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gon architects
2014 von Gonzalo Pardo in Madrid gegründet gon konzentriert sich auf die
Erforschung und Entwicklung individueller architektonischer Projekte unter-
schiedlicher Größenordnung, von der Stadtplanung bis zur Innenarchitektur
Der Patio als klimatischer Puffer und räumliches Zentrum – er verbindet Alt- und Neubau mit fließenden Übergängen. • The patio acts as a climatic buffer and spatial centre – linking the old and new buildings with seamless transitions.
Körperhaltungen fotografisch aus unterschiedlichen Perspektiven. Ziel war es, die bestand darin, die komplette Wohnfläche auf Straßenniveau zu halten. So entstand
räumliche Ergonomie zu verstehen, die diese Wohnung bieten muss. Noch vor ein stufenloser, offener Raumzusammenhang, der nur durch ein zentrales, 5,80
Grundriss oder Schnitt entstand so eine erste zeichnerische Annäherung: eine Art Meter langes und 1,70 Meter breites Wasserbecken unterbrochen wird. Der Pool –
„Modulor“, basierend auf Elies’ Silhouette in verschiedenen Positionen – präzise dar- sieben Kubikmeter groß und nach Süden orientiert – ist oberirdisch errichtet, eine
gestellt in Aufsicht und Ansicht. Parallel dazu analysierten wir die wenigen vorhan- Lösung, die sowohl barrierefrei als auch gestalterisch überzeugend ist. Er ist von
denen regionalen und nationalen Regelwerke zur Barrierefreiheit. Die gewonnenen verschiedenen Bereichen aus barrierefrei zugänglich und bildet das verbindende Ele-
Erkenntnisse flossen direkt in die räumliche Organisation ein: Wendekreise von 1,50 ment zwischen Alt- und Neubau. Ein zentraler Ort des Vergnügens, der Erholung, des
Metern, keine Flure, Türen mit einer Breite von 80 Zentimetern sowie unterfahrbare Trainings – und nicht zuletzt der körperlichen Selbstfürsorge für Elies.
Arbeitsflächen in Küche und Bürobereich – alles darauf ausgelegt, größtmögliche
Autonomie, Bewegungsfreiheit und Sicherheit im Alltag zu gewährleisten. Auch die Inklusiv und individuell – jenseits standardisierter Planung
Materialwahl folgte dieser Prämisse. Gesucht wurde ein durchgängiges, belastbares
und zugleich weiches Materialkonzept – visuell zurückhaltend, haptisch angenehm Die Straße selbst fungiert in El Cabanyal als Verlängerung des Wohnraums: ein öffent-
und in Anlehnung an die architektonische Sprache El Cabanyals. Die verwendeten licher Raum, der zur sozialen Bühne wird und in dem sich Elies mit seinem elektri-
Materialien – Lehm, Holz und Keramik – stammen größtenteils aus der Region und schen Rollstuhl sicher bewegen kann. Dieses Verhältnis zwischen Innen und Außen,
spiegeln die Nähe zum Meer sowie die kulturelle Identität des Viertels wider. zwischen Rückzug und Teilhabe, spiegelt sich auch in der räumlichen Struktur von
Casavera wider: eine fließende, großzügige Wohnung, die durch Übergänge, Sichtbe-
25 Meter tief – Altbau, Neubau und ein verbindender Patio züge und Lichtsituationen lebt. Architektonische, materielle und räumliche Lösungen
wurden im Prozess oft jenseits normierter Standards entwickelt. Der Anspruch auf
Das Grundstück selbst ist nur sechs Meter breit, aber 25 Meter tief – eine typische Inklusion wurde nicht nur normativ, sondern gestalterisch und räumlich durchde-
Parzelle des Viertels. Das architektonische Konzept reagiert darauf mit einer klaren kliniert – mit dem Ziel, einen Ort der Fürsorge, der alltäglichen Rituale und des
Zweiteilung: Der straßenseitige Altbau wurde behutsam saniert und durch einen selbstbestimmten Lebens zu schaffen. An einem sommerlichen Nachmittag, als wir
rückwärtigen, siebeneinhalb Meter langen Neubau ergänzt. Verbunden werden die die Familie besuchten, war genau dieses Gefühl spürbar: Elies zog entspannt seine
beiden Gebäudeteile durch einen offenen, 26 Quadratmeter großen Patio, der sich Bahnen im Wasser, Aurora arbeitete an ihrem neuen Stück in der Hängematte, die
als zentraler Zwischenraum und Herzstück des Hauses versteht. Im Altbau befinden Katzen dösten unter dem blauen Oberlicht oder erkundeten die Wände der Küche,
sich sämtliche gemeinschaftliche Funktionen – Eingang, Multifunktionsraum, Bad, während Vera auf dem farbigen Lehmboden des Patios ein Haus zeichnete. Casa-
Wohnraum, Küche und Essbereich. Der Neubau beherbergt hingegen die privaten vera versteht Barrierefreiheit nicht als Einschränkung, sondern als architektonisches
Rückzugsbereiche: Schlafzimmer mit schräg gestellten, farbigen Oberlichtern in Blau Prinzip mit integrativem Potenzial – räumlich, sozial und atmosphärisch. Die präzise
und Gelb, ein separates Bad sowie den Technikraum. Zwischen beiden Teilen liegt Funktionsverteilung auf Alt- und Neubau schafft klare Zonen für Gemeinschaft und
der Patio – ein Ort, der sowohl funktionale als auch atmosphärische Aufgaben über- Rückzug, während der dazwischenliegende Patio als klimatisches und räumliches
nimmt. Als thermodynamisches Element ermöglicht er eine natürliche Querlüftung Bindeglied fungiert. Die Gestaltung reagiert sensibel auf das urbane Umfeld von El
und sorgt für ein angenehmes Raumklima. In der Tradition mediterraner Bauwei- Cabanyal, indem sie das Straßenleben in die Wohnwirklichkeit einbezieht und alltäg-
sen wirkt er als Klimapuffer – ein Konzept, das angesichts der hohen Temperaturen liche Bewegungsräume neu interpretiert. Jenseits standardisierter Lösungen entsteht
Valencias von zentraler Bedeutung ist. Die gesamte Bodenfläche – innen wie außen so ein Wohnraum, der körperliche Autonomie, familiäres Miteinander und ortsspezi-
– ist auf einem durchgängigen Niveau gefliest. Die größte bauliche Herausforderung fische Architektur auf selbstverständliche Weise miteinander verbindet.
AIT 7/8.2025 • 127