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Nicole Rambla Bedwell Entwurf • Design OYO Architects, BE-Gent
Bauherr • Client TENT, BE-Gent
Standort • Location Lammerstraat 12, BE-Gent
2001 geboren in Barcelona 2022 Innenarchitektur B.A. Abschluss an der
Nutzfläche • Floor space 4830 m 2
University of the Arts London 2019 Gründung von Do not Sit here seit 2024
Fotos • Photos Farah Lieten, Karen Van der Biest
Freiberufliche Autorin und Communications Assistent Labóh, Barcelona
Mehr Infos auf Seite • More infos on page 142
Früher Akrobaten – heute Lesungen und Ausstellungen • Formerly acrobats - now readings and exhibitions Skulpturale Stehtische empfangen Besucher vor dem Auditorium. • Sculptural bar tables in front of the auditorium
von • by Nicole Rambla Bedwell, Barcelona
D er „Wintercircus“, im Herzen von Gent gelegen, ist seit seiner Errichtung im Jahr 1885 stellungen bis hin zu Fitnesskursen. Das Architektenteam hat zudem zwei gastronomische
ein Symbol des Wandels. Über die Jahrzehnte hinweg erlebte das Gebäude mehrere
Bereiche entworfen: ein Sushi-Restaurant im ersten Stock und ein zentrales Café, das sich
Neugestaltungen, zuletzt im Jahr 2015, als seine ursprüngliche, robuste Struktur bewahrt zur Arena hin öffnet. Letzteres, die Bar „Bougie“, wurde in der ehemaligen Schmierwerk-
wurde. Aufbauend auf dieser Basis hat OYO die Innenräume des Winterzirkus renoviert, statt der Garage eingerichtet und beeindruckt mit urbaner und zeitgemäßer Gestaltung.
um die Vision von TENT – einem Zusammenschluss lokaler Technologieunternehmer – und Durch die Kombination von Holz und warmer Beleuchtung, gepaart mit grün lackiertem
der Stadt Gent zu verwirklichen: ein Zentrum, das als Katalysator für die Gemeinschaft, Stahl und Beton schafft sie eine Balance zwischen Moderne und Gemütlichkeit. Getreu
Wirtschaft und Beschäftigung fungiert. OYO Architects beschreiben es so: „Die Magie des der Vision des Wintercircus als nachhaltigem Technologiezentrum setzt OYO auf Innova-
Winterzirkus liegt in der Möglichkeit, Innovationen zu fördern – inspiriert durch spontane tion und Kreislaufwirtschaft. So kamen Robotertechnologien in den Bauprozessen zum
Begegnungen und den Austausch von Ideen zwischen Unternehmern, Forschern, Studie- Einsatz, während elektronische Altgeräte und historische Stadtelemente zu neuen Möbel-
renden, digitalen Kreativen und der breiten Öffentlichkeit.“ Das Architektenteam entwarf stücken umgestaltet wurden. Dadurch entsteht eine eklektische Raumkomposition, in der
mehr als 30 Arbeitsräume für Technologie-Start-ups, eine große Mehrzweckhalle, zwei zeitgenössische und historische Elemente miteinander verschmelzen.
Bereiche für Ausstellungen und Konferenzen sowie zwei gastronomische Einrichtungen.
Durch Farben und Texturen, die an den Geist des Zirkus erinnern, schafft diese Interven- Wechselvolle Geschichte des Winterzirkus
tion einen Ort für ein breites Publikum, das von Neugier und Unternehmergeist angetrie-
ben wird. „Uns war es wichtig, das Gebäude an den menschlichen Maßstab anzupassen, Die Geschichte des Winterzirkus beginnt im Jahr 1885, als die Stadt Gent den Bau des
mit warmen Materialien, die eine einladende und zugängliche Atmosphäre schaffen“, „Neuen Zirkus“ nach den Plänen des Architekten Emile De Weerdt in Auftrag gab. Verschie-
erklären OYO Architects. Das Herzstück des Campus bildet die Arena, ein vielseitig nutz- dene Zirkusgruppen traten – auch während der Wintermonate – auf, wodurch sich schnell
barer Veranstaltungsraum für Präsentationen, Kunstinstallationen und Events aller Art. der Name Wintercircus unter den Einheimischen etablierte. 1920 zerstörte ein verheeren-
OYO betonte bei seiner Gestaltung die industrielle und monumentale Qualität des Ortes der Brand das Gebäude fast vollständig, doch es wurde drei Jahre später wieder aufgebaut.
und legte Wert auf eine flexible Nutzung. Besonders hervorzuheben ist eine bewegli- Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude in eine Autowerkstatt umgewandelt,
che Neonlichtinstallation, die im „Zirkushimmel“ des Raumes angebracht ist. Rund um wodurch das Innere radikal verändert und die ursprünglichen Zirkusmerkmale entfernt
die Arena erstreckt sich der Start-up-Campus, in dem über 30 Technologie-Start-ups auf wurden. Die Werkstatt blieb bis 1978 in Betrieb, danach diente das Bauwerk als Lager
mehreren Ebenen des Gebäudes untergebracht sind. Im Gegensatz zu klassischen Büros für Oldtimer. 2005 erkannte die Genter Stadtentwicklungsorganisation Sogent den histo-
entwarf OYO einladende Arbeitsräume mit viel natürlichem Licht und warmen Materia- rischen und architektonischen Wert des Gebäudes und erwarb es mit dem Ziel, es einer
lien. Großzügige Schreibtische fördern die Zusammenarbeit zwischen Teams und klei- neuen Nutzung zuzuführen. Die strukturelle Renovierung erfolgte durch die Architekturbü-
nen Unternehmen. Neben Besprechungsräumen, Einzelkabinen und Lounge-Bereichen ros BARO und SUMproject, die das Gebäude in das sich wandelnde De-Krook-Viertel inte-
zeichnen sich die Büros durch große Fenster sowie eine Farbpalette aus Grün-, Gelb- und grierten. Die kulturelle Bedeutung Gents wuchs weiter, und 2009 wurde die Stadt von der
Rottönen aus, die sich harmonisch mit Holz- und Ziegeltexturen verbinden. Nahezu alle UNESCO als Creative City of Music anerkannt. Zudem verpflichtete sich Gent im Jahr 2018,
Möbel bestehen entweder aus recycelten oder sorgfältig lokal beschafften Materialien, bis 2050 klimaneutral zu werden. Der entscheidende Wendepunkt für den Winterzirkus
was das nachhaltige Konzept des Projekts weiter unterstreicht. Im ersten Geschoss befin- kam 2020, als TENT einen 75-jährigen Mietvertrag sicherte und eine Vision für das Gebäu-
det sich das Auditorium, das mit Glaswänden einen Blick auf die Arena bietet. Es wurde de als Zentrum für Innovation, Unternehmertum und Kreativität entwickelte. Das Projekt
als idealer Veranstaltungsort für Konferenzen und Präsentationen konzipiert und bietet von OYO Architects haucht diesem historischen Gebäude neues Leben ein und schafft eine
Platz für über 100 Personen. Im Erdgeschoss hingegen befindet sich die Expo, ein großer, dynamische Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in der architektonisches
vielseitiger Raum, der sich für ein breites Spektrum an Veranstaltungen eignet – von Aus- Erbe und zeitgenössisches Design in perfekter Harmonie miteinander verschmelzen.
AIT 4.2025 • 121