos • Photos Christian Flemming/Ferdinand Nonnenbroich





                von • by Eva Rudolph
                D   as heutige Hotel Adara befindet sich im historischen Altstadtgefüge auf der Insel
                    Lindau am Bodensee. Als ich das aus vier Gebäuden bestehende Ensemble 2008
                erworben habe, war die marode Bausubstanz zum größten Teil einsturzgefährdet. Um
                1900 war das Konglomerat aus dem 13. Jahrhundert zum Abbruch freigegeben worden,
                was jedoch durch die Weltwirtschaftskrise verhindert wurde. Ein großer Glücksfall, wie
                sich Jahrzehnte später herausstellen sollte:  Inzwischen unter Denkmalschutz gestellt,
                habe ich nicht zuletzt dank meiner Vorliebe für Sanierungsprojekte und der damit ein-
                hergehenden Erfahrung das Potenzial des Ensembles und seiner Lage an dem eigentlich
                hübschen Alten Schulplatz erkannt und den Schritt gewagt. Fünfeinhalb Jahre hat die
                denkmalgerechte Sanierung samt der Umnutzung zum Hotel gedauert.

                Zentimetergenaue Planung bereits im Vorfeld

                Im Vorfeld war ein aufwendiges, verformungsgerechtes Aufmaß nötig, auf dessen Grund -
                lage wir die Werk- und Detailplanung entwickelt haben. Wesentlich für die erfolgreiche
                Umnutzung zum Hotel war das Zusammenfügen aller vier Wohnhäuser über ein zentra-
                les Treppenhaus mit Liftanlage. Aufgrund der unterschiedlichen Geschosshöhen und zum
                Teil sehr niedrigen Raumhöhen gestaltete sich die Planung als äußerst kompliziert. Im  Historische Substanz trifft auf technischen Komfort von heute. • Historic fabric meets technical comfort.
                Vorfeld war ein betriebswirtschaftliches Gutachten erstellt worden, das mindestens 14 ge -
                                                                              Verwinkelte Treppen und Zeitfenster zeigen die Geschichte. • Meandering stairs and time windows show history.
                räumige Zimmer und Suiten forderte. Dazu noch die für ein Hotel übliche Infrastruktur
                wie Technik- und Lagerräume, Rezeption, Restaurant, Küche und Toilettenanlagen. Ge -
                schaffen wurden am Ende 16 Zimmer und Suiten mit bis zu 50 Quadratmetern. Dieses
                ambitionierte Raumprogramm wurde erst durch zwei Sondermaßnahmen möglich: der
                Unterkellerung des Ensembles und der Aufstockung des Dachgeschosses im Eckhaus.
                Zunächst mussten in zähen Verhandlungen mit dem Landesdenkmalamt und der unteren
                Denkmalschutzbehörde der Stadt Lindau die Genehmigungen durchgesetzt werden. Das
                Ensemble am Alten Schulplatz bildete bis dato einen heruntergekommenen Schandfleck,
                die Stadt Lindau hoffte also auf eine baldige Sanierung. Begonnen wurde ganz unten mit
                der Unterkellerung, die aufgrund des Jahreshöchstwasserstandes als weiße Wanne aus-
                geführt werden musste. Teilweise erfolgte die Unterkellerung in mühsamer Handarbeit,
                um die darüber liegende Bausubstanz zu schützen. In der Nähe des früheren Hafens gele-
                gen, waren hier im Mittelalter Handwerker – größtenteils Kachelofenbauer und Töpfer –
                angesiedelt.  Zahlreiche Fundstücke  wie Münzen, Knochen und Scherben aus dieser
                Epoche wurden während der Grabungsarbeiten gefunden und, begleitet vom Boden -
                denk mal amt, zeitlich zugeordnet und archiviert. Teile davon sind im Hotel ausgestellt. Im
                An schluss konnte mit der statischen Sanierung begonnen werden. Sowohl grundriss-, als
                auch konstruktions- und höhenbedingt war es nicht möglich, übliche Installationskanäle
                                                                              Die historische Struktur gibt den Grundriss der Zimmer vor. • The structure determines the layout of the rooms.
                in waagerechter Richtung auszuführen. Also wurden diese in großen Kanälen unter der
                Bodenplatte verlegt und jeweils angepasst in senkrechte Steigschächte geführt.

                Unvorhergesehene Herausforderungen

                Um weitere Flächen zu schaffen, haben wir das Eckgebäude um eine Ebene aufgestockt.
                Hierfür wurde das Dach geschoss mit originalen Elementen aus dem 13. Jahr hundert kar-
                tiert, rückgebaut, zwischengelagert und nach der Aufstockung originalgetreu wieder darü-
                ber gesetzt. Heute sind im ganzen Haus originale Dachstuhlelemente, Fach werk -
                konstruktionen und Deckenbalken sichtbar. Marode Holzteile wurden im Zuge der Sa -
                nierung entfernt und mittels althergebrachter Anschiftung mit Altholz wieder aufgebaut.
                Diese handwerklich anspruchsvollen Arbeiten erforderten neben meiner täglichen An -
                wesenheit auch den enormen Fachverstand der Hand werker. Vor Baubeginn waren die
                bis zu 15 Meter hohen Mitteltragwände durch diverse Ein bau ten nicht sichtbar. Mitten im
                Bau stellte sich heraus, dass die Fachwerks aus fachungen größtenteils mit Spindel -
                wänden gebaut wurden. Diese bestehen aus senkrechten dicken Ästen, die mit waage-
                recht eingeflochtenen Weidenästen ausgewoben und mit Lehmverschlag ausgeworfen



                                                                                                                              AIT 6.2016  •  153
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