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Entwurf • Design Sunder-Plassmann Architekten, Utting am Ammersee
             Bauherr • Client Stadt Schongau
             Standort • Location Münzstraße 1-3, Schongau
             Nutzfläche • Floor space 753 m 2
             Fotos • Photos Christina Kratzenberg, Ostfildern
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             von • by Annette Weckesser
             S  under-Plassmann Architekten haben ihr Büro in der Dorfmitte von Utting am Am-
                mersee. Das Architekten-Ehepaar hat das einst glanzvolle, 1899 erbaute Jugendstil-
             gebäude, das zuletzt jahrzehntelang leerstand, erworben und vor dem Verfall gerettet.
             Die behutsame Sanierung hat aber nicht nur das Gebäude selbst, sondern die gesamte
             Dorfmitte wieder aufgewertet. Diese Revitalisierung ist beispielhaft für das Portfolio von
             Bettina und Benedikt Sunder-Plassmann. Viele ihrer ambitionierten Umnutzungs- und
             Sanierungsprojekte sind außerdem Ämter. 2013 bauten die Architekten aus dem ober-
             bayrischen Landkreis Landsberg am Lech den denkmalgeschützten Bahnhof Feldafing
             zum Rathaus um. Kein Geringerer als Georg von Dollman – Architekt der Schlösser Neu-
             schwanstein und Herrenchiemsee – hatte diesen Bahnhof 1865 erbaut. Für den 2015 auf
             der Elmau stattfindenden G7-Gipfel durften Sunder-Plassmann Architekten das seit 1935
             existierende Rathaus von Garmisch-Partenkirchen technisch ertüchtigen. 2016 bauten
              sie das Deichstetterhaus Iffeldorf, ein Ärztehaus von 1876/77, zum Rathaus und Mehrge-
              nerationentreff um, und 2019 übergaben sie den Denklinger Gasthof Hirsch (1668) sei-
              ner neuen Bestimmung als Rathaus. Der Erhalt von historischer Bausubstanz, die damit
              verbundene Bereicherung des gesamten Umfelds und das Erlebbarmachen von Ge-
              schichte spiegelt sich auch im jüngsten Amtsprojekt der Architekten wider – dem Amt
             für Senioren in der Alten Münze von Schongau.                 Bildunterschrift • englisch

             Reiche Geschichte ablesbar gemacht

             Schongau am Lech verfügt über eine intakte, knapp 1,6 Kilometer lange Stadtmauer, be-  Sensible Koexistenz von Alt und Neu • Sensitive coexistence of the old and the new
             grünte Wallanlagen und eine Altstadt mit einem hohen Denkmalbestand. Leerstand –
             fast schon symptomatisch für viele historische Ortszentren, die vermeintlich attraktivere  Die Geschichte ist ablesbar auf Schritt und Tritt. • History is reflected at every turn.
             Neubauviertel ergänzen –, sowie Brach- und Parkflächen an der Stadtmauer schöpfen
             die vorhandenen Potenziale der Altstadt jedoch nicht aus. Teil der Stadtmauer ist das
             Alte Münzgebäude aus dem 14. Jahrhundert, das am Ende der Hauptstraße in der
             Schongauer Altstadt steht. Das imposante Bauwerk verfügt über eine reiche Geschichte.
             Es diente als Nordtor, war Münzgebäude, wurde 1771 zur Fronfeste vergrößert, fungierte
             als Amtsgericht und Gefängnis. Zuletzt nutzte es die Polizei. Mehrfach umgebaut und
             verändert stand das Haus schließlich viele Jahre leer. Aufgrund seiner guten Lage und
             Erreichbarkeit ließ die Stadt Schongau das Gebäude 2020 durch Sunder-Plassmann Ar-
             chitekten zum Amt für Senioren für den Landkreis umbauen. Die Architekten haben die
             Alte Münze denkmalgerecht saniert und die Vorgeschichte des Gebäudes durch „archäo-
             logische Fenster“, wie sie es nennen, sichtbar gemacht: Auf die Historie verweist das
             mittelalterliche, sichtbar belassene Mauerwerk ebenso wie die ehemaligen, aufwendig
             restaurierten Türen der Gefängniszellen. Fein aufeinander abgestimmte Farben und Li-
             nien verleihen dem einst düsteren Gebäude seine neue heitere Atmosphäre. Das Dach-
             geschoss verfügt über einen imposanten Dachstuhl aus den 1770er-Jahren. Hier ist ein
             Mehrzwecksaal entstanden, der über einen Lift erreichbar ist. Die Mauerkrone des ehe-
             maligen Stadttores haben die Architekten sichtbar belassen. Vor der Kulisse schwarzer
              Akustikpaneele „schweben“ jetzt runde Pendelleuchten im historischen, handbehaue-
             nen Gebälk. Auch unabhängig von den Amtszeiten kann der Saal für kulturelle Veran-
             staltungen gebucht und für Stadtführungen genutzt werden, denn er wird auch von
             außen erschlossen. Die neue Cortenstahltreppe führt außerdem zum Wehrgang der
             Stadtmauer, die nach und nach als Rundgang begehbar gemacht werden soll. Auf dem
             Wall befindet sich außerdem die ebenfalls in Cortenstahl ausgeführte neue Aussichts-
             plattform über dem ehemaligen Stadttor. Aufgewertet haben Sunder-Plassmann Archi-
             tekten auch die Außenanlagen: Der Platz vor den Wallanlagen am ehemaligen Münztor
             – früher ein unattraktiver Rest- und Parkplatz – ist jetzt eine Ruhezone in Form eines
             Kreuzgartens mit großzügigen Pflasterflächen und Sitzbänken. Umgesetzt wurde das
             Projekt in enger Abstimmung mit der Stadt Schongau, dem Landkreis als Nutzer sowie
             dem Denkmalamt und der Städtebauförderung, welche Fördergelder bewilligt haben.
             Eines ist gewiss: Sunder-Plassmann Architekten werden weitere beispielhafte Revitali-
             sierungen folgen lassen – in Form von Ämtern, Rathäusern und darüber hinaus.

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