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WOHNEN • LIVING
ADA BURSI APARTMENT
IN TURIN
Entwurf • Design Marcante-Testa Architetti, IT-Turin
Marcante-Testa Architetti erhalten mit ihrem feinfühligen Umgang
mit dem Bestand nicht nur ein Stück wertvolle Architekturgeschichte,
sondern auch ein Stück besondere italienische und weibliche Archi-
tekturgeschichte. Im Herzen des Turiner Viertels Borgo Crimea hat das
Studio eine Maisonettewohnung der 1996 verstorbenen Turiner Archi-
tektin Ada Bursi sanft aus der Vergangenheit in die Zukunft getragen.
Das viergeschossige Eckgebäude aus dem Jahr 1958 trägt durchge-
hend ihre charakterstarke und unverkennbare Handschrift.
With their sensitive approach to the existing fabric, Marcante-Testa
Architetti have preserved not only a valuable piece of architectural
history, but also a distinct chapter of Italian and female architectu-
ral history. In the heart of Turin’s Borgo Crimea district, the studio
has carefully carried a maisonette flat once designed and inhabited
by Ada Bursi—who passed away in 1996—into the present day. The
four-storey corner building from 1958 still bears her strong and unmis-
takable architectural signature throughout.
von • by Daniela Keck, Stuttgart
A da Bursi war die erste Architektin, die 1940 in die Turiner Architektenkammer auf-
genommen wurde. Sie schloss ihr Studium 1938 am Politecnico ab und war damit
die zweite Frau, die dort überhaupt graduierte und in der Folge auch in ihrem Beruf Fuß
fassen konnte. Giuseppa Audisio, der ersten Frau (Absolventin 1930), war dies beispiels-
weise verwehrt. Bursi war eine facettenreiche Architektin und Künstlerin, sie bewegte
sich nicht nur souverän zwischen unterschiedlichen Künsten, von der Malerei über Gra-
fikdesign zur Innenarchitektur und Architektur, sie wusste auch politische Strukturen zu
nutzen, um als Gestalterin wirksam sein zu können. Ihr war durchaus bewusst, dass eine
akademische oder freiberufliche Laufbahn geradezu unmöglich war, und so begab sie
sich taktisch klug in die städtische Bauverwaltung. Hier in Turin prägte sie die Planung
zahlreicher öffentlicher Gebäude. „Für die gebürtige Veroneserin lag Schönheit nicht im
Wert der Materialien, sondern darin, wie man mit ihnen arbeitete“, sagt Andrea Mar-
cante. „Bursi glaubte an demokratischen Luxus.“ Auch das Wohngebäude an der Ecke
des Corso Giovanni Lanza war als sozialer Wohnungsbau geplant, getragen durch eine
Genossenschaft, in der sie selbst Mitglied und später Bewohnerin war. s
108 • AIT 7/8.2025